VfGH vom 04.03.1996, a17/95
Sammlungsnummer
14447
Leitsatz
Teilweise Stattgabe einer auf Zinsen und Kosten eingeschränkten Klage gegen den Bund; Einhebung des Strafbetrages mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Strafverfügung ohne Rechtsgrund erfolgt; Verzug erst ab dem Ende der vom Kläger gesetzten Zahlungsfrist; kein Zuspruch der nicht ziffernmäßig verzeichneten Kosten
Spruch
Der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) ist schuldig, dem Kläger 4 % Zinsen aus S 1.498,-- vom bis zum zuhanden seiner Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren auf Zinsen ab dem bis zum wird abgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. In der am beim Verfassungsgerichtshof eingelangten, auf Art 137 B-VG gestützten Klage begehrt der Kläger von der Republik Österreich (richtig: dem Bund) die Bezahlung von S 1.538,-- samt 4 % Zinsen seit dem "sowie die Kosten dieses Rechtsstreites", welche jedoch nicht ziffernmäßig verzeichnet werden. Begründend wird im wesentlichen vorgebracht, daß eine den Kläger betreffende Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Graz mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Dennoch habe das Bezirksgericht Leoben am die Fahrnis- und Forderungsexekution zur Einbringung des Strafbetrages von
S 1.500,-- bewilligt. Am habe der Kläger eine Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe betreffend die genannte Strafverfügung erhalten. Am sei der Kläger gegen acht Uhr morgens verhaftet worden. Nach Zahlung von
S 1.498,-- an "Reststrafe", wobei die verbüßte Haft auf die mit
S 38,-- bestimmten Exekutionskosten sowie mit S 2,-- auf die Geldstrafe angerechnet worden sei, habe man ihn aus der Haft entlassen.
Mit Schreiben vom sei die Bundespolizeidirektion Graz von den ausgewiesenen Vertretern des Klägers aufgefordert worden, den zu Unrecht eingehobenen Betrag bis spätestens zu refundieren, doch sei eine Zahlung nicht erfolgt. Mit Bescheid vom habe der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark festgestellt, daß die Festnahme des Klägers am um 8.15 Uhr durch Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Graz infolge Nichtigkeit der Zustellung der Strafverfügung rechtswidrig war. Es werde daher die Rückzahlung des Betrages von S 1.538,-- samt 4 % Zinsen seit dem sowie der Kosten dieses Rechtsstreites begehrt.
Mit vorbereitendem Schriftsatz vom schränkte der Kläger das Klagebegehren auf Zahlung von 4 % Zinsen aus S 1.498,-- vom bis zum sowie auf die - neuerlich nicht verzeichneten - Kosten dieses Rechtsstreites ein. Begründend wurde ausgeführt, daß dem Kanzleikonto der Klagsvertreter am ein am eingezahlter Betrag von S 1.498,-- gutgebucht worden sei. Die ursprünglich auch begehrten S 38,-- an Exekutionskosten seien nicht mittels Klage gemäß Art 137 B-VG, sondern gemäß § 75 EO auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Hinsichtlich der einem Betrag von S 2,-- entsprechenden Freiheitsstrafe sei ein Bereicherungsanspruch nicht gegeben.
2. Der Bund als beklagte Partei hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er die Abweisung auch der auf Zinsen und Kosten eingeschränkten Klage begehrt. Dies wird damit begründet, daß der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , mit welchem die Rechtswidrigkeit der Festnahme des Klägers festgestellt worden war, der Bundespolizeidirektion Graz am zugestellt worden sei. Am habe die genannte Behörde ihren Wirtschaftsverwaltungsdienst angewiesen, den vom nunmehrigen Kläger entrichteten Betrag von S 1.498,-- zurückzuzahlen. Dieser sei dem Kläger, wie dieser selbst angegeben habe, am gutgebucht worden. Da die Behörde ohne unvertretbare Zeitverzögerung ihrer Rückzahlungsverpflichtung ordnungsgemäß nachgekommen sei, habe sie zur Erhebung der bereits am beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Klage keinen gerechtfertigten Anlaß gegeben.
3. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich der folgende Sachverhalt:
Mit Strafverfügung vom verhängte die Bundespolizeidirektion Graz über den nunmehrigen Kläger wegen Verletzung des § 103 Abs 2 KFG eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen. Das an die Grazer Adresse des Klägers adressierte Kuvert, in welchem sich die Strafverfügung befand, ging jedoch mit dem Vermerk "Empfänger studiert in Leoben" an die Behörde zurück, welche daraufhin die Zustellung der Strafverfügung an die Leobener Adresse des Klägers veranlaßte. Die Strafverfügung wurde am hinterlegt und am mit dem Vermerk "Nicht behoben" an die Behörde zurückgestellt.
Am wurde der Kläger gemahnt. Am stellte die Republik Österreich als betreibende Partei, vertreten durch die Bundespolizeidirektion Graz, beim Bezirksgericht für ZRS Leoben einen Antrag auf Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung "der vollstreckbaren Forderung von 1.500.- Geldstrafe". Das Gericht bewilligte die Exekution am . Am beantragte die betreibende Partei die Einstellung der Exekution gemäß § 39 Z 6 EO. Mit Schriftsatz vom selben Tag wurde der nunmehrige Kläger aufgefordert, binnen 8 Tagen die Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen anzutreten, da Grund zu der Annahme bestehe, daß die Geldstrafe uneinbringlich sei. Diese - an die Grazer Adresse des Klägers adressierte - Aufforderung wurde am nach zwei vorangegangenen Zustellversuchen durch Hinterlegung zugestellt.
Am langte bei der Bundespolizeidirektion Graz ein Schreiben des Präsidenten des Landesgerichtes Leoben ein, in welchem mitgeteilt wird, daß die im Zusammenhang mit dem Exekutionsantrag entstandenen Gebühren in der Höhe von insgesamt S 200,-- der verpflichteten Partei zur Zahlung vorgeschrieben worden seien. Die zahlungspflichtige Partei habe einen dagegen gerichtenen Berichtigungsantrag eingebracht, in welchem sie vorbringe, daß der der Exekution zugrundeliegende Rückstandsausweis aus einer Strafverfügung resultiere, die nie rechtswirksam zugestellt worden sei. Die betreibende Partei hätte dies bei gehöriger Aufmerksamkeit wissen müssen, da der Verpflichtete an der Leobener Adresse niemals Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Außerdem sei die gegenständliche Wohnung zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung überhaupt unbewohnt gewesen. Der Exekutionsantrag sei daher zu Unrecht gestellt worden.
Dem Ersuchen des Präsidenten des Landesgerichtes Leoben um Mitteilung, ob das Vorbringen des Berichtigungswerbers den Tatsachen entspreche, kam die Bundespolizeidirektion Graz mit Schreiben vom nach. Darin wurde ausgeführt, daß zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Strafverfügung am beim zuständigen Postamt in Leoben der nunmehrige Kläger mit ordentlichem Wohnsitz in Leoben gemeldet war. Wenn dieser behaupte, er hätte in Leoben niemals einen Wohnsitz gehabt, so entspreche dies nicht den Tatsachen. Außerdem sei gegenüber der Behörde nie der Einwand gebracht worden, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Hinterlegung ortsabwesend gewesen sei.
Am wurde die Vorführung des nunmehrigen Klägers zum Strafantritt verfügt. Am wurde er um 8 Uhr 15 verhaftet und nach Bezahlung einer Reststrafe von S 1.498,-- um 9 Uhr 30 aus dem Polizeigefängnis wieder entlassen.
Aufgrund einer dagegen erhobenen Maßnahmebeschwerde stellte der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark mit Bescheid vom fest, daß diese Festnahme des Klägers durch Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Graz rechtswidrig war. Dies wurde damit begründet, daß der belangten Behörde der Nachweis nicht gelungen sei, daß die Ersatzfreiheitsstrafe rechtskräftig verhängt wurde. Ausschließlich mit der pauschalen Feststellung, es entspreche nicht den Tatsachen, daß der Beschwerdeführer niemals seinen Wohnsitz in Leoben gehabt habe und daß er nie vorgebracht habe, er sei zum Zeitpunkt der Hinterlegung ortsabwesend gewesen, könne eine ordnungsgemäße Zustellung nicht begründet werden. Mangels Titels sei die Anordnung der zwangsweisen Vorführung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe für sich allein betrachtet ein verfassungswidriger Eingriff in die subjektive Rechtssphäre des Betroffenen gewesen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. VfSlg. 8812/1980, 9556/1982, 10796/1986) - Klage erwogen:
4.1. Die - auf Zinsen und Kosten eingeschränkte - Klage ist dem Grunde nach berechtigt. Mangels ordnungsgemäßer Zustellung ist die an den Kläger gerichtete Strafverfügung nicht in Rechtskraft erwachsen, sodaß die Einhebung des Betrages von S 1.498,-- vom Kläger am zufolge Fehlens eines Titels ohne Rechtsgrund erfolgt ist.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark, daß die Behörde - die im übrigen dann, wenn der Empfänger behauptet, daß er wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, die Beweislast für die Rechtswirksamkeit der Zustellung trifft (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 1987, S. 904 FN 22) - nicht nachweisen konnte, daß die Ersatzfreiheitsstrafe - und damit auch die primäre Geldstrafe - rechtskräftig verhängt wurde.
Für die Vermögensverschiebung, die durch die Hereinbringung des klagsgegenständlichen Geldbetrages bewirkt wurde, fehlt somit die rechtliche Deckung. Der Kläger war daher zu seiner Rückforderung berechtigt (vgl. VfSlg. 8812/1980, 9556/1982 und 10796/1986).
4.2. Da das Klagebegehren auf Zinsen aus dem eingehobenen Betrag und Kosten eingeschränkt wurde, ist nur mehr darüber abzusprechen.
Ein Anspruch auf Zinsen ist dem Grunde nach gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Erkenntnis VfSlg. 28/1919 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß die Bestimmungen der §§1333 und 1334 ABGB über Verzugszinsen auch bei Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses anzuwenden sind, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt; unter dieser Voraussetzung sind im Falle des Verzuges des Schuldners von diesem dem Gläubiger Verzugszinsen zu leisten (vgl. zB VfSlg. 8578/1979, 8954/1980).
Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. zB VfSlg. 9498/1982, 10496/1985, 10498/1985, 12335/1990), tritt Verzug bei der Rückzahlung einer eingehobenen Geldstrafe, deren Titel durch ein nachfolgendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes weggefallen ist, erst mit dem Zeitpunkt ein, für den die Rückgängigmachung der Vermögensverschiebung begehrt wurde. Dieser Gedanke ist auf den vorliegenden Fall übertragbar (vgl. ): Der Kläger hat die Rückzahlung des eingehobenen Geldbetrages erst mit - bei der Behörde am eingelangtem - Schreiben vom begehrt und eine Frist bis zum gesetzt. Unter Bedachtnahme auf diese, vom Kläger selbst gesetzte Frist, besteht seine Zinsenforderung sonach erst ab dem zu Recht (vgl. VfSlg. 10496/1985, 12335/1990).
5. Kosten werden nicht zugesprochen, weil der obsiegende Kläger solche zwar begehrt, nicht aber ziffernmäßig verzeichnet hat. Wohl besagt § 27 VerfGG idF BGBl. Nr. 297/1984, daß "regelmäßig anfallende Kosten, insbesondere für den Antrag (die Beschwerde) und für die Teilnahme an Verhandlungen, nicht ziffernmäßig verzeichnet werden" müssen, doch bezieht sich diese Ergänzung des Gesetzes nach Wortlaut und Sinngehalt n i c h t auf Klagen nach § 37 ff. VerfGG (vgl. VfSlg. 10161/1984, 10968/1986).
6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.