OGH vom 30.08.2016, 8Ob82/16s

OGH vom 30.08.2016, 8Ob82/16s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der I*****, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 7 R 77/16b 86, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lilienfeld vom , GZ 2 S 8/11b 82, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Dies erfolgte über Antrag einer Gläubigerin, dem sich die Schuldnerin anschloss. Mit ihrem Antrag legte die Schuldnerin ein Vermögensverzeichnis nach § 185 IO vor. Darin gab sie unter anderem an, über keine Grundstücke oder Rechte an unbeweglichen Sachen zu verfügen und keine entgeltlichen oder unentgeltlichen Verfügungen innerhalb der letzten zehn Jahre an Angehörige vorgenommen zu haben. Mit Beschluss vom wurde Mag. ***** L***** zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser teilte dem Insolvenzgericht mit, dass die Schuldnerin möglicherweise Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft in Spanien sei. Die Überprüfung gestalte sich allerdings als schwierig. Die Schuldnerin habe auf ihren Schwiegervater verwiesen und erklärt, nichts von einem Recht an der Liegenschaft in Spanien zu wissen.

Am richtete der Insolvenzverwalter eine Sachverhaltsmitteilung an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Abgabe eines falschen Vermögensverzeichnisses (§ 292a StGB). Das Strafverfahren wurde im Juli 2013 mit Diversion erledigt.

Im Strafverfahren ergab sich, dass Eigentümer der Liegenschaft in Spanien der Ehegatte der Schuldnerin ist und der Schuldnerin an einer Liegenschaftshälfte das Fruchtgenussrecht zusteht. Diese Liegenschaftshälfte wurde von der Schuldnerin – aufgrund eines vor einer Notarin abgeschlossenen Kaufvertrags – am an ihren Ehegatten übertragen.

Mit Bericht vom teilte der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht mit, dass die Schuldnerin ihr Hälfteeigentum an einer Liegenschaft (Eigentumswohnung) in Alicante am um 20.800 EUR an ihren Ehegatten verkauft habe und ihr seitdem ein Wohnrecht an der Liegenschaft zustehe.

Der von der Schuldnerin angebotene Zahlungsplan wurde nicht angenommen. Dem Antrag der Schuldnerin auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens trat eine Gläubigerin mit der Begründung entgegen, dass die Schuldnerin die Übertragung ihres Hälfteeigentums an einer Wohnung in Spanien im Vermögensverzeichnis nicht angegeben habe.

Das Erstgericht gab dem Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens (im zweiten Rechtsgang) statt. Der Hinweis der Schuldnerin auf ihre Gedächtnislücken sei auf Basis des eingeholten Sachverständigengutachtens unglaubwürdig. Allerdings habe die Schuldnerin ihr dingliches Recht an der Wohnung in Spanien nicht gänzlich verschwiegen, weil sie gegenüber dem Insolvenzverwalter sinngemäß auf das Wohnungsrecht hingewiesen habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Gläubigerin Folge und wies den Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens wegen des Einleitungshindernisses nach § 201 Abs 1 Z 2 IO ab. Da die von der Schuldnerin ins Treffen geführten Gedächtnisstörungen auf einen „gesteuerten Ausfall des Erinnerns“ zurückzuführen sei, beruhe das Verschweigen des Fruchtgenussrechts und der Transaktion im Jahr 2006 nicht nur auf leichter Fahrlässigkeit. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Schuldnerin, der auf eine Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs zulässig, weil zur Beurteilung des Einleitungshindernisses des § 201 Abs 1 Z 2 IO eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Der Revisionsrekurs der Schuldnerin ist aber nicht berechtigt.

1. Ausgehend von der ermittelten Sachverhaltsgrundlage

- hat die Schuldnerin das ihr nach dem Grundbuchsstand zustehende Fruchtgenussrecht an der Liegenschaftshälfte in Spanien im Vermögensverzeichnis nach § 185 IO nicht angegeben,

- hat sie das Eigentum an diesem Hälfteanteil im Jahr 2006 auf Grundlage einer notariellen Urkunde an ihren Ehegatten um 20.800 EUR übertragen,

- haben sich die von ihr ins Treffen geführten krankheitsbedingten Gründe für die angeblichen Gedächtnislücken nicht bestätigt und

- wurde das gegen die Schuldnerin geführte Strafverfahren wegen Abgabe eines falschen Vermögensverzeichnisses nach § 292a StGB mit Diversion erledigt.

2. Soweit die Schuldnerin meint, sie habe jedenfalls nicht grob fahrlässig gehandelt, weil sie unter der Anleitung ihres Ehegatten gestanden sei, ist ihr nicht zu folgen. Aus dem ermittelten Sachverhalt ergibt sich, dass die Schuldnerin die ihr zustehenden dinglichen Rechte an der Liegenschaftshälfte in Spanien im Vermögensverzeichnis bewusst verschwiegen hat. Die von ihr ins Treffen geführten Gedächtnislücken haben sich nicht bewahrheitet. Auch wenn sie in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Ehegatten stehen mag, ist dieser Umstand nicht geeignet, den Vorwurf der zumindest groben Fahrlässigkeit zu entkräften.

3.1 Weiters vertritt die Schuldnerin den Standpunkt, dass die Auskunftspflicht durch ein unrichtiges Vermögensverzeichnis nicht verletzt werde und dies jedenfalls für die Nichtangabe des Fruchtgenussrechts gelte, weil dieses nicht verwertbar sei. Außerdem habe sie das Vermögensverzeichnis gegenüber dem Insolvenzverwalter ergänzt.

Auch mit diesen Ausführungen ist die Schuldnerin nicht im Recht.

3.2 Wie in der Entscheidung 8 Ob 135/12d dargelegt wurde, sieht der Gesetzgeber die Restschuldbefreiung – die mit dem Abschöpfungsverfahren angestrebt wird – als Vorteil an, der nur redlichen Schuldnern gebühren soll, die sich den Gläubigern gegenüber nichts zu Schulden kommen lassen. Daher ist bestimmten Personen aus den Gründen des § 201 IO das Abschöpfungsverfahren auf Gläubigerantrag versperrt. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 1218 BlgNR 18. GP 29) soll die Umschreibung der verschiedenen Fallgruppen in § 201 Abs 1 KO (IO) eine Orientierungshilfe für Schuldner und Gläubiger sein, sodass diese von vornherein wissen, unter welchen Bedingungen das Privileg der Restschuldbefreiung erteilt oder versagt werden kann. Der Zweck der Einleitungshindernisse liegt darin, das Wohlverhalten des Schuldners sicherzustellen. Genau aus diesem Grund besteht an den Schuldner, der das Privileg der Restschuldbefreiung in Anspruch nehmen will, die Anforderung der Redlichkeit. Nur wenn das künftige Wohlverhalten gesichert erscheint, kann auch erwartet werden, dass der Schuldner die ihm durch das Abschöpfungsverfahren auferlegten Einschränkungen einhalten wird. Dies bedeutet, dass an den Schuldner das Postulat der allgemeinen Rechtstreue zu stellen ist.

Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen sind die Verpflichtungen des Schuldners und die an sein Verhalten anzuknüpfenden Konsequenzen vor allem unter Bedachtnahme auf das Postulat der Rechtstreue und seines Wohlverhaltens im Insolvenzverfahren zu beurteilen.

3.3 Nach § 201 Abs 1 Z 2 IO liegt ein Einleitungshindernis dann vor, wenn der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten während des Insolvenzverfahrens verletzt hat. Dem Schuldner muss somit eine Verletzung von Pflichten nach der IO vorzuwerfen sein. Zu den Pflichten hinsichtlich der Ermittlung der Vermögenslage gehört vor allem jene zur Offenlegung des Vermögens. Dazu enthält die IO explizite Anordnungen in den §§ 100, 100a und 185 IO. Nach § 100 IO ist der Schuldner verpflichtet, durch Vorlage eines „ausführlichen“ Vermögensverzeichnisses an der Feststellung der Aktiva und Passiva mitzuwirken. Der Inhalt des Vermögensverzeichnisses ergibt sich aus § 100a IO, der für natürliche Personen durch § 185 IO konkretisiert wird (vgl Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 185 KO Rz 1; Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 100 KO Rz 1). Nach §§ 100a, 185 IO sind die Vermögensstücke, Forderungen und Verbindlichkeiten sowie auch gewisse Verfügungen über Vermögensgegenstände in das Vermögensverzeichnis aufzunehmen.

Von der Auskunftspflicht sind somit unter anderem alle Sachen und Rechte erfasst, die bei objektiver Betrachtung einen Vermögenswert haben können. Der Begriff des „Vermögens“ ist weit zu verstehen. Dazu gehören alle effektiven Bestandteile des wirtschaftlichen Vermögens (vgl Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 201 KO Rz 3). Jedenfalls von der Offenlegungspflicht ist auch das im Ausland gelegene Vermögen des Schuldners erfasst.

4. Wenn der Schuldner sein Vermögen im Vermögensverzeichnis nicht offengelegt hat, so stellt dies eine relevante Pflichtverletzung nach § 201 Abs 1 Z 2 IO dar. Ob das Vermögen im konkreten Fall verwertbar ist, ist nicht entscheidend. Die Frage nach der Verwertbarkeit ist im Rahmen des Verfahrens unter Heranziehung der zur Verfügung stehenden Sachkunde zu beurteilen. Auf die subjektive Einschätzung des Schuldners kommt es nicht an. Vielmehr ist das Vermögensverzeichnis nach seiner Zweckbestimmung auf Vollständigkeit und Richtigkeit ausgerichtet. Durch die Bereitstellung des Formulars für das Vermögensverzeichnis wird die Vermögensangabe erleichtert. An den Schuldner besteht daher die Anforderung, sämtliche darin gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten (vgl Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 201 KO Rz 3).

Nach diesen Grundsätzen kann sich die Schuldnerin im Anlassfall nicht darauf berufen, dass nur „Aktiven unter Anführung ihres Betrags oder Werts“ angegeben werden müssten, was deren Verwertbarkeit voraussetze.

5. Nach Maßgabe des Postulats der Rechtstreue des Schuldners ist sein Wohlverhalten in jeder Phase des Insolvenzverfahrens zu verlangen. Dies bedeutet, dass seine Redlichkeit auch schon allein mit Bezug auf das Vermögensverzeichnis zu beurteilen ist. Wird das Vermögensverzeichnis unrichtig oder unvollständig ausgefüllt und ist in dieser Hinsicht der vom Gesetz verlangte Verschuldensvorwurf berechtigt, so kann dieses Manko nicht dadurch beseitigt werden, dass die unterlassenen Angaben in der Folge gegenüber dem Insolvenzverwalter nachgeholt werden. Der Umstand, dass der Schuldner unrichtige Angaben in einem späteren Verfahrensstadium richtig stellt oder die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit vom Insolvenzverwalter aufgeklärt wird, ändert somit nichts am Vorliegen des in Rede stehenden Einleitungshindernisses, wenn dieses zuvor durch Verletzung der Aufklärungspflicht verwirklicht wurde (vgl im Ergebnis Kodek , Privatkonkurs 2 Rz 532).

Abgesehen von diesen Erwägungen könnte sich die Schuldnerin nicht einmal auf eine Aufklärung gegenüber dem Insolvenzverwalter berufen. Auch diesem gegenüber gab sie an, selbst von einem Recht an der spanischen Liegenschaft nichts zu wissen.

6. Im Schrifttum ist strittig, ob unter das in Rede stehende Einleitungshindernis nur ein unrichtiges Vermögensverzeichnis fällt, das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens errichtet wurde ( Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 201 KO Rz 3), oder auch ein solches, das dem Eröffnungsantrag des Schuldners angeschlossen oder im Eröffnungsverfahren erstellt wurde ( Kodek , Privatkonkurs 2 Rz 532).

Bei Beurteilung dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass nach § 100 Abs 1 IO in jedem Insolvenzverfahren vom Schuldner ein „genaues“ Vermögensverzeichnis vorzulegen ist. Wurde ein solches nicht schon mit dem Eröffnungsantrag oder im Rahmen des Eröffnungsverfahrens vorgelegt, so hat das Insolvenzgericht den Schuldner zur unverzüglichen Vorlage anzuhalten. Daraus folgt, dass das speziell für das Insolvenzverfahren vorgesehene Vermögensverzeichnis auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erstellt werden kann und dieses in der Folge für das Insolvenzverfahren herangezogen wird. Der Zeitpunkt, zu dem das Vermögensverzeichnis erstellt wird, ist demnach nicht entscheidend. Vielmehr ist maßgebend, dass es sich um ein Vermögensverzeichnis nach den §§ 100, 100a, 185 IO handelt. Der Ausdruck „während des Insolvenzverfahrens“ in § 201 Abs 1 Z 2 IO ist in diesem Sinn weit zu verstehen. Daher fallen auch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Vermögensverzeichnis, das mit dem Eröffnungsantrag oder im Eröffnungsverfahren vorgelegt wird, unter § 201 Abs 1 Z 2 IO.

7. Insgesamt ist der Schuldnerin somit eine zumindest grob fahrlässige Verletzung ihrer Auskunfts- und Mitwirkungspflichten durch unrichtige Angaben im „genauen“ Vermögensverzeichnis nach § 185 IO vorzuwerfen.

Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit diesem Ergebnis im Einklang. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00082.16S.0830.000