OGH vom 16.09.1987, 9ObA72/87
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr. Pipin Henzl und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Matthäus Q***, Tischler, St. Martin am Tennengebirge, Lammertal 93, vertreten durch Dr. Alexander R***, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Salzburg, Auerspergstraße 11, dieser vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Johann G***, Tischlermeister, St. Martin am Tennengebirge 134, vertreten durch Dr. Robert Eder, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 40.004,72 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 10/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes St. Johann im Pongau vom , GZ Cr 92/85-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit S 2.829,75 (darin S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim Beklagten vom bis als Tischlerlehrling und anschließend als Tischlergeselle beschäftigt. Am kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer zweiwöchigen Kündigungsfrist zum . Auf das Arbeitsverhältnis fand der Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe, im folgenden nur als Kollektivvertrag bezeichnet, Anwendung. Mit der vorliegenden Klage verlangte der Kläger der Höhe nach unbestritten S 2.743,18 brutto sA an Kündigungsentschädigung und S 24.220,-- brutto sA an Abfertigung. Nach dem Kollektivvertrag betrage die Kündigungsfrist nach einer Beschäftigung von 5 Jahren drei Wochen. Der Beklagte hätte ihn daher nur zum kündigen dürfen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger bereits eine drei Jahre übersteigende Tätigkeit als Geselle erbracht und einen Anspruch auf eine Abfertigung in Höhe von zwei Monatslöhnen erworben gehabt habe.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Nach § 16 Z 3 des Kollektivvertrages sei die Lehrzeit in die die Kündigungsfrist erhöhende Dauer des Beschäftigungsverhältnisses nicht einzurechnen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß nach dem persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages Lehrlinge den Arbeitern zwar gleichstünden, doch seien nicht sämtliche Bestimmungen des Kollektivvertrages uneingeschränkt auch auf Lehrlinge anzuwenden. Während der Kollektivvertrag in der Regelung des Urlaubszuschusses und der Abfertigung auf die "Betriebszugehörigkeit" abstelle, knüpfe die Regelung der Kündigungsfristen in § 16 an die Beschäftigung im "Arbeitsverhältnis" an. Dieser Begriff sei daher einschränkend dahin auszulegen, daß es bei Ermittlung der Kündigungsfrist nur auf ein "Arbeitsverhältnis im engeren Sinn" ankomme. Das Lehrverhältnis, das vorwiegend der Ausbildung diene, könne einem solchen Arbeitsverhältnis, das für den Kläger erst am begonnen habe, nicht gleichgestellt werden. Die für ihn maßgebliche Kündigungsfrist betrage zwei Wochen.
Das Berufungsgericht gab lediglich dem um S 1.110,-- brutto sA an restlichem Entgelt ausgedehnten Klagebegehren statt; im übrigen bestätigte es das Urteil des Erstgerichtes und wies das um die Urlaubsentschädigung in Höhe von S 13.041,54 brutto sA ausgedehnte Klagebegehren ab. Es hielt folgende Bestimmungen des Kollektivvertrages für entscheidungswesentlich:
§ 2 Z 3 (persönlicher Geltungsbereich):
Für alle in den Betrieben beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen einschließlich der Lehrlinge, mit Ausnahme der
kaufmännischen Lehrlinge.
§ 14 Z 3:
Der Urlaubszuschuß beträgt für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe bundeseinheitlich bei einer Betriebszugehörigkeit bis zu einem Jahr drei Wochenlöhne (Lehrlingsentschädigungen);.....
§ 15 Z 2 Die Weihnachtsremuneration beträgt:
Für Arbeitnehmer, die mindestens ein Jahr im Betrieb beschäftigt
sind........drei Wochenlöhne (Lehrlingsentschädigungen); für
Arbeitnehmer nach einer Betriebszugehörigkeit von vollen fünf
Jahren......vier Wochenlöhne (Lehrlingsentschädigungen).
§ 16 Kündigungsfristen:
1. Bei Einstellung des Arbeitnehmers kann eine Probezeit - jedoch höchstens vier Wochen - schriftlich vereinbart werden. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist auch vor Fertigstellung einer bereits angefangenen Akkordarbeit zum Arbeitsschluß gelöst werden.
2. Bei Lehrlingen kann das Lehrverhältnis gemäß Berufsausbildungsgesetz § 15 Abs 2 innerhalb der ersten zwei Monate ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gelöst werden.
3. Wird eine Probezeit nicht vereinbart oder wird das Arbeitsverhältnis über die vereinbarte Probezeit hinaus fortgesetzt, so kann es nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einer Woche jeweils zum Ende der Arbeitswoche aufgelöst werden. Nach einjähriger Beschäftigung erhöht sich die Kündigungsfrist auf zwei Wochen, nach fünfjähriger Beschäftigung auf drei Wochen und nach zehnjähriger Beschäftigung auf vier Wochen.
§ 17 Z 1:
Arbeitnehmer erhalten nach einer mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit eine Entschädigung (Abfertigung), wenn sie .....
Das Berufungsgericht vertrat dazu die Rechtsauffassung, es falle auf, daß gerade in jenen Bestimmungen, welche die Lehrlinge ausdrücklich erwähnen (§§ 14 und 15), von Betriebszugehörigkeit die Rede sei und nicht von einer Beschäftigungsdauer im Arbeitsverhältnis. Entscheidende Bedeutung komme jedoch der Formulierung des § 16 des Kollektivvertrages im ganzen zu. Hier sei ausdrücklich auf die Besonderheiten des Lehrverhältnisses Bedacht genommen worden, woraus folge, daß sich § 16 Z 3 nur auf ein "gewöhnliches" Arbeitsverhältnis beziehe, da die Staffelung der Fristen ab einem Jahr der Beschäftigung für Lehrverhältnisse schon wegen deren Unkündbarkeit nicht anwendbar sei. Im Zusammenhalt damit, daß bei den übrigen Regelungen, die an die Beschäftigungsdauer anknüpfen, von Betriebszugehörigkeit die Rede sei, ergebe sich, daß § 16 Z 3 des Kollektivvertrages unter "Beschäftigung im Arbeitsverhältnis" die Lehrzeit ausklammere. Ein Vergleich mit dem Angestelltengesetz als Interpretationshilfe zeige, daß im § 20 AngG der Begriff des Dienstjahres in einem bestimmten Dienstverhältnis verwendet werde, wobei es unstrittig sei, daß Zeiten eines Lehrverhältnisses in die für die Dauer der Kündigungsfrist maßgebenden Dienstzeiten nicht einzurechnen seien. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Dem Kläger kann nur insoweit beigepflichtet werden, als sich aus den Begriffen "Betriebszugehörigkeit" und "Beschäftigungsdauer" keine das Lehrverhältnis ausklammernde Differenzierung ableiten läßt. Wohl stellt § 14 Z 3 des Kollektivvertrags, der den Urlaubszuschuß behandelt und ausdrücklich auch für Lehrlinge gilt, auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit ab, doch verwendet der die Weihnachtsremuneration regelnde § 15, der ebenfalls ausdrücklich für Lehrlinge gilt, die Bezeichnungen Betriebszugehörigkeit und die Formulierung Arbeitnehmer, die für eine gewisse Zeit im Betrieb beschäftigt sind, sohin die Beschäftigungsdauer, synonym (§ 15 Z 2 lit a bis d des Kollektivvertrages). Hier ist für den Sprachgebrauch keine abweichende Linie erkennbar. Damit liegt aber das vom Revisionswerber gewünschte Ergebnis, daß die Lehrzeit als Beschäftigungszeit im Sinne des § 16 Z 3 des Kollektivvertrages anzusehen sei, noch nicht vor.
Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist ein Gesetz im materiellen Sinn und wirkt wie ein Gesetz im formellen Sinn gestaltend auf den Arbeitsvertrag ein und bestimmt dessen Inhalt (Arb. 9.639 ua); er ist daher nach den Grundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB wie ein Gesetz nach Wort und Sinn sowie unter Bedachtnahme auf ähnliche Regelungen auszulegen (Arb. 10.480 ua). Ungeachtet der Auffassung, daß auch ein Lehrverhältnis ein Arbeitsverhältnis und der Lehrling ein Arbeitnehmer ist, entspricht es Lehre und Rechtsprechung, daß durch die Weiterbeschäftigung des Lehrlings nach dem Ende der Lehrzeit nicht etwa das bestehende Arbeitsverhältnis fortgesetzt, sondern grundsätzlich ein neues Arbeitsverhältnis begründet wird (Berger-Rohringer Berufsausbildungsgesetz 185; Arb. 9.083; DRdA 1981/12 = ZAS 1980/3 = Arb. 9.781 mwH). Die für die Begründung arbeitsrechtlicher Ansprüche maßgeblichen Zeiten eines Lehrverhältnisses und eines unmittelbar anschließenden Arbeitsverhältnisses als Geselle bilden daher nicht schlechthin eine Einheit. Dies übersieht der Kläger bei seinen Ausführungen, sein vorerst befristetes Arbeitsverhältnis sei in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergegangen. Auch wenn Lehrlinge entweder zur Gruppe der Arbeiter oder zur Gruppe der Angestellten gezählt werden, folgt daraus nicht, daß gewerbliche Lehrlinge etwa allen Rechtsvorschriften der Arbeiter unterliegen; sie bilden vielmehr unter der Gruppe der Arbeiter eine Sondergruppe, weshalb es je nach dem, ob die Lehrlinge ein- oder ausgeschlossen sind, einen engeren und weiteren Begriff des Arbeiters und somit des Arbeitsverhältnisses gibt. Wie der Gesetzgeber zwischen Arbeitern im engeren Sinn und Lehrlingen unterscheiden kann, können dies auch die Kollektivvertragsparteien (Tomandl in ZAS 1975, 56 f). Wird daher in einem Kollektivvertrag auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses abgestellt, muß die jeweilige Anspruchsgrundlage daraufhin geprüft werden, ob eine Spezialnorm die Anrechnung dieser Zeiten aus dem Zweck der betreffenden Bestimmung ergibt (Berger-Rohringer aaO 187).
Obwohl § 16 des Kollektivvertrags ausdrücklich zwischen einem
"Arbeitsverhältnis" und einem "Lehrverhältnis" unterscheidet,
enthält diese Bestimmung keine Vorschrift - wie etwa
§ 23 Abs 1 AngG für die Abfertigung - , daß die Lehrzeit in die für
die Kündigungsfrist maßgebliche Dauer des Arbeits- oder
Beschäftigungsverhältnisses einzubeziehen sei. § 16 Z 1 enthält
Vorschriften über ein Arbeitsverhältnis auf Probe, Z 4 behandelt ein
auf bestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis, Z 5 gewährt
dem Arbeitnehmer die notwendige Freizeit zum Aufsuchen eines neuen Arbeitsplatzes bei Kündigung und Z 6 weist auf die Pflicht zur Verständigung des Betriebsrats gemäß den §§ 105 bzw. 106 ArbVG bei Kündigung oder Entlassung des Arbeitnehmers hin. Alle diese Bestimmungen sind auf Lehrlinge auf Grund der Auflösungsbeschränkungen, denen Lehrverhältnisse im Sinne des § 15 BAG unterliegen, nicht anwendbar. Da das Gesetz die Möglichkeit einer Kündigung des Lehrverhältnisses nicht zuläßt, hat der in den §§ 105 ff ArbVG geregelte allgemeine Kündigungsschutz für Lehrlinge keine Bedeutung (Berger-Rohringer aaO 125). Mit Ausnahme des Verweises auf § 15 Abs 2 BAG in Z 2 enthält somit § 16 Z 1, 4 bis 6 des Kollektivvertrages nur Vorschriften, die sich auf ein Arbeitsverhältnis im engeren Sinn beziehen. Prüft man nun die Z 3 des § 16 des Kollektivvertrags dahin, ob die Zeit eines Lehrverhältnisses bei Ermittlung der Kündigungsfrist einzurechnen ist, wird ebenfalls deutlich, daß sich diese Vorschrift nur auf ein Arbeitsverhältnis im engeren Sinn beziehen kann. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Verlängerung der Kündigungsfrist nicht schlechthin an die Dauer der Beschäftigung oder der bloßen Betriebszugehörigkeit anknüpft, sondern darauf abstellt, daß keine Probezeit vereinbart oder daß das Arbeitsverhältnis über die vereinbarte Probezeit hinaus fortgesetzt wurde; auf das Lehrverhältnis passende und dieses einbeziehende Hinweise sind darin auch mittelbar nicht zu finden. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, entspricht die vorgesehene Staffelung nicht den Bestimmungen des BAG. Der Einwand des Revisionswerbers, es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein vorangegangenes befristetes Arbeitsverhältnis nicht ebenso gewertet werde wie ein von vorneherein unbefristetes Arbeitsverhältnis, schlägt schon deshalb nicht durch, weil die aufgezeigte Differenzierung nur ein Lehrverhältnis betrifft, welches als Arbeitsverhältnis nicht nahtlos fortgesetzt werden konnte und das aus sachbezogenen Gründen als Arbeitsverhältnis im weiteren Sinn, wie zum Beispiel § 23 Abs 1 AngG oder die vom Berufungsgericht erwähnte Nichteinrechnung der Lehrzeit in die für die Dauer der Kündigungsfrist maßgeblichen Dienstzeiten eines Angestellten beweisen, eine unterschiedliche Regelung zum Arbeitsverhältnis im engeren Sinn erfahren kann. Die in der Revision angeführte und in Arb. 7.956 abgedruckte Entscheidung betraf einen anderen Sachverhalt und einen anderen Kollektivvertrag.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.