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VfGH vom 24.02.2004, B730/03

VfGH vom 24.02.2004, B730/03

Sammlungsnummer

17120

Leitsatz

Keine Verletzung des Versammlungsrechts durch die Untersagung einer gegen Tierversuche gerichteten Versammlung aufgrund der Annahme der Gefährdung der Sicherheit einer Person bzw deren Eigentum

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Eingabe vom zeigte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg eine Versammlung zum Thema "Aufklärung über Tierversuche" an, die am von 9.00 bis 12.00 Uhr in 2102 Bisamberg, Brunnstubengasse 53, stattfinden sollte. Als erwartete Teilnehmerzahl wurden "10 - 30 Leute", als verwendete Mittel "Flugblätter, Plakate, Transparente, Megaphon" angegeben.

Diese Versammlung wurde von der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg mit Bescheid vom gemäß § 6 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG) iVm. Art 11 Abs 2 EMRK untersagt.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom keine Folge. Begründend führt die Behörde im Wesentlichen aus:

Die beabsichtigte Versammlung sollte direkt vor dem Privathaus des Leiters des Institutes für biomedizinische Forschung der medizinischen Fakultät der Universität Wien, Dr. L., stattfinden. Bereits im April 2001 habe dort eine Demonstration stattgefunden, bei der es zu wüsten Beschimpfungen gegen Dr. L. ("L., Mörder, Verbrecher, …") gekommen sei. Am seien von unbekannten Tätern der in der Hauseinfahrt abgestellte PKW des Dr. L., Teile der Hausfassade, das Gartentor und die Hauseinfahrt mit rotem Lack beschmutzt worden; vor dem Gartentor sei mit rotem Lack das Wort "Tiermörder" auf den Boden geschrieben worden.

Im Hinblick auf die für den angekündigte Versammlung habe es einen Internetaufruf gegeben, dessen Art und Inhalt eine verhetzende Form nicht abgesprochen werden könne ("wenn L. glaubt sein blutiges Handwerk unbehelligt betreiben zu können, … vielleicht können wir Grausamkeiten, die L. hinter verschlossenen Türen an Tieren durchführt nicht verhindern, … streicht euch den 22. Dezember in eurem Terminkalender an, … unsere Meinung ins Gesicht zu sagen, …").

Die Behörde ging aufgrund dieser Umstände davon aus, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, im speziellen für die Sicherheit des Dr. L. und seiner Familie oder zumindest für sein Eigentum, zu befürchten gewesen sei. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass sich dieser Versammlung militant eingestellte Tierschützer anschließen würden und es vor dem Haus des Dr. L. bei seinem allfälligen Erscheinen zu Angriffen gegen ihn oder sein Eigentum kommen würde, die möglicherweise auch von der Exekutive nicht verhindert werden könnten. Es komme nicht darauf an, ob die Gefahr vom Veranstalter ausgehe; maßgeblich sei die Gefahr, die von möglicherweise gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern ausgehe, die durch den Internetaufruf mobilisiert wurden und auf die der Veranstalter keinen Einfluss gehabt hätte. Schließlich seien auch Verletzungen der Ehre des Dr. L. iSd. §§111 ff. StGB zu befürchten gewesen; ein ungerechtfertigtes Anprangern einzelner Personen könne aber niemals unter dem Schutzmantel der Versammlungsfreiheit stehen, zumal sich die Tätigkeit des Dr. L. an der Universität im Rahmen der Tierschutzgesetze bewege. Das Thema Tierschutz sei im vorliegenden Fall immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden; es habe eine unzulässige Fokussierung auf eine einzelne Person und einen bestimmten Ort stattgefunden.

Die Erstbehörde habe versucht, die Versammlung vom Haus des Dr. L. wegzuverlegen, um die genannten Gefahren zu verringern; dies habe der Veranstalter aber verweigert. Die Versammlung direkt vor dem Haus des Dr. L. sei daher zu untersagen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 12.257/1990 und 15.109/1998 sowie die dort zitierte Vorjudikatur) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechts betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art 12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

1.2. Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die angezeigte Versammlung untersagte, auf § 6 VersG gestützt. Diese Bestimmung lautet:

"Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."

Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art 11 Abs 2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (s. etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).

Dabei hat die Behörde bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat.

2.1. Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass durch die Abhaltung der angezeigten Versammlung aufgrund der von ihr festgestellten und im Verwaltungsakt dokumentierten Umstände die öffentliche Sicherheit - konkret: die Sicherheit der körperlichen Integrität, der Ehre und des Eigentums des Dr. L. - gefährdet würde.

Dass der Beschwerdeführer mit den früheren Vorfällen, auf die sich die Behörde in ihrer Gefährlichkeitsprognose bezieht, in keinem Zusammenhang steht und seinen Angaben nach auch von dem Internet-Aufruf bezüglich der von ihm angezeigten Versammlung nichts wusste, vermag daran nichts zu ändern. Für die von der Behörde zu treffende Prognoseentscheidung kommt es nämlich nicht nur auf die Absichten des Veranstalters, sondern auch auf eine realistische und nachvollziehbare Einschätzung des zu erwartenden Geschehensablaufs an. Der Einschätzung der Behörde, dass die in der Vergangenheit bereits erfolgten Angriffe auf die Ehre und das Eigentum des Dr. L. - in Verbindung mit dem allgemeinen Aufruf im Internet, der unter Umständen auch gewaltbereite Tierschützer für diese Versammlung hätte mobilisieren können - eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit befürchten ließen, ist nicht entgegenzutreten.

2.2. Die Behörde war nicht berechtigt, von sich aus die Versammlungsanzeige zu ändern oder zu modifizieren. Sie hatte die Versammlung - wie sie angezeigt wurde - entweder zur Gänze zu untersagen oder zur Gänze nicht zu untersagen. Wenn die Behörde meinte, auch nur eine der Modalitäten der beabsichtigten Versammlung (etwa der Kundgebungsort) sei derart, dass eines der in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet würde, hatte sie die Versammlung zu untersagen (VfSlg. 15.362/1998).

Im vorliegenden Fall hat die Versammlungsbehörde erster Instanz dem Beschwerdeführer erfolglos vorgeschlagen, den Versammlungsort vom Wohnhaus des Dr. L. wegzuverlegen. In der Beschwerde wird dazu ausgeführt, dass nicht einsichtig sei, warum die Versammlung an einem 50m entfernten Ort mit geringerer Wahrscheinlichkeit strafgesetzwidrige Handlungen gegen die Ehre des Dr. L. erwarten ließe. Tatsächlich sei eine solche Versammlung unmittelbar nach der hier zu beurteilenden Untersagung angemeldet und nicht untersagt worden; zu strafgesetzwidrigen Handlungen sei es bei dieser Versammlung nicht gekommen. Der Beschwerdeführer übersieht bei seiner Argumentation jedoch, dass die Behörde für den Fall einer Versammlung direkt vor dem Haus des Dr. L. vor allem eine Gefährdung der Sicherheit seiner Person oder seines Eigentums (und nicht primär seiner Ehre) befürchtet hatte; im Übrigen kann es für diese Zukunftsprognose nicht von Bedeutung sein, dass es bei der dann nicht direkt vor dem Haus abgehaltenen Versammlung zu keinen besonderen Vorfällen kam.

2.3. Schließlich wendet sich der Beschwerdeführer auch gegen den letzten Absatz des Bescheides, in dem sich die belangte Behörde "[h]insichtlich der Störung der öffentlichen Ordnung und Lärmerregung (Anwendung von Megafonen usw.) … über die bisher aufgezeigten Gefahren hinaus den Ausführungen der Erstbehörde an[schließt]"; die Erstbehörde hatte ausgeführt, dass sich der Versammlungsort in einer äußerst ruhigen Wohngegend befinde und durch das Ausrufen von Parolen und die Verwendung eines Megafons ein lang andauernder Lärm entstehen könnte, der von der völlig unbeteiligten Nachbarschaft an einem Sonntag als störend empfunden werde und über das bei Versammlungen sonst zu tolerierende Maß hinausginge. Ein Eingehen auf diesen Beschwerdepunkt erübrigt sich jedoch insofern, als das Argument der Lärmerregung von der Berufungsbehörde lediglich zusätzlich herangezogen wurde, die bekämpfte Untersagung jedoch schon aufgrund der oben dargestellten Umstände gerechtfertigt war.

2.4. Die Behörde hat die angezeigte Versammlung somit insgesamt zu Recht untersagt. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrechts ist nicht erfolgt.

Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.