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OGH vom 07.11.1990, 9ObA259/90

OGH vom 07.11.1990, 9ObA259/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichshofes Dr.Gamerith und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler und Dr.Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechssache der klagenden Partei Johann R***, Wien 11., Hauffgasse 37/1/4/21, vertreten durch Dr.Johannes Jaksch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö*** B***, Wien 1.,

Elisabethstraße 9, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung, Erbringung wiederkehrender Leistungen und Zahlung von S 96.154,10 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Ra 133/89-31, womit der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom ,GZ 4 Cga 1925/87-26, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird nach Ergänzung des Verfahrens die neuerliche Beschlußfassung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist aufgetragen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Berufung des Klägers wurde vom Berufungsgericht als verspätet zurückgewiesen. Ohne einen bestimmten Sachverhalt als bescheinigt anzunehmen (vgl § 149 Abs 1 ZPO) wies das Erstgericht die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ab. Selbst wenn man der Ansicht des Wiedereinsetzungswerbers folge, seinen sonst zuverlässigen Vertreter treffe auf Grund des für ihn unvorhergesehen eingetretenen Zeitdrucks an der Versäumung der Berufungsfrist nur ein minderer Grad des Verschuldens, so daß gemäß § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sei, müsse bedacht werden, daß er die 14tägige Notfrist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages versäumt habe. Diese Frist habe nämlich nicht erst mit der Zustellung des Beschlusses des Berufungsgerichtes über die Zurückweisung der verspäteten Berufung, sondern mit dem Tag der zumutbaren Aufklärung der Säumnis begonnen; dies sei der auf die Abwesenheit des Vertreters folgende Werktag gewesen, weil an diesem die Kontrolle, ob die Berufung auch rechtzeitig abgesandt worden sei, möglich gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers blieb aus den bereits vom Erstgericht dargelegten Gründen erfolglos. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich des Feststellungsbegehrens S 50.000 übersteige.

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

In Arbeits- und Sozialrechtssachen gilt die Revisionsrekursbeschränkung des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht; vielmehr ist gemäß § 47 Abs 1 ASGG iVm § 46 Abs 1 ASGG auch gegen bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichts der Revisionsrekurs stets uneingeschränkt zulässig, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteigt. Der Revisionsrekurs gegen die Verweigerung der Wiedereinsetzung ist daher zulässig. Zu bemerken ist vorerst, daß der Spruch des Erstgerichts insoweit verfehlt ist, als es den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen und nicht zurückgewiesen hat. Es gab dem Antrag nämlich nicht deshalb nicht Folge, weil es ihn als unberechtigt ansah, sondern weil es meinte, die 14tägige Frist des § 148 Abs 2 ZPO sei nicht eingehalten worden. Wird die Frist zur Erhebung des Rechtsbehelfes nicht eingehalten, so ist der Antrag zurückzuweisen (§ 148 Abs 3 ZPO). Der rekursgerichtliche Beschluß ist infolgedessen jedenfalls insofern unzutreffend, als es den erstgerichtlichen Beschluß - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung - nur mit dieser Maßgabe hätte bestätigen dürfen.

Zu prüfen ist daher vorerst, ob der Wiedereinsetzungsantrag verspätet ist. Gemäß § 148 Abs 2 zweiter Satz ZPO beginnt die Frist mit dem Tage, an dem das Hindernis, welches die Versäumung verursacht hat, weggefallen ist. Bei Vorliegen eines Irrtums beginnt der Lauf der Frist mit seiner Aufklärung (10 Ob S 91/90). Die Unterinstanzen vertreten die Rechtsmeinung, daß die Frist bereits dann beginnt, wenn der Irrtum bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte auffallen können; dies wäre bei einer dem Parteienvertreter zumutbaren Kontrolle der Kanzleitätigkeit der nächste Werktag nach seiner unvorhergesehenen Abwesenheit am Nachmittag des letzten Tages der Rechtsmittelfrist gewesen.

Der Oberste Gerichtshof teilt zwar die Rechtsansicht der Unterinstanzen, daß der Lauf der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits mit seiner möglichen Aufklärung beginnen kann, so daß es also nicht darauf ankommt, wann das die Versäumung verursachende Ereignis weggefallen ist, sondern wann es weggefallen sein könnte. Entgegen den Unterinstanzen ist er aber der Ansicht, daß diese Frist jedenfalls nur dann in Lauf gesetzt werden kann, wenn die mögliche Aufklärung nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehens unterblieben ist. Es darf nämlich bei der Beurteilung dieser Frage kein strengerer Maßstab angelegt werden als bei der Versäumung der Frist selbst.

Dies ergibt sich schon daraus, daß die ZPONov 1983 die Bestimmung des § 151 ZPO aufgehoben hat, so daß nunmehr auch eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages zulässig ist. Die Partei soll nicht deshalb ihres Rechtes verlustig gehen, weil ihr ein weiteres Mal ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zugestoßen ist (669 BlgNR 15.GP, 50). Um die aus der Rechtsprechung vor dieser Novelle sich immer wieder ergebenden Härten zu mildern, hindert seither ein minderer Grad des Versehens der Partei oder ihres Vertreters, dessen Versehen sich die Partei gemäß § 39 ZPO zurechnen lassen muß, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Ein solcher Grad minderen Versehens (die Erläuterungen, 1337 BlgNR 15.GP, 10, verweisen auf § 2 DHG) liegt vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, wenn also ein Fehler begangen wird, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Parteienvertreter unterläuft. Dieser darf sohin nicht auffallend sorglos gehandelt haben (EvBl 1987/94 ua), indem er die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. War die Versäumung voraussehbar und hätte sie durch ein zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen und ermöglichen jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisherigen objektiver Eignung und Bewährung des Kanzleiangestellten unterlaufen sind (Fasching, Lehrbuch2 Rz 580). Ausgehend von dem Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers, das zwar von den Vorinstanzen nicht ausdrücklich als bescheinigt angenommen, aber ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt wurde, ist der Wiedereinsetzungsantrag nicht verspätet: Aus welchem Grund die Absendung der angeblich noch rechtzeitig (nämlich am letzten Tag der Berufungsfrist) verfaßten Berufung am Freitag, dem unterblieb und ob die hiefür zuständigen Kanzleiangestellten an sich verläßliche Personen sind, kann für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages dahingestellt bleiben, weil nach dem Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers in der Kanzlei seines Vertreters ohnedies eine Kontrolle der rechtzeitigen Absendung von Friststücken durch den in der Sache betrauten Rechtsanwalt üblich sein soll. Sie soll jedoch an diesem Tag wegen eines unerwarteten auswärtigen Termins dieses Rechtsanwalts unterblieben sein. In der Unterlassung der am Montag, dem möglichen ex-post-Kontrolle der rechtzeitigen Absendung der Berufung und daher der Möglichkeit, bereits damals die Versäumung der Rechtsmittelfrist zu bemerken, kann eine auffallende Sorglosigkeit im Verkehr mit den Gerichten und in der Einhaltung und Kontrolle der Fristen, somit ein grobes Verschulden des Parteienvertreters nicht erblickt werden.

Hieraus folgt, daß dem Vertreter des Klägers die Versäumung der Berufungsfrist am nur aus einem Grad minderen Versehens, nicht aber aus grober Sorglosigkeit nicht aufgefallen ist, so daß die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages erst am Tag, als der Irrtum durch Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses aufgefallen ist, zu laufen begann. Der Wiedereinsetzungsantrag war daher rechtzeitig.

Eine Sachentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist derzeit aber noch nicht möglich. Die Beschlüsse der Vorinstanzen müssen aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Beschlußfassung zuückverwiesen werden. Das Erstgericht ließ nämlich nicht nur wegen seiner abweichenden Rechtsansicht zur Frage der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages die Frage offen, ob die Wiedereinsetzung zu bewilligen wäre, sondern es unterließ auch, hiezu einen Sachverhalt als bescheinigt anzunehmen. Dem Erstgericht wird daher aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens den Sachverhalt festzustellen, den es als bescheinigt ansieht. Sollte es einen dem Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers im wesentlichen entsprechenden Sachverhalt als bescheinigt annehmen, wird dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben sein. Verneint man nämlich ein grobes Verschulden des Parteienvertreters wegen der Unterlassung der theoretisch möglichen ex-post-Kontrolle der rechtzeitigen Absendung der Berufung, kann in der Unterlassung der Kontrolle der rechtzeitigen Absendung der bereits verfaßten Berufung wegen unvorhergesehener beruflicher Abwesenheit erst recht kein die Wiedereinsetzung hinderndes grobes Verschulden erblickt werden.