VfGH vom 22.06.1989, B697/88
Sammlungsnummer
12099
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verplichtungen durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht (Art6 Abs 1 MRK) nach Aufhebung von Teilen des § 345 ASVG idF BGBl. 684/1978 und Teilen des § 15 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung BGBl. 105/1956
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 27.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. In der Rechtssache der antragstellenden Partei Dr.med. J S wider die Steiermärkische Gebiets- krankenkasse wegen Einstellung der monatlichen Treueprämienzahlung stellte die (nach Nichtzustandekommen eines Beschlusses der paritätischen Schiedskommission) von der Steiermärkischen Ärztekammer gemäß § 344 letzter Satz ASVG angerufene und somit kraft § 345 Abs 1 ASVG zur Entscheidung der Streitsache zuständig gewordene Landesschiedskommission für das Land Steiermark (LSK) mit Bescheid vom , LSK 13/1986, fest, daß den nach dem Tod des Antragstellers in das Verfahren eingetretenen Erben, und zwar K S, Mag. R R und Dr. J H S, die in Streit stehende Treueprämie (auch) für den Zeitraum vom bis einschließlich gebühre.
1.2.1. Gegen diesen Bescheid der LSK richtet sich die vorliegende, auf Art 144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes (in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof) begehrt wird.
1.2.2. Die LSK als belangte Behörde legte die Administrativakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
2.1.1. Aus Anlaß dieser - zulässigen (s. ua., V202/88 ua.) - Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen mit Beschluß vom , B697/88-8, ein Verfahren zur Prüfung a) der Verfassungsmäßigkeit des Satzteils "und zur Entscheidung in den Fällen des Überganges der Zuständigkeit nach § 344 letzter Satz" in § 345 Abs 1 erster Satz sowie des zweiten Satzes in § 345 Abs 2 ASVG, BGBl. 189/1955 idF BGBl. 684/1978, und b) der Gesetzmäßigkeit des § 15 Abs 1 Z 3 sowie der Worte "und 3" in § 15 Abs 2 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom , BGBl. 105/1956, ein.
2.1.2. Mit Erkenntnis vom , G228/88, G3,4/89, V202/88, V1,2/89, wurden die in Prüfung gezogenen Bestimmungen - ohne Fristsetzung - als verfassungs- (: Teile des § 345 ASVG) und gesetzwidrig (: Teile des § 15 der Verordnung BGBl. 105/1956) aufgehoben. Zugleich wurde angeordnet, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben.
2.2.1. Gemäß Art 140 Abs 7 Satz 2 B-VG und Art 139 Abs 6 Satz 2 B-VG waren die als verfassungs- und gesetzwidrig aufgehobenen generellen Normen in diesem Verfahren nicht mehr anzuwenden.
2.2.2. Es bleibt sohin festzuhalten, daß die Beschwerdeführerin durch die in einer als verfassungswidrig erkannten Zusammensetzung ergangene Entscheidung der belangten Schiedskommission in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht (Art6 Abs 1 EMRK) verletzt wurde.
Der Bescheid war somit aufzuheben.
2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 4.500 S enthalten.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VerfGG 1953 idF BGBl. 297/1984 in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.