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OGH vom 24.01.2017, 10ObS5/17h

OGH vom 24.01.2017, 10ObS5/17h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R***** V*****, vertreten durch Dr. Norbert Mooseder, Rechtsanwalt in Steyr, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-
Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 96/16s-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 24 Cgs 122/15k-26, in der Abweisung des Klagebegehrens aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezieht seit eine Berufsunfähigkeitspension. Zusätzlich erhielt sie von bis eine Ausgleichszulage. Seit Mai 2016 wird ihr ein Vorschuss auf die Ausgleichszulage gewährt.

Die Klägerin war von Februar 2009 bis Ende 2015 zwei bis vier Tage pro Woche für je drei bis sieben Stunden als selbstständige Erotikmasseurin in einem Studio in T***** tätig. Nach Abzug der für die Benutzung der Räumlichkeiten zu zahlenden „Zimmermiete“ sowie der an das Finanzamt abgeführten Pauschalabgaben erzielte sie aus dieser Tätigkeit von 2009 bis einschließlich 2015 Einnahmen von zumindest 1.800 EUR jährlich, im Monatsdurchschnitt somit 150 EUR. Für die Fahrten von ihrem Wohnort zum Studio und retour (81 km) benützte sie einen auf ihren Sohn angemeldeten Pkw. Sie zahlte die Versicherung (zwischen 57,29 EUR monatlich im Jahr 2011 und 64,61 EUR im Jahr 2014), zumindest fallweise auch Benzin, Reparaturen sowie die Überprüfung nach § 57a KFG. Seit Juli 2015 führt sie Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und die mit dem Pkw zurückgelegten Kilometer.

Seit Jänner 2016 ist die Klägerin in Linz unter ihrem angemeldeten Gewerbe als Energetikerin tätig. Das Einkommen, dass sie im Jahr 2016 aus dieser Tätigkeit insgesamt erzielt, kann nicht festgestellt werden.

Die Beklagte sprach mit Bescheid vom aus, dass der Anspruch auf Ausgleichszulage mit ende, „der entstandene Überbezug an Ausgleichszulage von 17.918,22 EUR … auf die von der Pensionsversicherungsanstalt zu erbringende Geldleistung aufzurechnen“ sei und der Überbezug in Raten von 200 EUR von der monatlichen Leistung abgezogen werde.

Die Klägerin begehrt in ihrer dagegen erhobenen Klage die Feststellung, dass die Pflicht zum Rückersatz nicht bestehe, sowie die Weitergewährung der Ausgleichszulage ab Mai 2015 im bisherigen Ausmaß. Sie brachte – soweit in dritter Instanz noch relevant – vor, sie habe seit 2009 kein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt, weil die Kosten für ihre Fahrten zwischen Wohnort und Betriebsstätte als Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte wendete insbesondere ein, die Klägerin habe nach Abzug der Abgaben ein wöchentliches Einkommen von 80 bis 100 EUR erzielt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Abstandnahme vom Rückersatz im Betrag von 4.718,22 EUR statt und verpflichtete die Klägerin zur Rückerstattung von 13.200 EUR. Die Beklagte verpflichtete es zur Zahlung einer monatlichen Ausgleichszulage von 83,67 EUR von 1. 5. bis sowie zum Kostenersatz. Es sprach aus, dass der Anspruch auf Ausgleichszulage ab dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der Beklagten auf, der Klägerin von 1. 1. bis eine vorläufige Leistung von 133,67 EUR monatlich zu erbringen. In der rechtlichen Beurteilung erachtete es die Ausgaben für Fahrten zwischen Wohn und Arbeitsort als nicht abzugsfähig.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts, das in seinem klagsstattgebenden Teil einschließlich der Kostenentscheidung als Teilurteil aufrecht blieb, im Umfang der Klageabweisung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Rechtlich folgerte es, dass bei der Ermittlung des Nettoeinkommens (§ 292 Abs 3 ASVG) selbstständig Erwerbstätiger, zu denen die Klägerin zähle, vom steuerlichen Gewinn, also von Betriebseinnahmen abzüglich Betriebsausgaben, vermindert um die gesetzlichen Abzüge, auszugehen sei. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Anspruch einer als freie Dienstnehmerin tätigen Pensionistin auf Ausgleichszulage (10 ObS 421/01m) seien Kraftfahrzeugkosten bei Verwendung eines privaten Pkws für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb in der tatsächlich angefallenen Höhe als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Bei Benützung eines eigenen Fahrzeugs könnten bei beruflichen Fahrten von nicht mehr als 30.000 km jährlich entsprechend der einkommenssteuerrechtlichen Praxis die amtlichen Kilometergelder als geschätzte tatsächliche Kosten herangezogen werden. Im Ausgleichszulagenrecht seien nicht einfach die Regeln des EStG anzuwenden, was den Rückgriff auf steuerrechtliche Bestimmungen im Einzelfall jedoch nicht ausschließe. Die Summe der Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten im Sinn des § 292 Abs 3 ASVG sei jener Betrag, der dem Pensionisten letztlich real zur Verfügung stehe. Im Sinn des ausgleichszulagenrechtlichen Einkommensbegriffs sei das amtliche Kilometergeld bei Benützung nicht des eigenen, sondern eines fremden Fahrzeugs nicht zu berücksichtigen, selbst wenn in der einkommenssteuerrechtlichen Praxis bei beruflichen Fahrten von nicht mehr als 30.000 km jährlich die amtlichen Kilometergelder als geschätzte tatsächliche Kosten herangezogen würden. Vielmehr sei auf die Kraftfahrzeugkosten in der tatsächlich angefallenen Höhe abzustellen, wozu ausreichende Feststellungen für die Zeit von 2009 bis 2015 fehlten. Es könne nicht abschließend beurteilt werden, ob die Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit in dieser Zeit überhaupt ein Nettoeinkommen im Sinn des § 292 ASVG erzielt habe. Das Gleiche gelte für das Begehren auf Weitergewährung einer Ausgleichszulage ab .

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob zur Ermittlung des Nettoeinkommens im Sinn des § 292 ASVG die amtlichen Kilometergelder als geschätzte Kosten beruflicher Fahrten herangezogen werden können, wenn nicht das eigene Fahrzeug benützt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der – nicht beantworteteRekurs der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Sozialrechtssachen ist es gerechtfertigt, im Ausgleichszulagenrecht bei selbstständig Erwerbstätigen grundsätzlich vom steuerlichen Gewinn, vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge, auszugehen (10 ObS 421/01m, SSVNF 16/67 = RISJustiz RS0085109 [T5]; 10 ObS 8/14w, SSVNF 28/10 = DRdA 2015/2, 25 [Schörghofer]).

2. Einziges Thema des Rekurses ist die Frage, ob bei Ermittlung des sozialversicherungsrechtlichen Nettoeinkommens (§ 292 Abs 1 und 3 ASVG) der unselbstständig erwerbstätigen Klägerin Kosten für Fahrten mit dem Pkw zum Beschäftigungsort im tatsächlich angefallenen Ausmaß (so das Berufungsgericht) oder pauschal im Ausmaß des amtlichen Kilometergeldes (so die Klägerin) als die Einnahmen mindernde Betriebsausgaben (§ 4 Abs 4 EStG 1988) zu berücksichtigen sind, wenn nicht der eigene Pkw, sondern jener des Sohnes der Klägerin gegen Bezahlung bestimmter Aufwendungen verwendet wird.

3. Der Oberste Gerichtshof sprach in der (schon vom Berufungsgericht zitierten) Entscheidung 10 ObS 421/01m mit Nachweisen aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) aus, dass bei Verwendung eines privaten Pkw die Kraftfahrzeugkosten in der tatsächlich angefallenen Höhe als Betriebsausgaben oder (hier nicht relevant) als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Bei Benutzung des eigenen Fahrzeugs können bei beruflichen Fahrten von nicht mehr als 30.000 km jährlich entsprechend der einkommenssteuerlichen Praxis die amtlichen Kilometergelder als geschätzte tatsächliche Kosten herangezogen werden.

4. Die Rechtsprechung des VwGH (, 97/15/0073; , 2008/15/0196; berücksichtigt betriebliche Fahrtkosten in ihrer tatsächlich angefallenen Höhe als Betriebsausgaben (§ 4 Abs 4 EStG 1988) oder als Werbungskosten (§ 16 EStG 1988). Ein Wahlrecht auf Berücksichtigung der Fahrtkosten durch den Ansatz des amtlichen Kilometergeldes anstelle der tatsächlichen Aufwendungen besteht jedoch nicht. Es steht der Abgabenbehörde lediglich frei, den tatsächlichen Aufwand für Fahrten eines im Eigentum des Steuerpflichtigen stehenden Fahrzeugs, dessen Fahrtleistung 30.000 km pro Jahr nicht übersteigt, mit dem amtlichen Kilometergeld zu schätzen, wenn ein exakter Kostennachweis fehlt. Die Beschränkung auf Fahrtleistungen von 30.000 km jährlich erklärt der VwGH im Erkenntnis 97/15/0073 mit der degressiven Entwicklung der tatsächlichen Kosten der Fahrten mit dem eigenen Pkw bei höheren Kilometerleistungen im Hinblick auf den hohen Anteil an Fixkosten. Würden die Kosten mit dem amtlichen Kilometergeld bemessen, ergebe sich ein lineares Ansteigen, welches immer mehr von den tatsächlichen Aufwendungen abweiche.

5. Die Bemessung der Kosten für Fahrten von und zur Betriebsstätte auf Basis des amtlichen Kilometergeldes ist somit entgegen der Meinung der Rekurswerberin schon bei Benutzung eines eigenen PKW in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung keineswegs zwingend vorgegeben. Die Schätzung aufgrund des amtlichen Kilometergeldes soll nur zu einem befriedigenden, in vielen Fällen zutreffenden () Ergebnis führen.

6. Das Kilometergeld dient auch dazu, sämtliche mit der Anschaffung eines Pkw verbundenen Kosten angemessen abzudecken (RISJustiz RS0047476 [T1]; ; ). Die mit dem Kilometergeld berücksichtigte Absetzung für Abnutzung (AfA) steht nur dem (zivilrechtlichen oder zumindest wirtschaftlichen) Eigentümer zu (Herzog, Bei geliehenem Fahrzeug entscheidet Gestaltung über die Absetzbarkeit, RdW 1989, 203 mwN). Bei der hier vorliegenden Verwendung eines fremden, gegen teilweise Zahlung von Aufwendungen (Benzin, Versicherung etc) zur Verfügung gestellten Pkw führt der Abzug des amtlichen Kilometergeldes zu keinem befriedigenden Ergebnis, wenn damit Ausgaben abgegolten werden, die den Benutzer gar nicht treffen. Mit der Ausgleichszulage soll nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung dem Pensionsbezieher in pauschaler Weise ein Betrag zur Verfügung gestellt werden,der ihm die Bestreitung eines angemessenen Lebensunterhalts ermöglicht. Maßgeblich ist iSd § 292 Abs 3 ASVG jener Betrag, der dem Pensionisten letztlich real zur Verfügung steht (RISJustiz RS0117784 [T1]). Ein pauschaler, die tatsächlichen Kosten übersteigender Abzug widerspricht diesem Grundsatz.

7. Die Klägerin sieht die Bemessung auf Basis des amtlichen Kilometergeldes deshalb als sachgerecht an, weil sie nicht nur laufend Bezinkosten, Reparaturen, KfzÜberprüfungen etc für das Fahrzeug ihres Sohnes zahle, sondern diesen auch bei seiner Haushaltsführung unterstütze, ihm am Wochenende Mahlzeiten zubereite und sich der Wert dieser Leistungen nicht in Geld bemessen lasse. Ihre Ausführungen zur „Entgeltlichkeit“ ihrer familiären Leistungen sind schon als unzulässige Neuerungen unbeachtlich.

8. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Festsetzung der Betriebsausgaben nach den tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin ist zutreffend. Das Berufungsgericht hat ausgehend von dieser Rechtsansicht eine Verfahrensergänzung für notwendig erachtet. Dieser Einschätzung kann der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (RISJustiz RS0042179).

9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO iVm § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens kann erst im Rahmen einer endgültigen Sachentscheidung beurteilt werden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00005.17H.0124.000
Schlagworte:
Sozialrecht

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