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OGH vom 25.02.2020, 14Os5/20x

OGH vom 25.02.2020, 14Os5/20x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. SetzHummel in Gegenwart der Schriftführerin Dr. Ondreasova in der Strafsache gegen Iris M***** und andere Beschuldigte wegen Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB, AZ 11 St 72/17x der Staatsanwaltschaft Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , AZ 49 Bl 74/18s (ON 23 des Ermittlungsakts), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Beschuldigten Dr. Gerald D***** sowie der Verteidiger Dr. Galler und Dr. Ebner zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , AZ 49 Bl 74/18s, verletzt § 195 Abs 1 Z 1 und 2, sowie § 86 Abs 1 vierter Satz StPO.

Text

Gründe:

Bei der Staatsanwaltschaft Salzburg war zu AZ 11 St 72/17x (unter anderem) gegen Iris M*****, Norbert S*****, Sabine B*****, Dr. Gerald D*****, Manfred K***** und Martina E***** ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB im von der Klägerin Mag. Dr. Waltraud R*****, MBA geführten Verfahren AZ 20 Cga 79/14s des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht anhängig (ON 1 S 2 iVm ON 2).

Am stellte die Staatsanwaltschaft Salzburg das Ermittlungsverfahren (erneut) „gemäß § 190 Z 1 StPO“ ein (ON 1 S 7) und begründete dies (auf Antrag des Opfers Mag. Dr. Waltraud R*****, MBA und in einer Stellungnahme zum Fortführungsantrag der Genannten) im Wesentlichen damit, dass die Aussagen der im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht als Zeugen vernommenen Beschuldigten, die ihre Angaben im Ermittlungsverfahren aufrecht hielten, als „stimmig und (…) glaubwürdig zu erachten“ und „in den wesentlichen Punkten konform“ seien. Überdies würden sie in weiten Teilen nur „subjektive Ansichten, Wertungen und emotionale Erfahrungen beinhalten“. Insgesamt würden sich „keine Anhaltspunkte [ergeben], welche einen Anfangsverdacht“ (zum Begriff s aber § 1 Abs 2 und 3 StPO; daher ersichtlich gemeint: einen weiterbestehenden Verdacht) „in Richtung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung, insbesondere in Richtung einer falschen Beweisaussage gegen einen der Beschuldigten begründen“. Es sei „nicht ersichtlich, dass einer der Beschuldigten über vergangene und gegenwärtige äußere und innere Tatsachen zu dem tatsächlichen objektiven Geschehen Widersprüchliches angegeben habe und sich dessen auch bewusst gewesen sei“. Dass die Aussagen der Beteiligten nicht in sämtlichen Details übereinstimmen können, liege „in der Natur der Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit“ und sei „kein Beleg für vorsätzlich unrichtiges Wiedergeben von Wahrnehmungen“. Es bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme objektiv falscher Angaben der (nunmehr) Beschuldigten, aber selbst im Fall der „Bejahung eines Anfangsverdachts in Richtung des Vergehens der falschen Beweisaussage läge in Abwägung des gesamten Akteninhaltes keine einen Strafantrag rechtfertigende ausreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit vor“ (ON 18 und ON 20).

Das Landesgericht Salzburg gab am zu AZ 49 Bl 74/18s dem auf § 195 Abs 1 Z 1 und 2 StPO gestützten Antrag (ON 19, 21) des Opfers Mag. Dr. Waltraud R*****, MBA, auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen die genannten Beschuldigten aus dem Grund des § 195 Abs 1 Z 1 StPO statt (ON 23). Begründend führte es aus, die Antragstellerin zeige auf, dass „die jeweils maßgeblichen negativen Sachverhaltsannahmen zu den Vorwürfen durch die Staatsanwaltschaft Salzburg offenbar unzureichend begründet sind“ und „aktenkundige Beweismittel, von denen eine weitere relevante Klärung des Sachverhalts noch möglich gewesen wäre und die zu einer Intensivierung des Tatverdachts führen hätten können“, von der Staatsanwaltschaft nicht aufgenommen worden seien. Diese habe sich „nicht mit den angeblich falschen objektiven Angaben jedes Beschuldigten einzeln auseinandergesetzt und die jeweilige Nichtannahme einer objektiven Unrichtigkeit (…) nicht mängelfrei begründet“. Die „einzelnen Angaben der Aussage jedes Beschuldigten stellen (…) auch Äußerungen über Tatsachen, sohin objektiv überprüfbare Umstände“ dar. Zudem beziehe sich die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Nichtannahme einer objektiven Unrichtigkeit in den Aussagen pauschal auf sämtliche Beschuldigte.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt der Beschluss des Landesgerichts Salzburg das Gesetz:

Gemäß § 86 Abs 1 StPO hat (auch) ein Beschluss, mit dem die Fortführung eines Ermittlungsverfahrens aufgetragen wird, (unter anderem) eine Begründung zu enthalten, in der die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Überlegungen auszuführen sind, die der Entscheidung zugrunde liegen. Diese Pflicht zur Angabe der rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhaltsannahmen beinhaltet auch jene zur Darlegung der Beweise, auf denen diese Annahmen beruhen. Die Tatsachengrundlage der Entscheidung wird damit überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsdefizit iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen wurde (vgl RIS-Justiz RS0132725; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 7; zu bekämpfbaren Beschlüssen siehe auch § 89 Abs 2a Z 3 StPO). Betrifft die Verfahrensfortführung mehrere Personen und/oder mehrere Taten (zum Tatbegriff vgl Ratz, WK2 StGB Vor § 28–31 Rz 1, 19 ff; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 22; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502), muss das Gericht diesen Begründungserfordernissen hinsichtlich aller Beschuldigter und/oder aller historischer Lebenssachverhalte gerecht werden.

Bei der Entscheidung nach § 196 Abs 1 erster Satz StPO korreliert die Begründungspflicht des Gerichts darüber hinaus mit jener des Fortführungswerbers zur einzelnen und bestimmten Bezeichnung der Gründe, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) oder die erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der der Einstellungsentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen (Z 2 leg cit) abzuleiten sind (§ 195 Abs 2 dritter Satz StPO). Das Gericht darf somit nur vom Antragsteller (gesetzmäßig) geltend gemachte Argumente gegen die Einstellung für seine Beurteilung heranziehen und hat diese in der Entscheidungsbegründung darzulegen (vgl RIS-Justiz RS0126210; Nordmeyer, WKStPO § 195 Rz 29 f, § 196 Rz 13).

Gründet die Staatsanwaltschaft eine Verfahrenseinstellung auf die Annahme, dass mehrere Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind, muss das Gericht – auf Basis des Fortführungsantrags und dem Gebot zur Beachtung der Gesamtheit der Einstellungsgründe folgend (vgl zur Gesamtheit der Entscheidungsgründe als Bezugspunkt von Mängel- und Tatsachenrüge nach § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO RIS-Justiz RS0119370, RS0118780 [T1], RS0117961 [T1, T 3]) – für alle der Tatbestandsmäßigkeit entgegenstehenden Argumente die Gründe einzeln und bestimmt bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind (vgl § 195 Abs 2 vierter Satz StPO). Bekämpft somit ein Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens nicht alle die Täterschaft eines Beschuldigten ausschließenden Umstände, die der Einstellungsbegründung zugrunde liegen, oder teilt das Gericht die Argumente des Fortführungswerbers nicht hinsichtlich aller tatbestandausschließenden Annahmen der Staatsanwaltschaft, ist eine Verfahrensfortführung ausgeschlossen.

Stützt das Gericht demnach die Anordnung der Fortführung eines Ermittlungsverfahrens auf den willkürlichen Gebrauch des der Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung über die Einstellung zukommenden Ermessens (vgl dazu RIS-Justiz RS0126209; Nordmeyer, WKStPO § 196 Rz 15 ff mwN), darf es sich nicht nur mit einzelnen von mehreren Aspekten der Einstellungsbegründung auseinandersetzen, sondern hat Willkür (für alle Beschuldigten und/oder jede Tat) aus der Gesamtheit der für die Verfahrenseinstellung maßgeblichen Erwägungen der Staatsanwaltschaft (allenfalls in Zusammenschau mit dem Ermittlungsakt) abzuleiten (vgl RIS-Justiz RS0132725 [T1], RS0119370). Dabei ist deutlich und bestimmt anzugeben, hinsichtlich welcher entscheidenden Tatsachen (hier: solcher Umstände, die für die Frage der Begehung einer bestimmten strafbaren Handlung durch einen Beschuldigten relevant sind und damit die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung beeinflussen [vgl zu entscheidenden Tatsachen im Übrigen Ratz, WKStPO § 281 Rz 399; RIS-Justiz RS0099497]) die Einstellungsbegründung undeutlich, unvollständig, widersprüchlich, offenbar unzureichend, aktenwidrig oder erheblich bedenklich ist (zur diesbezüglichen Argumentation im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde vgl Ratz, WKStPO § 281 Rz 418 ff). Im Fall einer aus Sicht des Antragstellers und des Gerichts vorliegenden Unvollständigkeit der Einstellungsbegründung hat nicht nur Ersterer, sondern auch Letzteres die übergangenen Ergebnisse des Beweisverfahrens in Betreff entscheidender Tatsachen deutlich und bestimmt zu bezeichnen (RIS-Justiz RS0126211 [T3]).

Eine nach objektiven Kriterien und der allgemeinen Lebenserfahrung unvertretbare Lösung der Beweisfrage (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO) darf das Gericht wiederum nur annehmen, wenn der Einstellungsentscheidung unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Einstellungsgründe eine unerträgliche Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung in Betreff entscheidender Tatsachen zu Grunde liegt, also im Ermittlungsverfahren gewonnene (und konkret bezeichnete [vgl RIS-Justiz RS0117446]) Beweismittel gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der Entscheidung (hier:) nach § 190 StPO aufkommen lassen und diese intersubjektiv (gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen) eine unrichtige Lösung der Verfahrenseinstellung in Betreff der einzelnen Beschuldigten und/oder einzelner Taten qualifiziert nahelegen (RIS-Justiz RS0126211; zur vergleichbaren Ausgangslage bei § 281 Abs 1 Z 5a StPO vgl RIS-Justiz RS0118780; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 490).

Wird der Staatsanwaltschaft (ähnlich einer Aufklärungsrüge nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO [vgl Ratz, WKStPO § 281 Rz 477 ff]) ein gravierender Verstoß gegen die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung und eine daraus resultierende Falschbeurteilung der Einstellungsvoraussetzungen unterstellt (vgl dazu Nordmeyer, WKStPO § 196 Rz 21), hat das Gericht (in Betreff jedes Beschuldigten und/oder jeder Tat) darzulegen, welche entscheidenden Tatsachen unaufgeklärt geblieben sind und/oder welche aktenkundigen Beweise aufzunehmen gewesen wären, die – unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Einstellungsgründe zu einer (weiteren) relevanten Klärung und dadurch einer Intensivierung des Tatverdachts geführt hätten. Im Fall der Stattgebung des Fortführungsantrags infolge Mängel der Sachverhaltsermittlung hat das Gericht daher auszuführen, welche Beweise zur vollständigen Klärung des Sachverhalts im fortgeführten Ermittlungsverfahren aufzunehmen sind (13 Os 19/14i; Nordmeyer, WKStPO § 196 Rz 34).

Im vorliegenden Fall bezieht sich der Beschluss des Landesgerichts Salzburg pauschal auf sämtliche vom Fortführungsantrag betroffenen Beschuldigten und ihre Aussagen als Zeugen im Verfahren AZ 20 Cga 79/14s des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht, ohne die jeweils rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhaltsannahmen (also jene Aussagen, die aus Sicht der Fortführungswerberin und [dieser folgend] des Landesgerichts Salzburg entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft in objektiver Hinsicht den Tatbestand des § 288 Abs 1 StGB erfüllen) konkret zu nennen und damit einen Bezug zu den vom Auftrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens betroffenen Taten herzustellen.

Indem das Gericht nur die beweiswürdigenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur objektiven Tatseite (ohne den inhaltlichen Begründungserfordernissen gerecht zu werden) pauschal kritisiert, nimmt es nicht an der Gesamtheit der Einstellungserwägungen Maß und unterlässt eine (mangelfreie) Auseinandersetzung mit der von der Staatsanwaltschaft ebenfalls verneinten subjektiven Tatseite aller Beschuldigten.

Unter Bezugnahme auf die Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft resümiert das Gericht unsubstantiiert, dass „die negativen Sachverhaltsannahmen zu den Vorwürfen […] offenbar unzureichend begründet“ seien (BS 4), ohne (von der Fortführungswerberin hinreichend deutlich angesprochene) entscheidende Tatsachen konkret zu nennen, die durch die Staatsanwaltschaft den Regeln der Logik und Empirie widersprechend begründet wurden. Damit wird ein willkürlicher Ermessensgebrauch der Staatsanwaltschaft nicht einzeln und bestimmt aufgezeigt.

Soweit das Landesgericht Salzburg den Auftrag zur Verfahrensfortführung (auch) auf einen Verstoß gegen die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung stützt, unterlässt es die Angabe, welche konkreten Beweise zur vollständigen Klärung des Sachverhalts aufzunehmen wären.

Insgesamt zeigt der Beschluss somit keine die Fortführung des Ermittlungsverfahrens begründende Mangelhaftigkeit der staatsanwaltschaftlichen Beurteilung auf, weshalb die Tatsachengrundlage für die Anordnung der Verfahrensfortführung hinsichtlich aller Beschuldigter nicht in formal einwandfreier Weise getroffen wurde und der Beschluss § 195 Abs 1 Z 1 und 2 sowie § 86 Abs 1 vierter Satz StPO verletzt.

Da mittlerweile das gegenständliche Ermittlungsverfahren mit Beschlüssen des Landesgerichts Salzburg vom zu AZ 27 HR 255/19m hinsichtlich sämtlicher Beschuldigter jeweils gemäß § 108 Abs 1 StPO eingestellt und die dagegen von Mag. Dr. Waltraud R***** MBA erhobenen Beschwerden mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom zu AZ 10 Bs 277/19k ua zurückgewiesen wurden, war die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht mit konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) zu verbinden.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00005.20X.0225.000

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