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VfGH vom 22.02.2011, B719/10

VfGH vom 22.02.2011, B719/10

19300

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung der Berufung einer Gemeinde betreffend einen Eigentumsfeststellungsantrag

Spruch

I. Die beschwerdeführende Stadtgemeinde ist durch den ersten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

II. Das Land Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Stadtgemeinde die mit € 800,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zu Handen ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, soweit sich diese gegen den zweiten und dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides richtet, abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Die beschwerdeführende Stadtgemeinde richtete an das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz mit Eingabe vom unter anderem folgende Anträge:

"[…]

2.) Die Agrarbehörde möge feststellen, wem die zum

Gutsbestand der Liegenschaft EZ ... GB ... Igls gehörigen Grundstücke

gehören, nämlich dass diese im Eigentum der Stadtgemeinde […] stehen.

3.) Die Agrarbehörde möge hinsichtlich der in Punkt 2.) aufgezählten Grundstücke und auch hinsichtlich aller anderen im Eigentum der Agrargemeinschaft […] stehenden Grundstücke

a) feststellen, dass diese Gemeindegut darstellen und

b) […]"

2. Bereits zuvor hatte die mitbeteiligte Agrargemeinschaft mit Eingabe vom die bescheidförmige Feststellung begehrt,

"dass die Agrargemeinschaft […] rechtlich einwandfrei begründet wurde bzw. rechtskonform besteht und damit das von der Gemeinde Mieders erwirkte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. B464/07, auf die Agrargemeinschaft […] nicht anzuwenden ist".

3. Mit Bescheid vom , AgrB-R533/221-2009, erledigte das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde

I. Instanz die unter Punkt 1 und 2 genannten Anträge wie folgt (Hervorhebungen im Original):

"I.

[…]

II.

Aufgrund der Anträge 2) und 3)a) sowie des Antrages der Agrargemeinschaft […] wird gemäß § 73 litd Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (TFLG 1996), LGBl. Nr. 74/1996 i. d.g.F., festgestellt, dass beim Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft […], vorgetragen in EZ ..., GB Igls, kein Gemeindegut vorliegt."

4. Über Berufung der beschwerdeführenden Stadtgemeinde sprach die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem Folgendes aus:

"1) Soweit sich die Berufung auf den Eigentumsfeststellungsantrag hinsichtlich der Liegenschaft in EZ ... GB Igls zu Gunsten der Stadtgemeinde […] bezieht, wird diese als unzulässig zurückgewiesen.

2) Im Übrigen wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.

3) Die in der Berufung gestellten Anträge, der Landesagrarsenat möge als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde

a) den Bescheid der Agrarbehörde I. Instanz vom , Zl. IIIb-919/15, womit die zwischen der Stadtgemeinde Innsbruck und der Agrargemeinschaft Waldinteressentschaft Igls abgeschlossene Vereinbarung vom agrarbehördlich genehmigt wurde, und

b) den Bescheid der Agrarbehörde I. Instanz vom , Zl. IIIb 1-823/20,

aufheben, in eventu als nichtig erklären, in eventu in eine das Recht der Stadtgemeinde Innsbruck auf die Substanz des Gemeindewaldes Igls berücksichtigende Regulierung der Benützungs- und Verwaltungsrechte abändern,

werden zurückgewiesen."

Mit Bezug auf den ersten Spruchpunkt begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid wie folgt:

"Bezüglich des Antrages der Berufungswerberin auf Feststellung, wem die zum Gutsbestand der Liegenschaft in EZ ... GB Igls gehörigen Grundstücke gehören, nämlich, dass diese im Eigentum der Stadtgemeinde […] stehen, wurde von der Agrarbehörde I. Instanz mit dem angefochtenen Bescheid festgestellt, dass beim Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft […], vorgetragen in EZ ... GB Igls, kein Gemeindegut vorliegt. Damit wurde aber eine andere Feststellung getroffen als tatsächlich laut Antragsgegenstand (Eigentums- und nicht Gemeindegutsfeststellung) begehrt wurde. Der Eigentumsfeststellungsantrag bezüglich der Liegenschaft in EZ ... GB Igls zu Gunsten der Stadtgemeinde […] erweist sich folglich als unerledigt, da mit dem angefochtenen Bescheid letztlich über diesen Antrag auf Eigentumsfeststellung nicht abgesprochen worden ist. Soweit sich die vorliegende Berufung daher auf die (vermeintliche) Entscheidung des Eigentumsfeststellungsantrages (Antrag Nr. 2) bezieht, erweist sich das Rechtsmittel als unzulässig, da in Wirklichkeit diesbezüglich gar keine Entscheidung vorliegt."

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde der Stadtgemeinde, die die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet.

6. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Agrargemeinschaft erstattete eine Gegenäußerung und beantragt, die Beschwerde "zurückzuweisen und/oder als unbegründet abzuweisen". Darauf replizierte die beschwerdeführende Stadtgemeinde, wozu sich wiederum die mitbeteiligte Agrargemeinschaft äußerte.

II.

1. Zum ersten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides:

1.1. Die Beschwerde ist zulässig.

1.2. In der Sache:

1.2.1. Nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Stadtgemeinde verletze sie der erste Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

1.2.2. Mit diesem Vorbringen ist die beschwerdeführende Stadtgemeinde im Recht:

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

1.2.3. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde hat die Erstbehörde den Antrag der beschwerdeführenden Stadtgemeinde auf Feststellung der Eigentumsverhältnisse an der Liegenschaft EZ ... GB Igls - den zweiten Antrag der Eingabe vom - erledigt, indem sie die Feststellung im zweiten Spruchpunkt des Bescheides vom , AgrB-R533/221-2009, ausdrücklich (auch) aufgrund dieses zweiten Antrages der beschwerdeführenden Stadtgemeinde getroffen hat. Unabhängig von der - hier nicht zu beurteilenden - Frage, ob diese Erledigung in dieser Form und mit diesem Inhalt rechtsrichtig oder rechtswidrig ist, kann sie jedenfalls zulässigerweise Gegenstand einer Berufung sein, über die von der Berufungsbehörde - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - in der Sache zu entscheiden ist.

1.2.4. Indem hingegen die belangte Behörde die Berufung in diesem Umfang als unzulässig zurückgewiesen hat, hat sie der beschwerdeführenden Stadtgemeinde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und sie dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

1.2.5. Der erste Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diesen Spruchpunkt betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen war.

1.2.6. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG abgesehen.

2. Zum zweiten und dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2.2. Die vorliegende Beschwerde rügt mit Bezug auf den zweiten und dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum atypischen Gemeindegut nach dem TFLG 1996 (siehe insb. VfSlg. 18.446/2008 sowie , B640/10) auf Hauptteilungen nicht übertragen lässt - nicht anzustellen.

2.3. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Bestimmungen von der Art des § 68 AVG (zB VfSlg. 4986/1965, 7978/1977 ua.) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

2.4. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

2.5. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sich diese gegen den zweiten und dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides richtet, abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Die beschwerdeführende Stadtgemeinde ist insoweit durchgedrungen, als der angefochtene Bescheid in einem von drei Spruchpunkten aufgehoben wurde. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt; insoweit findet kein Kostenersatz statt (siehe etwa VfSlg. 18.045/2006). Der beschwerdeführenden Stadtgemeinde ist daher ein Drittel der Kosten (€ 666,67) zuzusprechen (vgl. auch VfSlg. 16.250/2001). Der zugesprochene Kostenbetrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von € 133,33.