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VfGH vom 20.09.2011, B760/11

VfGH vom 20.09.2011, B760/11

19475

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über einen im Inland aufgewachsenen und hier rechtmäßig niedergelassenen türkischen Staatsangehörigen; keine fremdenrechtlich relevante strafrechtliche Verurteilung, grobe Verkennung der Rechtslage; keine verfassungskonforme Interessenabwägung im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde 1983 in Österreich geboren und wuchs mit seinen Eltern sowie weiteren Familienangehörigen in Vorarlberg auf; lediglich zwei Brüder befinden sich in der Türkei. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war mittels eines Aufenthaltstitels rechtmäßig.

2. Der an paranoider Schizophrenie leidende Beschwerdeführer weist die nachstehend zusammengefassten strafgerichtlichen Verurteilungen in Österreich auf:

* Bezirksgericht Bregenz (im Folgenden BG Bregenz), , 6 U187/99f, wegen unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen, versuchten Diebstahls, Unterdrückung eines Beweismittels, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Beleidigung: Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen a ATS 30,-;

* BG Bregenz, , 6 U141/2000w, wegen Körperverletzung und Diebstahls: Geldstrafe in der Höhe von 100 Tagessätzen a ATS 30,-;

* Landesgericht Feldkirch (im Folgenden: LG Feldkirch), , 20 Vr 249/01, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt: Geldstrafe in der Höhe von 200 Tagessätzen a ATS 80,-;

* LG Feldkirch, , 20 Hv 1088/01p wegen teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen, Verleumdung, Urkundenunterdrückung und Sachbeschädigung: Geldstrafe in der Höhe von 300 Tagessätzen a ATS 80,-;

* LG Feldkirch, , 20 Hv 1114/01m, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, gefährlicher Drohung, Beleidigung, versuchter Sachbeschädigung und unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen: Geldstrafe in der Höhe von 200 Tagessätzen a ATS 4,- als Zusatzstrafe zu 20 Hv 1088/01p;

* LG Feldkirch, , 20 Hv 19/2002h, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt: Freiheitsstrafe im Ausmaß von vier Monaten und Geldstrafe in der Höhe von 140 Tagessätzen a EUR 2,-;

* BG Bregenz, , 66 U38/2002m, wegen Körperverletzung: Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen a EUR 2,-;

* BG Bregenz, , 66 U38/2003v, wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung:

Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen a EUR 2,-;

* LG Feldkirch, , 39 Hv 30/2004v, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, schwerer Körperverletzung, Körperverletzung und gefährlicher Drohung: Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten.

Mit Urteil des LG Feldkirch vom , 23 Hv 52/2006i, wurde der Beschwerdeführer schließlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, nachdem er im Dezember 2005 und März 2006 mittels telefonischer Bombendrohungen Geld zu erpressen versucht und somit das Verbrechen der versuchten schweren Erpressung verwirklicht hatte. Aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher wurde der Beschwerdeführer mit Beschluss des LG Feldkirch vom , 30 BE 142/10b, unter Bestimmung einer fünfjährigen Probezeit und der Erteilung mehrerer Weisungen bedingt entlassen, darunter der Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Wohngemeinschaft sowie regelmäßiger psychosozialer Betreuung und fachärztlicher Behandlung.

3. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§60 Abs 1, Abs 2 Z 1 und Abs 4, 61 Z 4, 63, 66 und 86 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt (Spruchpunkt I) und zugleich ein Durchsetzungsaufschub gemäß § 86 Abs 3 FPG nicht erteilt (Spruchpunkt II).

4. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg (in weiterer Folge: UVS Vorarlberg) vom keine Folge gegeben. Die Berufung gegen Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides wurde gemäß § 9 Abs 2 FPG als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte der UVS Vorarlberg aus, dass der Beschwerdeführer als türkischer Staatsangehöriger in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom falle und nach der entsprechenden Judikatur des VwGH zu § 9 Abs 1 Z 1 FPG der UVS zuständig sei. Der Beschwerdeführer habe mehrere auf derselben schädlichen Neigung beruhende Straftaten, darunter vier Körperverletzungen, begangen und erfülle die Tatbestände des § 60 Abs 1 und Abs 2 Z 1 FPG. Durch die Vielzahl seiner gerichtlich strafbaren Handlungen habe er gezeigt, dass er nicht bereit sei, die geltenden Gesetze der Republik Österreich zu respektieren. Sein Verhalten stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Ein weiterer Aufenthalt gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zuletzt sei er nur deshalb an der Begehung weiterer Straftaten gehindert gewesen, weil er in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei erwachsen und nicht mehr von seinen Eltern abhängig, zumal diese ihn auch in der Türkei unterstützen bzw. besuchen könnten. Seine medizinisch-psychiatrische Behandlung samt Medikation sei einer Anfragebeantwortung des Bundesministeriums für Inneres zufolge auch in der Türkei gewährleistet. Die eine Unzulässigkeit von Aufenthaltsverboten normierende Bestimmung des § 61 Z 4 FPG sei auf den Beschwerdeführer nicht anzuwenden, weil er, wenn er nicht nach § 21 Abs 1 StGB eingewiesen worden wäre, aufgrund seiner Vorstrafen wohl zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Aufgrund des schweren Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers könne keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden, weshalb das Aufenthaltsverbot unbefristet zu erlassen sei. Da gegen die Versagung eines Durchführungsaufschubes keine Berufung zulässig sei, sei die Berufung in diesem Umfang zurückzuweisen.

5. In der gegen diesen Bescheid gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Unter einem wird der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 85 Abs 2 VfGG zuzuerkennen.

Dem Beschwerdevorbringen zufolge habe sich der UVS Vorarlberg mit der Berufung und den im Verfahren vorgelegten Schriftsätzen nicht ausreichend auseinandergesetzt; die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung sei unterblieben. Zu Unrecht habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die erpresserischen Bombendrohungen in einem seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand gesetzt habe, weshalb seine strafrechtliche Verantwortlichkeit hiefür zu verneinen sei. In diesem Zusammenhang sei es auch nicht einzusehen, warum dem Beschwerdeführer die Bestimmungen des § 61 FPG nicht zugutekommen könnten: Seine vierjährige Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sei nicht unter § 61 Z 4 leg.cit. zu subsumieren. Indem der UVS Vorarlberg vermeine, der Beschwerdeführer wäre ohne seinen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, werde zu Unrecht eine den ordentlichen Strafgerichten zugewiesene Zuständigkeit in Anspruch genommen. Darüber hinaus stünden diese Ausführungen im Widerspruch zum Inhalt der Regierungsvorlage des Gesetzes. Eine § 60 Abs 4 FPG vergleichbare Bestimmung kenne die Ausnahmeregelung des § 61 Z 4 leg.cit. nicht. Bei ihrer Abwägung nach Art 8 EMRK habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen hilfs- und unterstützungsbedürftig sei. Der Kontakt zu seiner in Vorarlberg wohnenden Familie sei besonders wichtig, wohingegen eine Abschiebung in die Türkei eine drastische Entwurzelung darstelle. Ebenso lasse der UVS Vorarlberg das Wohlverhalten des Beschwerdeführers während der Unterbringung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher außer Acht, das immerhin zu seiner bedingten Entlassung geführt habe. Schließlich könne allein aus der festgestellten Möglichkeit der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer forensisch-psychiatrischen Wohngemeinschaft oder einer vergleichbaren Einrichtung in der Türkei nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass er - insbesondere im Hinblick auf seine finanzielle Situation - tatsächlich in der Lage wäre, eine solche Unterbringung bzw. Behandlung in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis hätte die belangte Behörde daher zu dem Schluss gelangen müssen, dass der durch das Aufenthaltsverbot erfolgende Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers unverhältnismäßig sei.

6. Der UVS Vorarlberg hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und dem Verfassungsgerichtshof die gesammelten Verwaltungsakten übermittelt.

II. Rechtslage

1. Der UVS Vorarlberg hatte zum Zeitpunkt des Erlasses der bekämpften Entscheidung das FPG in seiner vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I 38/2011, geltenden Fassung anzuwenden.

2. Die Voraussetzungen zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes waren in § 60 FPG näher determiniert. Die genannte Bestimmung lautete:

"Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot

§60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2. anderen im Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

(...)

12. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er einer kriminellen Organisation (§278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§278b StGB) angehört oder angehört hat;

13. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass er durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

14. öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(3) Eine gemäß Abs 2 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Eine solche Verurteilung liegt jedoch vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

(4) Einer Verurteilung nach Abs 2 Z 1 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

(5) Einer Betretung gemäß Abs 2 Z 8 kommt die Mitteilung einer Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG oder einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Unzulässigkeit der Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gleich, sofern der Fremde bei dieser Beschäftigung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten worden ist.

(6) § 66 gilt."

Auch gegenüber gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern oder begünstigten Drittstaatsangehörigen konnte ein Aufenthaltsverbot erlassen werden; § 86 Abs 1 FPG hatte folgenden Wortlaut:

"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen

§86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Aufenthalt ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) - (6) ..."

Die Dauer eines Aufenthaltsverbotes richtete sich nach § 63

FPG:

"Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes oder des Rückkehrverbotes

§63. (1) Ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot kann in den Fällen des § 60 Abs 2 Z 1, 5 und 12 bis 14 unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(2) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes oder des Rückkehrverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen."

3. In bestimmten Fällen war die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unzulässig. Diese Ausnahmefälle waren in § 61 FPG normiert (Hervorhebung durch den Verfassungsgerichtshof):

"Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes

§ 61. Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn

1. der Fremde in den Fällen des § 60 Abs 2 Z 8 nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben hätte dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Fremde betreten wurde, keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen wäre;

2. eine Ausweisung gemäß § 54 Abs 1 wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre;

3. dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen;

4. der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen."

4. Da ein Aufenthaltsverbot die Verpflichtung des Fremden in sich trägt, unverzüglich aus Österreich auszureisen (vgl. ), war - auch aufgrund des Verweises des § 60 Abs 6 FPG - bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes schließlich § 66 FPG zu berücksichtigen. Entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. Erläut. zur RV 88 BlgNR 24. GP, 5) sah diese Bestimmung Folgendes vor:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB ; VfSlg. 11.436/1987, 11.840/1988, 17.716/2005, 18.091/2007).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist der belangten Behörde vorzuwerfen:

2.1. Zunächst ist dem UVS Vorarlberg vorzuwerfen, dass er die o. a. gesetzlichen Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im konkreten Fall grundlegend verkannt hat. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen in Österreich geborenen, von klein auf im Inland aufgewachsenen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassenen Fremden. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes käme daher gemäß der Ausnahmeregelung des § 61 Z 4 FPG nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre oder einen der in § 60 Abs 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklicht hätte. Dies ist jedoch nach der dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage nicht der Fall, woran auch die rein hypothetische Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer wäre ohne seinen damaligen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand für seine Erpressungshandlungen im Dezember 2005 und März 2006 zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, nichts zu ändern vermag (vgl. ). Tatsächlich wurde gegenüber dem Beschwerdeführer nämlich nie eine strafrechtliche Verurteilung ausgesprochen, die eine Anwendung der angeführten Ausnahmeregelung rechtfertigen würde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass § 60 Abs 4 FPG auch auf die explizite Ausnahmebestimmung des § 61 Z 4 leg.cit. anzuwenden wäre, sodass insofern die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gesetzlich nicht gedeckt ist und die belangte Behörde die Rechtslage grob verkannt hat.

2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Dasselbe gilt bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weil dieses die Verpflichtung des Fremden in sich trägt, unverzüglich das Bundesgebiet zu verlassen (). Bei der Beurteilung nach Art 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. die in VfSlg. 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die in § 66 FPG, BGBl. I 29/2009, ihren Niederschlag fand).

Zwar hat die belangte Behörde im konkreten Fall eine Interessenabwägung im Sinne des Art 8 EMRK durchgeführt, dabei jedoch maßgebliche Punkte gänzlich unberücksichtigt gelassen. So wurde der Aspekt der Schutzwürdigkeit des Privatlebens in Österreich nur unzureichend geprüft; insbesondere ging der UVS Vorarlberg in diesem Zusammenhang nicht auf das psychische Krankheitsbild des Beschwerdeführers ein. Zwar bezieht sich die Behörde auf eine durch das Bundesministerium für Inneres übermittelte Anfragebeantwortung, wonach eine medizinisch-psychiatrische Behandlung des Beschwerdeführers mit einer entsprechenden Medikation auch in der Türkei gewährleistet sei, dennoch lässt sie eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, inwieweit die psychischen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu einer höheren Schutzwürdigkeit seines im Bundesgebiet entfalteten Privatlebens führen. Auch auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer - abgesehen von zwei in der Türkei aufhältigen Brüdern, zu denen aber laut erstinstanzlichem Bescheid kein Kontakt besteht - keine ersichtlichen Bindungen zu seinem Heimatstaat aufweist, wird nicht eingegangen. Schließlich unterlässt es die belangte Behörde zur Gänze, sich mit der im gegebenen Zusammenhang einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR , Fall Maslov, Appl. 1.638/03; , Fall A.W. Khan, Appl. 47.486/06) auseinanderzusetzen und die Zulässigkeit einer den Beschwerdeführer treffenden Ausreiseverpflichtung anhand der darin aufgestellten Grundsätze zu bemessen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Aufgrund dieser Umstände wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.