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VfGH vom 29.09.2008, a21/07

VfGH vom 29.09.2008, a21/07

Sammlungsnummer

18558

Leitsatz

Abweisung der Klage der Tiroler Gebietskrankenkasse gegen den Bund auf Ersatz von Sach- und Personalaufwendungen im Zusammenhang mit dem Dienstleistungsscheck; Aufwendungen für - dem eigenen Wirkungsbereich zuzuordnende - Kernaufgaben der Sozialversicherungsträger (hier:

Speicherung von Versicherungszeiten und Beitragsgrundlagen, Führung von Beitragskonten, Beitragsvorschreibung und -einhebung) nicht erstattungsfähig; kein Zuspruch nicht ziffernmäßig verzeichneter Kosten

Spruch

Die Klage wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit ihrer gegen den Bund gerichteten, auf Art 137 B-VG

gestützten Klage begehrt die Tiroler Gebietskrankenkasse (in der Folge: TGKK), der Verfassungsgerichtshof möge den Bund schuldig erkennen,

"der klagenden Partei zuhanden der Klagsvertreter den Betrag von € 10.242,30 samt 4 % Zinsen seit sowie die Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen."

1.1. Zur Begründung ihres Klagebegehrens führt sie zusammengefasst Folgendes aus:

Im Zeitraum vom bis zum seien der klagenden Partei aus der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben im Zusammenhang mit dem Dienstleistungsscheckgesetz (in der Folge: DLSG), BGBl. I 45/2005 idF BGBl. I 114/2005, neben den (von der beklagten Partei bereits ersetzten) Kosten der Übermittlung der bei der TGKK abgegebenen Dienstleistungsschecks an das Dienstleistungsscheck-Kompetenzzentrum in Form von Kuvertkosten, der Postgebühr sowie einer Minute Zeitabgeltung pro Versand in der Höhe von € 683,30 auch noch "Kosten für die Speicherung der Versicherungszeit und der Beitragsgrundlagen, Anlage von Beitragskonten, Vorschreibung und Einhebung der Beiträge" in Höhe von € 10.242,30 entstanden. Dieser Betrag errechne sich aus den je Mitarbeiter verrichteten Tätigkeiten mit einem Stundengesamtaufwand von 348,2 Stunden sowie unter Zugrundelegung der jeweiligen Stundensätze.

Der unmittelbare Anspruch auf Ersatz des im Zusammenhang mit dem Vollzug des DLSG entstandenen Aufwandes ergebe sich aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in § 6 DLSG. Die Klägerin stütze ihr Begehren jedoch subsidiär "auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere Geschäftsführung ohne Auftrag, Schadenersatz und bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen".

Da die beklagte Partei die Erfüllung der Ansprüche der klagenden Partei bereits zuvor abgelehnt habe, seien die gesetzlichen Verzugszinsen seit Ende der Abrechnungsperiode ab zuzusprechen.

1.2. Zur Zulässigkeit führt die klagende Partei aus, dass es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch gegen den Bund handle, der weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sei.

2. Die beklagte Partei Bund - vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit - erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die kostenpflichtige Abweisung der Klage beantragt.

2.1. Zur Klagslegitimation der TGKK bringt die beklagte Partei vor, dass gemäß § 7 Abs 2 DLSG die Trägerkonferenz im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau als Kompetenzzentrum bestimmt habe, die u.a. zur finanziellen Abwicklung und zur Koordinierung der Gebietskrankenkassen in Angelegenheiten nach dem DLSG zuständig sei. Der TGKK stünden daher keine unmittelbaren finanziellen Ansprüche gegenüber dem Bund zu; ihre Klagslegitimation sei daher nicht gegeben.

2.2. In der Sache führt die beklagte Partei aus, dass die von der TGKK eingeklagten Kosten für die Speicherung der Versicherungszeiten und der Beitragsgrundlagen, Anlage von Beitragskonten sowie Vorschreibung und Einhebung der Beiträge nicht ersatzfähig seien, da sie "ursächliche Aufgaben jedes Sozialversicherungsträgers im Rahmen der Vollziehung des ASVG und somit auch jeder [Gebietskrankenkasse] sind, und nicht erst originär durch die Einführung des DLSG entstanden sind". Die angeführten Aufwendungen fielen nämlich stets an, wenn Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse gesetzeskonform beim Sozialversicherungsträger angemeldet werden, da die Versicherungspflicht schon mit Beginn der Tätigkeit ipso iure eintrete und es gerade auf die korrekte Meldung nicht ankomme. Ebenso wenig sei die Höhe der Entlohnung von Bedeutung, weshalb auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse bei den Gebietskrankenkassen anzumelden seien. Die TGKK fordere deshalb den Ersatz von Aufwendungen für Aufgaben, die schon vor Inkrafttreten des DLSG einen Teil ihrer Kernaufgaben dargestellt hätten. Da unter § 6 DLSG jedoch schon nach dem Wortlaut nur jene Aufwendungen subsumierbar seien, die durch die Erfüllung von Aufgaben entstehen, die infolge des DLSG zu den bereits nach ASVG bestehenden Aufgaben hinzukommen, bestehe kein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Speicherung der Versicherungszeit und der Beitragsgrundlagen, Anlage von Beitragskonten sowie Vorschreibung und Einhebung der Beiträge. Dies gelte umso mehr, als diese Aufgaben im Zweifel dem eigenen Wirkungsbereich der TGKK und nicht dem (durch das DLSG) übertragenen Wirkungsbereich zuzurechnen seien.

3. Rechtslage:

3.1. Die §§5 ff. DLSG, BGBl. I 45/2005 idF BGBl. I 114/2005, lauten auszugsweise:

"Zuständigkeit

§5. (1) Für die Schaffung und Aufrechterhaltung der organisatorischen Voraussetzungen für den Einsatz und die Einlösung von Dienstleistungsschecks sind die Gebietskrankenkassen sowie der gemäß § 7 Abs 2 als Kompetenzzentrum bestimmte Versicherungsträger zuständig.

(2) Die Gebietskrankenkassen sowie der gemäß § 7 Abs 2 als Kompetenzzentrum bestimmte Versicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger haben die Aufgaben nach diesem Bundesgesetz im übertragenen Wirkungsbereich auf Weisung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit zu vollziehen.

(3) ...

Deckung des Aufwandes

§6. (1) ...

(2) Die der Erfüllung der Aufgaben dieses Bundesgesetzes im übertragenen Wirkungsbereich und der Übermittlung der Lohnzettel gemäß § 69 Abs 7 EStG dienenden (anteiligen) laufenden Personal- und Sachaufwendungen der Gebietskrankenkassen sowie des gemäß § 7 Abs 2 als Kompetenzzentrum bestimmten Versicherungsträgers und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sind unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse der Kostenrechnung zu ermitteln und, soweit diese durch den Verwaltungskostenanteil (§4 Abs 3) nicht gedeckt sind, vom Bund aus der Gebarung Arbeitsmarktpolitik zu ersetzen. Diese Aufwendungen sind jeweils monatlich in Höhe der zu erwartenden anteiligen Aufwendungen zu bevorschussen und nach Vorliegen der endgültigen Abrechnungen auszugleichen.

(3) ...

Organisation

§7. (1) Die Gebietskrankenkassen haben den Einsatz und den Umgang mit Dienstleistungsschecks unter Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sowie der Gewährleistung eines bundesweit einheitlichen flächendeckenden Angebotes der Dienstleistungsschecks zu organisieren.

(2) Die Trägerkonferenz im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat einen Versicherungsträger als Kompetenzzentrum zu bestimmen, der zur Vollziehung der Aufgaben nach Abs 1 sowie zur finanziellen Abwicklung und Koordinierung der Gebietskrankenkassen in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz zuständig ist.

(3) ...

(4) ...

(5) ..."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Klagebegehren betrifft einen vermögensrechtlichen Anspruch gegen den Bund, dessen Wurzel im öffentlichen Recht, nämlich im DLSG, liegt. Der Anspruch ist nicht im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, weil weder ein Gesetz die ordentlichen Gerichte ausdrücklich zur Entscheidung darüber beruft noch sich deren Zuständigkeit aus § 1 JN herleiten lässt. Der Anspruch ist aber auch nicht durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen, weil keine gesetzliche Bestimmung besteht, die in solchen Fällen eine Verwaltungsbehörde zur Entscheidung berufen würde. Der Anspruch kann daher gemäß Art 137 B-VG beim Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden (VfSlg. 16.387/2001 mwN). Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Klage zulässig.

2. Der geltend gemachte Anspruch besteht aber nicht zu Recht:

2.1. Gemäß § 6 Abs 2 DLSG ersetzt der Bund die der Erfüllung der Aufgaben dieses Bundesgesetzes im übertragenen Wirkungsbereich und der Übermittlung der Lohnzettel dienenden (anteiligen) laufenden Personal- und Sachaufwendungen der Gebietskrankenkassen.

Unstrittig ist, dass gemäß dieser Bestimmung jene Kosten, die der TGKK durch die Weiterleitung abgegebener Dienstleistungsschecks an das Kompetenzzentrum in Form von Kuvertkosten, der Postgebühr sowie einer Minute Zeitabgeltung pro Versand entstehen, vom Bund abzugelten sind und für den Zeitraum vom bis zum bereits abgegolten wurden.

Strittig ist hingegen, ob - wie die klagende Partei geltend macht - (darüber hinaus) für denselben Zeitraum auch ein Anspruch der TGKK auf Ersatz der Kosten für die Speicherung der Versicherungszeit und der Beitragsgrundlagen, Anlage von Beitragskonten sowie Vorschreibung und Einhebung der Beiträge besteht.

2.2. Nach dem Wortlaut des § 6 Abs 2 DLSG ist die Erstattungspflicht des Bundes doppelt begrenzt: Erstattungsfähige Aufwendungen sind nur jene, die einerseits bei Erfüllung von "Aufgaben dieses Bundesgesetzes" und andererseits im übertragenen Wirkungsbereich der Sozialversicherungsträger entstehen.

2.3. Die Materialien zu den §§5 ff. DLSG (RV 856 BlgNR 22. GP) äußern sich nicht explizit zur Frage, welche Aufwendungen in concreto "der Erfüllung der Aufgaben dieses Bundesgesetzes" dienen.

Sie stellen jedoch Folgendes klar:

"Die Sozialversicherung wird von den Sozialversicherungsträgern in Selbstverwaltung vollzogen. Andere durch Gesetz übertragene Aufgaben sind jeweils im übertragenen Wirkungsbereich zu vollziehen. Das gilt auch für die Handhabung des Dienstleistungsschecksystems."

Daraus erhellt zum einen, dass der Gesetzgeber durch Einführung des Dienstleistungsschecks bewusst nicht in die Kernbereiche der Sozialversicherung (die im selbständigen Wirkungsbereich wahrgenommen werden) eingreifen wollte, zum anderen, dass die den Sozialversicherungsträgern durch das DLSG übertragenen Aufgaben solche sind, die von ihnen im übertragenen Wirkungsbereich wahrzunehmen sind. Unter "Aufgaben dieses Bundesgesetzes" iSd § 6 Abs 2 DLSG können folglich nur jene verstanden werden, die zu den bereits bisher nach dem ASVG bestehenden Aufgaben der Sozialversicherungsträger (unabhängig vom jeweiligen Versicherungszweig) erst durch das DLSG hinzutreten und - anders als jene - im übertragenen Wirkungsbereich wahrgenommen werden.

2.4. Jene Aufgaben, für die die Klägerin den Ersatz der Sach- und Personalaufwendungen fordert, nämlich Speicherung der Versicherungszeit und der Beitragsgrundlagen, Anlage von Beitragskonten sowie Vorschreibung und Einhebung der Beiträge, sind durchwegs dem sozialversicherungsrechtlichen Beitrags- und Meldewesen zuzuordnen, das einen Teil der im ASVG geregelten (Kern)Aufgaben der Sozialversicherungsträger darstellt und daher funktional dem eigenen Wirkungsbereich zugeordnet ist. Da das DLSG (nur) für Dienstverhältnisse gilt und für solche die Gebietskrankenkassen auch schon vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes Beitrags- und Meldestelle waren (dies gilt gemäß § 37 ASVG insbesondere auch für geringfügig Beschäftigte), zählen die Aufgaben, für die die Klägerin den Ersatz der Sach- und Personalaufwendungen fordert, nicht zu den den Gebietskrankenkassen als Sozialversicherungsträger erst durch das DLSG übertragenen "Aufgaben dieses Bundesgesetzes".

Eine Qualifikation des Beitrags- und Meldewesens als Aufgabe des DLSG kommt auch dann nicht in Betracht, wenn bei der Vollziehung des DLSG an das allgemeine Beitrags- und Meldewesen angeknüpft wird oder wenn im konkreten Fall die genannten Aufgaben nur aus Anlass der Einreichung eines Dienstleistungsschecks wahrzunehmen sind.

2.5. Angesichts dessen sind Aufwendungen im Zusammenhang mit der Speicherung von Versicherungszeiten und Beitragsgrundlagen, der Anlage von Beitragskonten sowie der Vorschreibung und Einhebung der Beiträge, da sie nicht (speziell) der Erfüllung von Aufgaben des DLSG (im übertragenen Wirkungsbereich) dienen, nicht gemäß § 6 Abs 2 DLSG den Gebietskrankenkassen als Sozialversicherungsträger zu ersetzen.

3. Da vor dem Hintergrund dieser Überlegungen auch kein Anhaltspunkt für einen sonstigen Rechtsgrund besteht, auf den die Klägerin ihren Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen im Zusammenhang mit der Speicherung von Versicherungszeiten und Beitragsgrundlagen, der Anlage von Beitragskonten sowie der Vorschreibung und Einhebung der Beiträge stützen könnte, erweist sich das Klagebegehren als unbegründet. Die Klage war daher abzuweisen.

4. Die Beantwortung der Frage, ob die TGKK klagslegitimiert ist oder ob der behauptete Anspruch nach § 6 Abs 2 DLSG nicht vielmehr von der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau als gemäß § 7 Abs 2 DLSG von der Trägerkonferenz im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bestimmtes Kompetenzzentrum geltend zu machen wäre, kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.

III. 1. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

2. Kosten werden nicht zugesprochen, weil die obsiegende beklagte Partei solche zwar begehrt, nicht aber ziffernmäßig verzeichnet hat. Wohl besagt § 27 VfGG, dass "regelmäßig anfallende Kosten, insbesondere für den Antrag (die Beschwerde) und für die Teilnahme an Verhandlungen, nicht ziffernmäßig verzeichnet werden" müssen, doch bezieht sich diese Ergänzung des Gesetzes nach Wortlaut und Sinngehalt nicht auf Klagen nach den §§37 ff. VfGG (vgl. VfSlg. 10.968/1986; 14.447/1996).