OGH vom 12.06.2012, 14Os51/12z

OGH vom 12.06.2012, 14Os51/12z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schöfmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tarik K***** wegen Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, AZ 24 Hv 104/11a des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 24 Hv 104/11a 9, wurde Tarik K***** zweier Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt (ON 9).

Unmittelbar nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung verzichtete der unvertretene Angeklagte auf Rechtsmittel dagegen und wurde daraufhin im Sinn der §§ 489 Abs 1, 466 Abs 1, 57 Abs 2 letzter Satz StPO ausdrücklich darüber informiert, dass es ihm freistehe, „binnen drei Tagen ab heute den abgegebenen Verzicht zu widerrufen“ (ON 8 S 4).

Am erklärte er mittels eines an die Adresse einer Kanzleimitarbeiterin der Strafabteilung des Landesgerichts Feldkirch gerichteten E-Mails, mit dem Urteil „nicht einverstanden“ zu sein, und beantragte inhaltlich unter Bezugnahme auf seine Einkommensverhältnisse eine „Minderung der Geldstrafe“ (ON 10).

Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung führte der mittlerweile bevollmächtigte Verteidiger des Angeklagten die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe aus (ON 16).

In ihrer Stellungnahme zum Rechtsmittel vertrat die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck die Ansicht, dass die per E-Mail und damit nicht in zulässiger Form des elektronischen Rechtsverkehrs angemeldete Berufung zurückzuweisen sei und wies ausdrücklich auf die Möglichkeit des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes zufolge falscher Belehrung des Berufungswerbers in Bezug auf die Zulässigkeit von E-Mail-Eingaben hin (Beilage zu ON 20).

Der Verteidiger gab dazu seinerseits eine schriftliche Äußerung ab, in der er soweit hier wesentlich erklärte, dass der „mit den Feinheiten des Hochdeutschen“ und „Details der österreichischen Rechtsordnung“ nicht vertraute Angeklagte nicht über einen „Formzwang“ belehrt worden sei und die Berufungsanmeldung „gegebenenfalls ... jedenfalls zur Verbesserung zurückzustellen gewesen“ wäre, im Übrigen gäbe es keinen Anlass, die „durch Ausfertigung des Ersturteils erledigte Rechtsmittelanmeldung noch einmal in Frage zu stellen“ (Beilage zu ON 20).

Mit Urteil vom , AZ 7 Bs 62/12v (ON 21 der Hv-Akten), wies das Oberlandesgericht Innsbruck nachdem der Angeklagte im Gerichtstag ausdrücklich auf die Unzulässigkeit einer Rechtsmittelanmeldung per E-Mail hingewiesen wurde die Berufung unter Bezugnahme auf § 84 Abs 2 StPO und § 5 Abs 1a der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006; Murschetz , WK StPO § 84 Rz 12 mwN) als unzulässig zurück. In der Begründung ging das Berufungsgericht ausdrücklich von der Richtigkeit der Angaben des Angeklagten in der Berufungsverhandlung aus, wonach er von einer Kanzleimitarbeiterin der Strafabteilung des Landesgerichts Feldkirch telefonisch über die Zulässigkeit einer Berufungsanmeldung per E-Mail belehrt wurde, welchem Umstand jedoch mangels Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrags nicht Rechnung getragen werden konnte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der als „Grundrechtsbeschwerde allenfalls Anregung nach § 363a StPO“ bezeichnete Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO des Verurteilten, mit welchem er nominell eine Verletzung von Art 83 Abs 2 B-VG, Art 6 MRK sowie Art 2 des 7. ZPMRK behauptet.

Gerade noch hinreichend deutlich macht der Antrag geltend, das Berufungsgericht habe § 84 Abs 2 StPO durch die zuvor dargestellte Auslegung in einer mit grundrechtlichen Garantien unvereinbaren Weise angewendet und trotz nach Ansicht des Erneuerungswerbers bestehender verfassungsrechtlicher Bedenken eine Antragstellung nach Art 89 Abs 2 B VG unterlassen. Da diese Problematik nicht Gegenstand der Urteilsanfechtung sein konnte, ist der Erneuerungsantrag zwar zulässig, aber nicht berechtigt (RIS Justiz RS0122737).

Die ins Treffen geführten grundrechtlichen Garantien gewährleisten nämlich keineswegs einen schrankenlosen Zugang zu Gericht, sondern lassen es zu, diesen von verhältnismäßigen und sachlichen Bedingungen, etwa bestimmten Formvorschriften abhängig zu machen (zu Art 6 Abs 1 MRK: Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 51; Miehsler/Vogler IntKomm EMRK Art 6 Rz 279; zu Art 2 des 7. ZPMRK, der schon dem Wortlaut nach einfachgesetzliche Einschränkungen zulässt: Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 155; Meyer-Ladewig EMRK 3 Art 2 7. ZP Rz 3; vgl auch zu Art 83 Abs 2 B-VG: Holzinger in Korinek/Holoubek Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 83 Abs 2 Rz 63 ff mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs).

Wie der Erneuerungswerber selbst einräumt, können gemäß § 84 Abs 2 StPO, „soweit im Einzelnen nichts anderes bestimmt wird“, Rechtsmittel, Rechtsbehelfe und alle sonstigen Eingaben an Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht (nur) schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden (gegen die Zulässigkeit der Eingabe per E-Mail zutreffend: Murschetz , WK-StPO § 84 Rz 12; vgl auch Nordmeyer , WK-StPO § 195 Rz 26). § 466 Abs 1 iVm § 489 Abs 1 StPO enthält keine abweichende Regelung für die Berufungsanmeldung im Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter; eine Anmeldung per E-Mail ist daher nicht zulässig.

Die damit normierte unterschiedliche Behandlung von den in § 84 Abs 2 StPO genannten Eingabeformen einerseits und Eingaben per E-Mail andererseits ist schon mit Blick auf die nur in letzterem Fall gegebenen Unwägbarkeiten, etwa Sicherheitsrisiken aufgrund möglicher Manipulationen im Internet, die fehlende sichere Zuordnungsmöglichkeit solcher Eingaben zu einer bestimmten Person und die mangels eigener E-Mail-Adressen österreichischer Gerichte nicht bestimmbare Rechtzeitigkeit von fristgebundenen Eingaben per E-Mail, sachlich gerechtfertigt (vgl zum Ganzen zutreffend die kritischen Ausführungen von Gitschthaler EF-Z 2011/104, zu der die Zulässigkeit eines per E-Mail an den Gerichtskommissär übermittelten Separationsantrags im Verlassenschaftsverfahren bejahenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, AZ 10 Ob 28/11g, samt Auseinandersetzung mit Kommentarmeinungen [va Konecny in Fasching/Konecny ZPO², § 74 Rz 20, 21, 56 ff]; vgl auch Thiele , MR 2000, 281).

Grundrechtswidrige Gesetzesanwendung oder pflichtwidriges Unterlassen der Normanfechtung (Art 89 Abs 2 B-VG) ist dem Rechtsmittelgericht demnach nicht vorzuwerfen. Sonstige Grundrechtsverletzungen legt der Antrag nicht deutlich und bestimmt dar (RIS Justiz RS0124359).

Im Übrigen scheidet die Annahme einer planwidrigen Lücke in § 84 Abs 2 StPO als Voraussetzung einer Analogie (auf einfachgesetzlicher Ebene) schon mit Blick auf die gesetzgeberische Tätigkeit der letzten Jahre aus: Mit dem Strafprozessreformgesetz, BGBl I 2004/19, wurde dem technischen Fortschritt und modernen Kommunikationstechniken insoweit Rechnung getragen, als in der § 6 StPO aF nachfolgenden Bestimmung des § 84 Abs 2 StPO Eingaben per Telefax und im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) ausdrücklich zugelassen, (schon damals im Alltag als Kommunikationsform längst gebräuchliche) E-Mails jedoch nicht in die Regelung aufgenommen wurden. Anlässlich der mit dem Ziel einer Entlastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 4) vorgenommenen Novellierung des § 84 Abs 2 StPO durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, fand diese mit erheblichem Mehraufwand für die Gerichte verbundene (vgl dazu erneut Gitschthaler EF Z 2011/104 [175]) Eingabeform (vgl hingegen § 13 Abs 2 AVG; vgl auch § 86a BAO) abermals nicht Eingang in die Bestimmung. Die Regelung der näheren Vorgangsweise bei der elektronischen Übermittlung von Eingaben wurde übrigens schon davor einer Verordnung des Bundesministers für Justiz vorbehalten (§ 89b GOG), nach welcher E-Mails ausdrücklich keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs sind (§ 5 Abs 1a ERV 2006).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass aus dem dargestellten Verhalten des Verteidigers, insbesondere dem Unterbleiben eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trotz ausdrücklicher dahingehender Hinweise von Oberstaatsanwaltschaft und Berufungsgericht, keine Verpflichtung des Oberlandesgerichts resultierte, im Interesse des Angeklagten einzugreifen. Eine solche wird vom EGMR nur bei groben Versäumnissen des Pflichtverteidigers bejaht (vgl EGMR , Czekalla , Nr 38.830/97, Newsletter 2002, 209; EGMR , Saez Maeso , Nr 77.837/01, Newsletter 2004, 274) nicht jedoch bei wenn auch (wie hier) schwerwiegenden Fehlleistungen eines Wahlverteidigers, weil dessen Verhältnis zum Angeklagtem nicht von der Garantie des Art 6 Abs 3 lit c MRK umfasst ist (14 Os 42/09x; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 315; Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 114; Kühne IntKomm EMRK Art 6 Rz 566 ff).

Der Antrag war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2012:0140OS00051.12Z.0612.000