OGH vom 17.09.2015, 11Os90/15t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang K***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 73/13h 79, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang K***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 15 StGB (II) sowie Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1 und 15 StGB (III) schuldig erkannt.
Danach hat er in M*****
(I) von Herbst 2011 bis in mehreren Angriffen mit der am geborenen, sohin unmündigen Lisa K***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er jeweils einen Finger in ihre Scheide einführte;
(II) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen mit einer unmündigen Person vorgenommen und von einer solchen teils an sich vornehmen lassen, teils dies versucht, und zwar
(A) von Juli 2011 bis mit der am geborenen Lisa K*****, indem er in mehreren Angriffen ihre entblößte Brust und ihre Scheide mit der Hand betastete, massierte sowie mit der Zunge leckte und ihr einmal seinen entblößten Penis anzufassen gab, insoweit die Tatvollendung aufgrund deren Weigerung unterblieb;
(B) von Jänner bis Ende Juni 2013 mit der am geborene Kimberly K*****, indem er sie zweimal an der Scheide betastete und einmal deren Hand auf seinen entblößten Penis legte und derart Masturbationsbewegungen durchführte;
(III) durch die zu I und II beschriebenen Taten geschlechtliche Handlungen mit seinen minderjährigen Stiefkindern vorgenommen und von diesen teils an sich vornehmen lassen, teils dies versucht.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Seine den Schuldspruch tragenden Feststellungen stützte das Erstgericht auf die von ihm als glaubhaft erachteten Aussagen der (tatbetroffenen und einzigen unmittelbaren) Zeuginnen Lisa und Kimberly K***** in deren polizeilichen und gerichtlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren (US 6 bis 8). Die diese den Angeklagten belastenden Angaben widerrufenden Depositionen der Lisa K***** in einer (späteren) Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft und der beiden Genannten in der Hauptverhandlung hingegen verwarf es wie die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers als unglaubwürdig (US 9 bis 11).
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) verfiel der Antrag des Angeklagten auf zeugenschaftliche Vernehmung des Gerhard H***** und der Iris T***** zum Beweis dafür, dass es „weder seitens Herrn H*****, noch seitens Frau T*****, insbesondere auch nicht seitens Frau K*****, Beeinflussungen der Lisa K***** in die Richtung gegeben hat, die sie veranlasst hätten, am ihre belastenden Aussagen zu widerrufen, so wie dies die Zeugin H***** heute sinngemäß mit den Worten 'ihre Welt erhalten/eine Welt aufgebaut' geschildert hat“ (ON 78 S 90), zu Recht der Ablehnung. Denn er legte weder dar, warum die begehrten Beweisaufnahmen das behauptete Ergebnis (Nachweis des Unterbleibens einer Beeinflussung des Aussageverhaltens der Lisa K***** „insbesondere“ durch eine von Gerhard H***** und Iris T***** verschiedene Person) erwarten ließen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 330), noch, inwieweit der unter Beweis zu stellende Umstand überhaupt in der Lage gewesen wäre, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen (RIS Justiz RS0116987, RS0107445). Überdies ging das Erstgericht nicht von einer konkreten Beeinflussung durch gerade die beantragten Zeugen aus (US 9, auch 11).
Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.
Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) ist vorauszuschicken, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also der Glaubwürdigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich ist (Z 5 dritter Fall) einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt ist ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 431; RIS Justiz RS0106588 [T13]). Sie kann allerdings unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame (zum Begriff Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 ff) Tatsachen (RIS Justiz RS0119422 [T2, T 4]).
Davon ausgehend sei den auf Z 5 (nominell auch erster und vierter, inhaltlich nur zweiter und letzter Fall) gestützten Einwänden des Rechtsmittelwerbers erwidert:
Die Beschwerde rügt, das Erstgericht habe sich mit dem gar nicht aktenkundigen Inhalt eines Buchs, dessen Handlung Lisa K***** als Vorbild für ihre Schilderung sexueller Übergriffe des Angeklagten gedient haben soll, „nicht auseinander[gesetzt]“. Ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (§ 258 Abs 1 StPO) erhebliches Verfahrensergebnis, das der Erörterungspflicht (Z 5 zweiter Fall) unterlegen wäre, wird damit gerade nicht aufgezeigt.
Dass die zur Beurteilung der Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit beider Opfer beigezogene Sachverständige aus dem Fach der Kinderpsychologie ausführte, es sei „möglich“, dass „Falschaussagen erfolgen“ und sie könne „weder ausschließen, dass die eine Aussage falsch ist, noch, dass die andere Aussage falsch ist“ (ON 78 S 88 f), steht nicht der Annahme entgegen (Z 5 zweiter Fall), der Inhalt der früheren Angaben der Lisa K***** sei wahr.
Die Einschätzungen der Zeuginnen Mag. Manuela A*****, „nicht sicher“ zu sein, ob „die beiden Mädchen die Wahrheit gesagt haben“ (ON 78 S 84), und Helga Ku*****, sich „nicht vorstellen“ zu können, dass „die Anschuldigungen“ gegen den Angeklagten „richtig“ seien (ON 14 S 37), ließ das Erstgericht (schon deshalb) zu Recht unerwogen (Z 5 zweiter Fall), weil Gegenstand des Zeugenbeweises nur sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, nicht aber subjektive Wertungen sind (RIS Justiz RS0097540).
Bereits aus diesem Grund versagt auch der zudem ohne Herstellung eines Bezugs zu einer entscheidenden Tatsache erhobene Vorwurf (Z 5 letzter Fall), die betreffenden Angaben der Zeugin Mag. A***** seien in den Urteilsgründen „verzerrt und damit aktenwidrig“ wiedergegeben.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, anhand eigener Beweiswerterwägungen die Überzeugungskraft der den Angeklagten belastenden Aussagen der Opfer infrage zu stellen und bekämpft solcherart gleich einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und damit im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter (RIS Justiz RS0099649 [bes T 11, T 14]).
Mit der (ebenfalls aus Z 5a erhobenen) Kritik, das Erstgericht habe die Befragung der Zeuginnen Lisa und Kimberly K*****, in die „auch Fangfragen [einge]flossen“ seien, „ausschließlich der Sachverständigen“ überlassen, wird inhaltlich eine Verletzung der Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung (§ 2 Abs 2 StPO) behauptet. Insoweit fehlt es dem Rechtsmittel bereits an einem Vorbringen, wodurch der Angeklagte in der Hauptverhandlung an sachgerechter Wahrnehmung seines Antrags- oder Fragerechts gehindert war (RIS Justiz RS0115823 [bes T 7, T 8], RS0114036).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00090.15T.0917.000