OGH vom 27.09.2016, 8ObS11/16z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Regina Albrecht in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G***** H*****, im Revisionsverfahren unvertreten, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Ried, 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 35a, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 1.180 EUR sA (Insolvenz Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 17/16f 9, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 3 Cgs 186/15d 5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der späteren Schuldnerin von bis zu ihrem berechtigten vorzeitigen Austritt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am als Arbeiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das holz und kunststoffverarbeitende Gewerbe (KV).
Die Kündigungsfristen sind in § 16 Z 3 lit a KV idgF wie folgt geregelt: „ Wird eine Probezeit nicht vereinbart oder wird das Arbeitsverhältnis über die vereinbarte Probezeit hinaus fortgesetzt, so kann es nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einer Woche jeweils bis zum Ende der Arbeitswoche aufgelöst werden. Nach einjähriger Beschäftigung erhöht sich die Kündigungsfrist auf zwei Wochen, nach fünfjähriger Beschäftigung auf drei Wochen, nach neunjähriger Beschäftigung auf sechs Wochen und nach 22 jähriger Beschäftigung auf neun Wochen “.
Vom 18. 6. bis und vom 8. 4. bis bezog die Klägerin Wochengeld. Ihre Beschäftigungszeit bei der Schuldnerin hat dann insgesamt über 22 Jahre betragen, wenn die Zeiten ihres Wochengeldbezugs und 10 Monate ihrer Mutterschaftskarenz eingerechnet werden.
Die Beklagte lehnte den Anspruch der Klägerin auf Insolvenzentgelt für (weitere) Kündigungsentschädigung vom 16. 5. bis sowie aliquote Urlaubsersatzleistung mit Bescheid vom mangels Erfüllung der für eine längere kollektivvertragliche Kündigungsfrist erforderlichen Mindestbeschäftigungszeit ab.
Das Erstgericht gab dem gegen diesen Bescheid erhobenen Klagebegehren statt. Gemäß § 15f MSchG sei eine Karenzzeit im Höchstausmaß von 10 Monaten für die Dauer der Bemessung der Kündigungsfrist, der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und das Urlaubsausmaß anzurechnen. Zeiten des Wochengeldbezugs aufgrund eines zwingenden Beschäftigungsverbots nach §§ 3 ff MSchG seien dagegen mangels einer vergleichbaren Sonderregelung zur Gänze auf die Beschäftigungszeit anzurechnen.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Interpretation einer Kollektivvertragsbestimmung angesichts des betroffenen größeren Personenkreises regelmäßig erhebliche Bedeutung zukomme.
Die Auslegung des hier maßgeblichen § 16 Z 3 lit a KV führe nicht nur unter Berücksichtigung seines Wortsinns, sondern auch des Zusammenhangs mit den übrigen kollektivvertraglichen Regelungen und den gesetzlichen Vorgaben zu dem Ergebnis, dass die Zeiten des Wochengeldbezugs bei der Berechnung der Kündigungsfrist einzubeziehen seien.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Die ausführliche rechtliche Begründung des Berufungsgerichts ist überzeugend (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Die Revision argumentiert, ein Normgeber wolle den selben sprachlichen Ausdruck innerhalb eines Regelwerks gleich verstanden haben, umgekehrt meine er mit verschiedenen Ausdrücken in der Regel auch Verschiedenes. Sie leitet daraus im Anlassfall ab, dass Zeiten der „Betriebszugehörigkeit“, die die Schutzfristen nach dem MSchG einschließen würden, nicht mit Zeiten der „Beschäftigung“ iSd § 16 Z 3 lit a KV gleichzusetzen seien.
Mit dieser Argumentationslinie hat sich das Berufungsgericht allerdings in seiner ausführlichen Entscheidungsbegründung bereits befasst und insbesondere hervorgehoben, dass der KV die strittigen Begriffe keineswegs – und schon gar nicht in der von der Beklagten unterstellten Klarheit – trennt. So regelt § 15 Z 2 lit a KV die gleichfalls von der Beschäftigungsdauer abhängige Berechnung der Weihnachtsremuneration dahingehend, dass „ für Arbeitnehmer, die mindestens 1 Jahr im Betrieb beschäftigt sind, 3,5 Wochenlöhne“ , und „ für Arbeitnehmer nach einer Betriebszugehörigkeit von vollen 5 Jahren 4 Wochenlöhne “ gebühren; der gleiche Wechsel in den Begriffen findet sich auch in den folgenden Absätzen. In § 15 Z 9 KV wird die Anrechnung von in der selben Firma erworbenen „Beschäftigungszeiten“ auf die für das Ausmaß der Sonderzahlung maßgeblichen „Dienstzeiten“ angeordnet. Hätten die Kollektivvertragsparteien diese Begriffe nicht synonym verwenden wollen, sondern tatsächlich unter einem Jahr „beschäftigt sein“ etwas anderes verstanden als unter einem Jahr der „Betriebszugehörigkeit“ oder der „Dienstzeit“, hätten sie den Unterschied zur Verdeutlichung für die Normunterworfenen wohl entsprechend präzise definiert.
2. Der Revisionseinwand, die Zeit eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots könne begrifflich nicht als Beschäftigungszeit im Sinne der Terminologie des Kollektivvertrags gelten, umschreibt nur mit anderen Worten die zu lösende Auslegungsfrage, bietet aber kein eigenständiges Argument.
Auf den durchaus treffenden Vergleich des Berufungsgerichts zwischen dem Beschäftigungsverbot wegen Mutterschaft mit den (unzweifelhaft zur Beschäftigungszeit zählenden) Zeiten der Berufsunfähigkeit wegen Krankheit, die eine funktionale Ähnlichkeit aufweisen, geht die Revision überhaupt nicht ein.
3. Die Verweise der Revisionswerberin auf höchstgerichtliche Entscheidungen zur Anrechnung von Dienstzeiten für die Abfertigung sowie auf Bestimmungen des AngG und des VBG sind nicht einschlägig.
Insbesondere ist die Bezugnahme auf die Entscheidung 9 ObA 199/00f (RIS Justiz RS0114117) geradezu unverständlich, hat doch der Oberste Gerichtshof darin ausgesprochen, dass Zeiten der Beschäftigungsverbote für werdende Mütter nach §§ 3 und 5 MSchG für die Beurteilung der zeitlichen Voraussetzungen des Abfertigungsanspruchs zu berücksichtigen sind (vgl schon 9 ObA 199/00f; 8 ObA 9/10x; Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 23a Rz 14).
4. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass in die Beschäftigungszeiten nach § 16 Z 3 lit a des KV für Arbeiter im holz und kunststoffverarbeitenden Gewerbe zur Berechnung der Kündigungsfrist auch Zeiten des Beschäftigungsverbots nach §§ 3 und 5 MSchG einzurechnen sind.
Eine Kostenentscheidung entfällt, weil die obsiegende klagende Partei keine Revisionsbeantwortung erstattet hat (§ 77 Abs 1 ASGG).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00011.16Z.0927.000