OGH vom 30.08.2011, 8ObA92/10b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Richard Warnung und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 35.141,43 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 78/10t 17, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 187/09s 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.959,48 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 326,58 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit als Chorsängerin beim Landestheater S***** im Rahmen jährlich verlängerter Bühnendienstverträge beschäftigt gewesen. Der letzte dieser Verträge wurde am für den Zeitraum vom bis vereinbart.
Der Klägerin, die seit geraumer Zeit unter gesundheitlichen Problemen leidet, war über ihren Wunsch ein mehrtägiger Urlaub genehmigt worden, weil sie erklärt hatte, sich in ihrem Heimatland medizinisch behandeln lassen zu wollen. Sie unterzog sich auch medizinischen Behandlungen, nahm aber auch während des Urlaubs als Solistin an einem Konzert teil, in dessen Verlauf sie drei Arien mit einer Dauer von ca 35 Minuten sang. Unstrittig ist ferner, dass die Klägerin am selben Tag auch an einer Probe teilnahm und dass sie anlässlich ihres Ersuchens um Bewilligung des Urlaubs das zu diesem Zeitpunkt schon vereinbarte Konzert nicht erwähnte.
Nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub wurde die Klägerin vom Intendanten der Beklagten mit der Begründung entlassen, zur Erlangung der Urlaubsgenehmigung gesundheitliche Probleme vorgeschoben, im auf diese Weise genehmigten Urlaub aber ein Konzert gesungen zu haben.
Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren entlassungsabhängige Ansprüche geltend. Sie habe keinen Entlassungsgrund gesetzt.
Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Klägerin durch ihr Verhalten die Entlassungsgründe des § 38 Z 7 Schauspielergesetz (SchSpG) und der Vertrauensunwürdigkeit gemäß § 27 AngG verwirklicht habe.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht führte im Wesentlichen aus, dass der Entlassungsgrund des Vertrauensmissbrauchs iSd § 38 Z 7 SchSpG wesentlich restriktiver gefasst sei als die vergleichbaren Regelungen in § 82 lit d GewO 1859 oder § 27 Z 1 AngG. Nach dem SchSpG erfülle nur ein Vertrauensmissbrauch den Entlassungstatbestand, durch den ein „erhebliches vermögensrechtliches oder künstlerisches Interesse des Unternehmers“ gefährdet werde. Die Klägerin habe zwar bewusst gegen die dienstlichen Interessen der Beklagten verstoßen und deren Vertrauen missbraucht. Allerdings habe die Beklagte nicht einmal behauptet, dass durch den Vertrauensmissbrauch erhebliche vermögensrechtliche und künstlerische Interessen der Beklagten gefährdet worden seien.
§ 38 SchSpG enthalte lediglich eine demonstrative Aufzählung von Entlassungstatbeständen, sodass die nähere Konkretisierung durch die Gerichte oder im Weg der vertraglichen Vereinbarung möglich sei. Voraussetzung dafür, dass ein wichtiger Grund eine Entlassung rechtfertige, sei jedoch, dass der Tatbestand den im § 38 SchSpG beispielsweise aufgezählten Gründen an Gewicht gleichkomme. Ein Tatbestand könne dann nicht unter die Generalklausel des § 37 SchSpG subsumiert werden, wenn er unter einen der beispielsweise aufgezählten Fälle des § 38 SchSpG falle, ihm aber ein dort als Erfordernis angeführtes Merkmal mangle. Eine ausdehnende Auslegung der Entlassungsgründe auf die Vertrauenswürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG komme nicht in Frage, weil § 38 Z 7 SchSpG den Begriff der Vertrauensunwürdigkeit - wenn auch wesentlich restriktiver - ausdrücklich normiere. Weil für Bühnenmitglieder eine ernstliche Gefährdung erheblicher vermögensrechtlicher und künstlerischer Interessen des Arbeitgebers als zusätzliches Merkmal normiert werde, entspreche eine „normale“ Vertrauensunwürdigkeit, wie sie für Angestellte ausreiche, nach ihrem Gewicht bzw in ihrer Bedeutung nicht diesem Tatbestand. Es liege daher auch keine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung vor, die eine Analogie rechtfertigen könnte. Die im SchSpG demonstrativ genannten wichtigen Gründe für eine sofortige Beendigung seien großteils sehr spezifisch auf den Bühnenbereich zugeschnitten, sodass nicht gesagt werden könne, die dem Angestelltengesetz zugrundeliegenden Wertungen seien im Sinn einer Gleichbehandlung uneingeschränkt auf Bühnenmitglieder zu übertragen. Dies rechtfertige einen differenzierten Begriff der Vertrauensunwürdigkeit durch das unterschiedliche Arbeitsumfeld. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung 8 ObA 7/98g: Diese sei nicht vergleichbar, weil dort lediglich die formale Frage des Erfordernisses einer schriftlichen Mahnung iSd § 38 Z 5 SchSpG bei einem beharrlich eine Rolle verweigernden Tenor zu beurteilen gewesen sei. Würde man inhaltlich den Begriff der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG für Bühnenmitglieder genügen lassen, wäre der relativ zwingende (§ 45 Abs 2 SchSpG) und restriktivere § 38 Z 7 SchSpG obsolet.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 27 Z 1 AngG verneint hat, sind zutreffend. Es reicht daher aus, auf die ausführliche Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:
1. Die Beklagte wendet sich in der Revision nicht mehr gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Tatbestand des hier noch anzuwendenden § 38 Z 7 SchSpG (nunmehr § 31 Z 7 Theaterarbeitsgesetz [TAG], BGBl I 2010/100) nicht verwirklicht ist. Vielmehr stützt sie sich auf § 27 Z 1 AngG, der ihrer Ansicht nach analog angewendet werden müsse, weil § 38 Z 7 SchSpG den im AngG geregelten Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nicht erfasse. Diese Rechtsauffassung wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt.
2. Der Gesetzgeber traf im Jahr 1922 bei der Schaffung des SchSpG bewusst die Entscheidung, einen eigenen, auf die besonderen Bedürfnisse des Theaterbetriebs abgestimmten Katalog von Entlassungsgründen zu schaffen. Der AB (1006 BlgNR 1. GP 1) weist ausdrücklich auf das im Jahr 1921 geschaffene neue Angestelltengesetz hin und führt aus, dass in diesem die wesentliche Gruppe der im Vertragsverhältnis stehenden darstellenden Künstler und Theatermusiker nicht enthalten sei. Der „überaus gründlich“ beratene Initiativantrag (49 BlgNR 1. GP) berücksichtige insbesondere auch die „vielfach ganz eigenartigen Verhältnisse im Theaterbetriebe“ (1006 BlgNR 1. GP 1). Bereits dieser Initiativantrag enthält in § 36 Z 7 den späteren Entlassungstatbestand des § 38 Z 7 SchSpG. Der AB erachtete eine eigene Besprechung dieses Entlassungstatbestands nicht für erforderlich, weil sein „Zweck aus dem Wortlaute ohne weiteres zu ersehen“ sei (1006 BlgNR 1. GP 2).
3. Erste Voraussetzung einer Analogie ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke (RIS Justiz RS0008866 ua). An einer solchen fehlt es hier jedoch, weil der Gesetzgeber mit § 38 Z 7 SchSpG einen eigens formulierten Entlassungstatbestand geschaffen hat, dessen Gegenstand ein Verhalten des Mitglieds des Theaterunternehmens ist, das - ähnlich wie bei den Tatbeständen der § 82 lit d GewO 1859, § 27 Z 1 3. Tatbestand AngG - Vertrauensunwürdigkeit zur Folge hat ( Kuderna , Entlassungsrecht² 197; Kozak/Balla/Zankel , SchSpG 203; vgl auch Schrammel , Handeln gegen die Interessen des Dienstgebers - dargestellt am Beispiel eines Operndirektors, RdW 1984/1, 20). Der Tatbestand ist restriktiv formuliert, nicht jeder Vertrauensmissbrauch ist tatbestandsmäßig ( Kuderna aaO 197). Bereits Klemperer (Das Schauspielergesetz [1924] 41), merkte in diesem Zusammenhang an, dass die enge begriffliche Fassung der Vertrauensunwürdigkeit im Schauspielergesetz dazu führen werde, dass der Tatbestand nicht oft anwendbar sein werde, weil kaum alle Tatbestandsmerkmale auf einmal zutreffen werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass aus den dargestellten Gründen § 38 Z 7 SchSpG nicht planwidrig unvollständig ist.
4. Dass nach der (einen völlig anderen Sachverhalt betreffenden) Entscheidung 8 ObA 7/98g im Hinblick auf die Generalklausel des § 37 SchSpG und der ihr folgenden demonstrativen Aufzählung der Entlassungsgründe in § 38 SchSpG in weiterem Ausmaß eine ausdehnende Auslegung bzw die Analogie zu vergleichbaren Entlassungsgründen nach dem Angestelltengesetz zulässig ist, hat das Berufungsgericht ohnedies erkannt. Es hat aber - unter Berufung auf Kapfer (Schauspielergesetz [1974] § 38 Anm 6) - völlig zutreffend ausgeführt, dass ein Tatbestand dann nicht unter die Generalklausel des § 37 SchSpG subsumiert werden kann, wenn er unter einen der beispielsweise aufgezählten Fälle des § 38 SchSpG fiele, würde ihm nicht ein dort als Erfordernis angeführtes Merkmal mangeln. Genau das ist aber hier der Fall.
5. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die weiteren Ausführungen des Revisionswerbers über die von ihm nicht gebilligten Konsequenzen dieser Rechtslage inhaltlich als Kritik an der hier anzuwendenden Norm und der ihr zugrunde liegenden Wertung des Gesetzgebers. Mit diesen Ausführungen kann er die Richtigkeit der Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht in Frage stellen.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 ZPO.