OGH vom 17.06.2014, 14Os44/14y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl S***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom , GZ 14 Hv 114/12m 31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen II, III und IV, demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl S***** des Verbrechens des Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (I) sowie der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II), der sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen nach § 218 Abs 2 StGB (III) und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3a iVm Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (IV) schuldig erkannt.
Danach hat er in K*****
(I) am außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der am geborenen, sohin unmündigen Jasmin K***** eine geschlechtliche Handlung „vorzunehmen versucht“, „indem er unter Wasser mit einem Fuß und/oder einer Hand zu ihrer Scheide hintastete und (sie) zumindest im Bereich um die Scheide konkret betastete“;
(II) am (richtig:) eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, indem er im öffentlichen Hallenbad der Stadt K***** vor der am geborenen Jasmin K***** wiederholt seinen Penis entblößte und „daran hin und her rieb“;
(III) am öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, die oben unter (II) geschilderte geschlechtliche Handlung vorgenommen;
(IV) zumindest am im Internet wissentlich auf pornographische Darstellungen „unmündiger bzw minderjähriger“ Personen zugegriffen, nämlich auf wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen „an bzw mit diesen“ und eines Geschehens mit einer unmündigen Person, dessen Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, dass es sich dabei um eine geschlechtliche Handlung „an bzw mit dieser“ handelt „(vergleiche Bilddateien laut Datenauswertungs-bericht ON 3)“.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 8 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.
Mit dem, den Schuldspruch (I) betreffenden Einwand fehlender Feststellungen zur Intention des Beschwerdeführers, durch die konstatierten Tathandlungen eine geschlechtliche Handlung an der unmündigen Jasmin K***** vorzunehmen, übergeht die Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) die Urteilsannahmen, wonach Karl S***** sich zunächst so postierte, dass er das Opfer zwischen den Beinen berühren konnte, diese „bewusst intimen Berührungen“ sodann in den Bereich … zwischen Anus und Scheide … verlagerte, die Unmündige letztlich für etwa fünf bis zehn Sekunden gezielt und stärker mit mehreren Zehen oder Fingern unmittelbar beim Scheidenbereich berührte (US 6 f), und dadurch „gezielt und bewusst geschlechtliche Handlungen vornahm“ (US 15). Sie verfehlt damit den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit und legt nicht dar, welche darüber hinausgehenden Konstatierungen für die vorgenommene Subsumtion erforderlich gewesen wären.
Die kritisierten Feststellungen zur subjektiven Tatseite haben die Tatrichter dem weiteren Beschwerdestandpunkt (Z 5 vierter Fall) zuwider bei auch insoweit gebotener vernetzter Betrachtung der Gesamtheit der Entscheidungsgründe deutlich genug aus den Angaben mehrerer Zeugen zur Gezieltheit der Angriffe und damit aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet und dabei ausführlich erörtert, aus welchen Gründen sie der leugnenden Verantwortung des Angeklagten nicht zu folgen vermochten (US 7 ff). Diese Erwägungen widersprechen weder den Gesetzen logischen Denkens noch grundlegenden Erfahrungssätzen und sind solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116732, RS0118317; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452).
Indem der Beschwerdeführer aus angeblich getroffenen Feststellungen, die dem Urteil zudem bloß teilweise zu entnehmen sind, und dem in der angefochtenen Entscheidung unbegründet gebliebenen Freispruch vom Vorwurf sexuellen Missbrauchs der unmündigen Jasmin B ***** (Anklagefaktum I) eigene, für ihn günstigere Schlüsse zieht als die des Erstgerichts, zeigt er keine unberücksichtigt gebliebenen erheblichen Verfahrensergebnisse (Z 5 zweiter Fall) auf, sondern bekämpft unzulässig die erstgerichtliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass d er Begriff der geschlechtlichen Handlung jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung umfasst, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt (RIS-Justiz RS0078135, RS0102141), worunter die hier aktuellen gezielten Berührungen zwischen Anus und Scheide und unmittelbar im Scheidenbereich der Unmündigen zu zählen sind. Dass das Erstgericht wie der Rechtsmittelwerber erkennbar einen anderen Rechtsstandpunkt vertritt und demnach bei der Strafbemessung irrig bloß von versuchter Tatbegehung ausging (US 2 f, 16), gereicht dem Beschwerdeführer (unter dem Aspekt der Z 11 zweiter Fall; vgl dazu RIS-Justiz RS0122137) nicht zum Nachteil, weshalb für ein Vorgehen nach § 290 StPO keine Veranlassung bestand.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Im Recht ist demgegenüber die den Schuldspruch III betreffende Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit ihrem Einwand eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite.
Für die vorgenommene Subsumtion (§ 218 Abs 2 StGB) muss der zumindest bedingte Vorsatz des Täters nämlich soweit hier wesentlich die konkrete unmittelbare Wahrnehmbarkeit der geschlechtlichen Handlung durch einen größeren Personenkreis (sohin von etwa zehn Personen) und die Gefahr eines berechtigten Ärgernisses wenigstens einzelner dieser Personen umfassen ( Philipp in WK² StGB § 218 Rz 18, 20), wozu das Urteil keine Feststellungen enthält.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur davon, dass dem Urteil auch in den Schuldsprüchen II und IV nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Beschwerdeführers anhaftet, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Zum Schuldspruch II stellten die Tatrichter zwar fest, dass die konstatierte Tathandlung „als solche geeignet“ war, „die sittliche Entwicklung eines dreizehnjährigen Mädchens grundsätzlich und generell, speziell aber auch jene der noch kindlichen Jasmin K***** zu gefährden“ (US 5; vgl auch US 12). Dass sich der Vorsatz des Angeklagten auch auf diese (allgemeine) Gefährdungseignung bezog (vgl dazu Philipp in WK² StGB § 208 Rz 11), lässt sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen.
§ 207a StGB pönalisiert soweit hier wesentlich das wissentliche Zugreifen auf pornographische Darstellungen (mündiger und unmündiger) Minderjähriger im Internet, deren Definition sich in Abs 4 dieser Bestimmung findet. Zur Subsumtion von Bildern (und Videos) unter den Tatbestand des § 207a StGB bedarf es daher jeweils den Kriterien dieses normativen Tatbestandsmerkmals entsprechender (deskriptiver) Sachverhaltsfeststellungen (vgl 12 Os 151/08k, 14 Os 107/11h, 14 Os 26/13z).
Solche sind der angefochtenen Entscheidung, die sich insoweit ohne Beschreibung des konkret inkriminierten Bildmaterials in der unsubstantiierten Wiedergabe der verba legalia („pornografische Darstellungen unmündiger bzw. mündiger Personen an mit wirklichkeitsnahen Abbildungen geschlechtlicher Handlungen an bzw. mit diesen und wirklichkeitsnaher Abbildungen von Handlungen, die geschlechtlicher Natur sind“; US 7) erschöpft, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit und Bestimmtheit zu entnehmen.
Der im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und im Rahmen der Feststellungen enthaltene Hinweis auf den „Datenauswertungsbericht ON 3“ und den „Datensicherungsbericht ON 3, Bilder Seite 13 bis 15“ (US 2 und 7) vermag die fehlenden Feststellungen schon deshalb nicht zu ersetzen, weil an den angegebenen Fundstellen im Akt auch eine Vielzahl von Bildern ohne jeglichen sexuellen Bezug enthalten ist (vgl aber auch RIS-Justiz RS0114639; Ratz , WK StPO § 281 Rz 15 und 579). Die sprachlich unverständliche bloße Erwähnung von drei konkret bezeichneten Dateien innerhalb der beweiswürdigenden Erwägungen (US 13) reicht ebenso wenig aus, die vorgenommene Subsumtion zu tragen.
Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 605 f) machen die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht erforderlich.
Eine Erörterung der gegen diese Schuldsprüche erhobenen weiteren Einwände erübrigt sich somit.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es zwar dem Beschwerdestandpunkt zuwider für die Subsumtion unter § 208 Abs 1 StGB (Schuldspruch II) weder der durch die Vornahme der geschlechtlichen Handlung bewirkten tatsächlichen Erregung des Täters (sondern bloß einer darauf gerichteten hier festgestellten [US 5] Absicht), noch des konkreten Eintritts der Gefährdung der sittlichen, seelischen oder gesundheitlichen Entwicklung des Tatopfers (potentielles Gefährdungsdelikt; vgl Philipp in WK² StGB § 208 Rz 7, 11) bedarf, dass die Urteilsannahmen zur Absicht des Beschwerdeführers, sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen (US 5), vorliegend aber gänzlich unbegründet blieben (Z 5 vierter Fall), worauf die Rüge im Ergebnis zutreffend hinweist.
Zum (ebenso unbegründet gebliebenen) Einziehungserkenntnis, das sich auf „die sichergestellten Datenträger mit kinderpornografischem Inhalt“ (damit deutlich genug auf die zu Standblatt Nr 102/12 erliegende Festplatte, ON 5) bezog (US 3), und mangels ausreichender Feststellungen zu einer in diesem Zusammenhang vorliegenden mit Strafe bedrohten Handlung von der Aufhebung umfasst ist (vgl dazu auch 17 Os 23/13f), bleibt anzumerken:
Die E inziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an. Eine solche ist in Ansehung eines Datenträgers, auf dem Bildmaterial mit pornographischen Darstellungen Unmündiger im Sinn des § 207a Abs 4 StGB gespeichert ist, grundsätzlich zu bejahen (vgl RIS-Justiz RS0121298). Selbst in einem solchen Fall ist aber gemäß § 26 Abs 2 StGB dem Berechtigten angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit auf welche Weise immer (vorliegend etwa durch Löschen der relevanten Daten) zu beseitigen (RIS-Justiz RS0121299 [T3], RS0121298 [T11 und T 12]; Ratz in WK² StGB § 26 Rz 15).
Dass dem Beschwerdeführer diese Möglichkeit eingeräumt wurde oder eine (unwiederbringliche) Beseitigung im konkreten Fall unmöglich wäre, ist den Feststellungen (wie übrigens auch dem Akteninhalt) nicht zu entnehmen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO).