TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 29.05.2018, 14Os45/18a

OGH vom 29.05.2018, 14Os45/18a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmut L***** wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom , GZ 10 Hv 56/17i-52, sowie über dessen Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut L***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen mehrerer Vergehen nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I/1) sowie je eines Verbrechens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 269 Abs 1 zweiter Fall, 15 StGB (I/2) und nach § 3g VerbotsG (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

(I) am

1) Nachgenannte gefährlich mit dem Tod (a und b) oder mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz (c) bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar die Polizeibeamten

a) Mark T***** durch die Äußerung: „I merk ma dei Gesicht, wenn i dich privat sehe, bring ich dich um!“,

b) Markus R***** durch die Äußerung: „Du Drecksau! Wenn ich in den Häfn muss, dann wirst schon sehen was mit dir passiert. I merk ma dei Gesicht und dann such ich dich! Eine 9-mm-Kugel ist viel schneller als du! ... Ich kenn die ganze Karlau-Mafia! Wirst schon noch sehen!“,

c) Markus D***** und Markus R***** durch die Äußerung: „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Ich werde zum Arzt sagen, dass ihr mich draußen am Bahnhof geschlagen habt! Das habt ihr davon, ich sag das fix, Ihr Polizeiwichser!“;

2) die Polizeibeamten Mark T***** und Markus R***** durch die Äußerung: „I sogs eich, wenns ihr mi ned loslassts bring i eich um!“, mithin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, an einer Amtshandlung, nämlich der Fortsetzung seiner Vorführung in die Polizeiinspektion Hauptbahnhof zur Vernehmung und Klärung des Verdachts des zu Punkt I.1.a. dargestellten Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB, zu hindern versucht;

(II) sich am auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise mit dem Vorsatz im nationalsozialistischen Sinne betätigt, dadurch die Zielsetzungen des Nationalsozialismus, nämlich Rassismus, Totalitarismus, extremen Deutschnationalismus, Militarismus, die Glorifizierung der Person Adolf Hitler als „Führer“ und Antijudaismus, zu bewerben und auf diese Weise für die Gegenwart zu aktualisieren, indem er vor dem G***** Hauptbahnhof den rechten Arm zum so bezeichneten „Hitlergruß“ ausstreckte und die nationalsozialistische Grußformel „Heil Hitler“ schrie.

Rechtliche Beurteilung

Die (nominell) aus § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Indem sie zu (I) pauschal die

Ernstlichkeit der

Drohungen und das Vorliegen der subjektiven Tatseite bestreitet, auf Basis eigener beweiswürdigender Überlegungen unter Berufung auf „die allgemeine Lebenserfahrung“ und die „herrschende Ansicht“ zum Schluss kommt, die „Wortwahl entpuppe“ sich als „inhaltsleere Phrase“, bloße milieubedingte Unmutsäußerung oder allenfalls als – kein Mittel der Drohung darstellende – „reine Warnung“, mit der „eigentlich überhaupt keine nachvollziehbare Rechtsgutverletzung in Aussicht gestellt“ und (zu I/2) auch kein „naheliegender Zweck verfolgt“ worden sei oder werden sollte, kritisiert sie der Sache nach die Beurteilung des Bedeutungsinhalts der verfahrensgegenständlichen Äußerungen und der damit verfolgten Täterintention durch die

Geschworenen, die aber als Tatfragen (Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 34) nicht Gegenstand der Rechtsrüge, sondern der
– hier nicht erhobenen – Tatsachenrüge (Z 10a) sind (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 31, 64). Solcherart verfehlt sie den in den festgestellten Tatsachen des gesamten Wahrspruchs der

Geschworenen gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0101476).

Soweit die Rüge – nur zu I/1/a und b sowie I/2 mit hinreichender Deutlichkeit – auch die Eignung der Drohungen, den Bedrohten begründete Besorgnis (hier: vor einem Angriff auf ihr Leben) einzuflößen (vgl dazu Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 33), in Frage stellt, leitet sie nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116569), weshalb eine solche bei gebotener Anlegung eines objektiv individuellen Maßstabs in Bezug auf die hier aktuelle – zudem teilweise mit dem Hinweis auf beabsichtigten Schusswaffengebrauch und Kontakte zur „Karlau-Mafia“ verbundene (I/1/b) – Ankündigung der Ermordung nicht gegeben sein sollte und aus welchem Grund es bei der Beurteilung dieser Rechtsfrage auf die (unmittelbare) Realisierbarkeit des angedrohten Übels oder darauf ankommen sollte, dass die Beamten tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzt wurden (vgl RIS-Justiz RS0092753,

RS0092392,

RS0127353).

Zum Schuldspruch II vertritt die Beschwerde die Auffassung, die inkriminierte einmalige „unbedachte und sinnbefreite“ Ausführung des Hitlergrußes und der damit verbundene Ausruf „Heil Hitler“ könne „schlichtweg nicht als NS-Wiederbetätigung qualifiziert werden“. Sie übersieht, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ – einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens – auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese – wie hier – die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund deren das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht, sodass (auch) dessen Bejahung einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen ist (

RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK² VG § 3g Rz 17; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 618 sowie erneut § 345 Rz 31).

Soweit mit dem Vorbringen ein auf

Betätigung im nationalsozialistischen Sinn gerichteter Vorsatz des Beschwerdeführers bestritten werden soll, erschöpft sich die Rüge ein weiteres Mal in unzulässiger Kritik an der

Beweiswürdigung der

Geschworenen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und (insoweit verfehlt als Beschwerde bezeichnet; vgl § 435 Abs 2 StPO) die Anordnung der vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB sowie die Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung (§§ 285i, 498 Abs 3, 344 StPO).

Bleibt anzumerken, dass der Wahrspruch zum Schuldspruch I/1/c keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Subsumtion (auch) nach § 107 Abs 2 StGB (hier: Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz) enthält (vgl RIS-Justiz RS0094007, RS0120637; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616). Da die festgestellte Äußerung aber jedenfalls die Annahme einer Drohung mit einer Verletzung an der Ehre trägt, liegt bloß ein Subsumtionsfehler vor, der ohne Einfluss auf den Strafrahmen bleibt und sich auch sonst nicht konkret zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Er musste daher nicht von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) aufgegriffen werden (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Angesichts dieser Klarstellung ist das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde nicht an die verfehlte Subsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00045.18A.0529.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.