OGH vom 20.03.2001, 10ObS47/01m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hoch sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Waltraud Bauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto S*****, vertreten durch Dr. Werner Steinwender und andere, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 252/00s-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cgs 3/98a-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger erlitt am als Radfahrer einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde (Verlust des rechten Unterschenkels). Er hatte am eine Arbeit als Konditorgeselle aufgenommen. Als er seine neue Arbeitsstelle am Unfalltag um ca 12.10 Uhr verließ, wollte er bei der Heimfahrt noch bei seiner Hausbank vorbeischauen. Er vermutete, dass sein Arbeitslosenentgelt für den Monat Juni bereits auf dem Konto verbucht sei und wollte das Geld beheben. Auf diesem Weg zur Bank (= "Abstecher zur Bank" [S 4 der Berufungsentscheidung]) kam es zum Verkehrsunfall.
Mit Bescheid vom sprach die beklagte Partei aus, dass dieser Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde.
Der dagegen erhobenen Klage gab das Erstgericht statt. Es verpflichtete die beklagte Partei dem Kläger eine Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß ab zu gewähren. Der Kläger habe sich zwar nicht mehr auf dem kürzesten Weg nach Hause befunden und seine Fahrt sei auch nicht durch § 175 Abs 2 Z 8 ASVG gedeckt (= Versicherungsschutz auf einem mit der unbaren Überweisung des Entgelts zusammenhängenden Weg von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte zum Zweck der Behebung des Entgelts). Unfälle, die sich bei Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AlVG ergeben, begründeten jedoch einen Anspruch auf Versicherungsschutz gemäß § 176 Abs 1 Z 8 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen wurde. Es trat der erstgerichtlichen Beurteilung bei, dass § 175 Abs 2 Z 8 ASVG auf die Behebung des Arbeitslosengeldes von einem Girokonto nicht anzuwenden sei. Entgegen der Auffassung von Dirschmied (AlVG3, 1. Lfg [1996], 288 - wonach Wegunfälle bei der Behebung des Arbeitslosengeldes in einem Geldinstitut unter Versicherungsschutz stünden) habe Tomandl (Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung [1977], 38;
System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 11. ErgLfg, 295
f) überzeugend dargelegt, dass der Wortlaut des mit der 29. ASVG-Novelle eingeführten § 176 Abs 1 Z 8 ASVG zu weit gefasst sei;
deshalb sei eine teleologische Reduktion angebracht, wonach diese Bestimmung nur auf jene Leistungen angewendet werden könne, die der späteren Ermöglichung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw der Überbrückung einer Phase der nicht gewollten Erwerbsuntätigkeit dienten. Unter der "Inanspruchnahme von Leistungen" sei daher nicht die Behebung einer auf ein Bankkonto überwiesenen Geldleistung (§ 51 Abs 2 Satz 3 und 4 AlVG) zu verstehen, sondern im Wesentlichen die Inanspruchnahme von Vermittlungsleistungen des Arbeitsmarktservice, weil nur diese in dem für die Unfallversicherung geforderten engen Konnex mit einer geschützten Erwerbstätigkeit stünden. Die Geldbehebung diene nicht dazu, die Wiedererlangung eines Beschäftigungsverhältnisses mit den Mitteln des Arbeitslosenversicherungsgesetzes zu fördern.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die gerügte Aktenwidrigkeit, die darin erblickt wird, dass das Berufungsgericht davon ausgeht, dass ein Antrag des Klägers auf unbare Überweisung des Arbeitslosengeldes in seinem privaten Interesse liege, obwohl zu einem derartigen Antrag keine Feststellungen getroffen wurden, liegt nicht vor. Obgleich diese Beurteilung nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung bedürfte, ist den diesbezüglichen Ausführungen kurz zu erwidern. Vorerst ist festzuhalten, dass der Kläger auf den von den Vorinstanzen zutreffend verneinten Unfallversicherungsschutz gemäß § 175 Abs 2 Z 8 ASVG in der Revision zu Recht nicht mehr zurückkommt:
Wurde doch der Unfallversicherungsschutz auf mit der unbaren Überweisung des Entgelts zusammenhängenden Wegen (§ 175 Abs 2 Z 8 ASVG) deshalb eingeführt, weil das ursprünglich im Betrieb bar ausgezahlte Entgelt von den Dienstgebern - in deren Interesse (Ersparnis von wesentlichen Manipulationsarbeiten) - im zunehmenden Maß per Banküberweisung bezahlt wurde. Es sollte daher dafür Vorsorge getroffen werden, dass sich die Dienstnehmer, mit den dadurch notwendigen Bankwegen um das Gehalt zu beheben, gegenüber der früheren Situation zusätzlichen Gefahren aussetzen mussten (10 ObS 2458/96k mwN). Demgegenüber steht die hier beabsichtigte Behebung des (noch) auf das Konto des Dienstnehmers überwiesenen Arbeitslosengeldes für den Vormonat mit betrieblichen Interessen in keinerlei Zusammenhang. Derartige persönliche Vermögensangelegenheiten sind nämlich dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Der Fall unterscheidet sich von den in § 175 Abs 2 Z 8 ASVG genannten Bankwegen daher so grundsätzlich, dass eine analoge Übertragung des Versicherungsschutzes nicht in Frage kommt (vgl dazu auch SZ 65/78; SSV-NF 11/14; RIS-Justiz RS0107505).
Demgemäß gehen die Ausführungen zu einer allfälligen Aktenwidrigkeit schon deshalb ins Leere, weil sich das Berufungsgericht auf die angeblich aktenwidrige Argumentation nur im Zusammenhang mit der Verneinung einer analogen Anwendbarkeit des § 175 Abs 2 Z 8 ASVG berufen hat (S 6 zweiter Absatz der Berufungsentscheidung). Außerdem hat das Berufungsgericht seine diesbezüglichen Überlegungen nicht auf eine Feststellung (zu einem Antrag des Klägers auf unbare Überweisung des Arbeitslosengeldes) gestützt, sondern mit einem Hinweis auf § 51 Abs 2 AlVG begründet, der Folgendes normiert:
Die Auszahlung der Leistungen nach diesem Bundesgesetz (AlVG) erfolgt jeweils an einem bestimmten Tag im Monat für einen Monat bar im nachhinein über die Österreichische Postsparkasse. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann die regionale Geschäftsstelle eine Sonder-(Zwischen-)auszahlung veranlassen. Auf Antrag des Leistungsbeziehers können die Geldleistungen an Stelle der Barzahlung auf ein Scheckkonto des Leistungsbeziehers bei der Österreichischen Postsparkasse oder auf ein Girokonto des Leistungsbeziehers bei einer anderen inländischen Kreditunternehmung überwiesen werden. Auszahlungen im Überweisungsverkehr sind nur zulässig, wenn sichergestellt ist, dass die Auszahlung der Leistungen ordnungsgemäß erfolgt und zweckentsprechende Vorsorge gegen missbräuchliche Bezüge getroffen wurde (§ 51 Abs 2 AlVG).
Geht man von dieser Bestimmung aus, kann aber auch dem in der Revision aufrecht erhaltenen Standpunkt, dass die unbare Überweisung des Arbeitslosengeldes - wie jene des Gehalts - "ganz im Interesse" der auszuzahlenden Behörde bzw Institution gelegen sei, nicht beigetreten werden. Die vom Berufungsgericht erkannte, vom Revisionswerber aber weiterhin bestrittene unterschiedliche Interessenlage ergibt sich daraus, dass beim Arbeitslosengeld - anders als beim Gehalt - grundsätzlich Barausahlung über die Postsparkasse, dh im Wege der Zustellung durch den Briefträger (Dirschmied, AlVG3 1. Lfg [1996], 333), vorgesehen ist, und die unbare Auszahlung nur auf Antrag des Leistungsbeziehers und überdies nur dann zulässig ist, wenn die in § 51 Abs 2 letzter Satz AlVG angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Aus diesem Grund dürfen Leistungsbezüge nur auf solche Konten des Leistungsberechtigten gutgeschrieben werden, über die er allein verfügungsberechtigt ist, wozu ein diesbezüglicher Abschnitt im Antragsformular vom kontoführenden Geldinstitut auszufüllen und eine Verpflichtungserklärung zu unterfertigen ist (Dirschmied aaO 334; Weikinger/Pohoralek, AlVG Lfg Mai 1998 Kap 2-223).
Den Arbeitsunfällen sind gemäß § 176 Abs 1 Unfälle gleichgestellt, die sich bei den dort angeführten Tätigkeiten ereignen, also ua nach Z 8 leg cit "bei der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AlVG, dem KGG, dem ArbeitsmarktförderungsG oder dem ArbeitsmarktserviceG, sowie in den Fällen, in denen Personen auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle aufsuchen oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehen". Dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung - wie der Revisionswerber meint - (auch) die Behebung des unbar ausbezahlten Arbeitslosengeldes der (in § 175 Abs 2 Z 8 ASVG ausdrücklich geschützten) Behebung des Gehaltes gleichstellen wollte, ist weder dem Gesetzestext noch den Materialien (EB 404 BlgNR 13. GP, 96) zu entnehmen. Mangels einer dem § 175 Abs 2 Z 8 ASVG vergleichbaren Regelung und unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 51 Abs 2 AlVG ist daher davon auszugehen, dass die mit der Behebung eines - an Stelle der Barauszahlung - überwiesenen Arbeitslosengeldes zusammenhängenden Wege jedenfalls nicht unter Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 8 ASVG stehen. Auf die Frage, ob die vom Berufungsgericht bejahte teleologische Einschränkung dieser Bestimmung auf die Inanspruchnahme von Vermittlungsleistungen des Arbeitsmarktservice geboten erscheint, weil nur diese in dem für den Unfallversicherung geforderten engen Konnex mit der geschützten Erwerbstätigkeit stehen, muss daher nicht weiter eingegangen werden.
Aus diesen Erwägungen erweist sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend, sodass der Revision kein Erfolg beschieden sein kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.