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VfGH vom 22.06.1989, b688/88

VfGH vom 22.06.1989, b688/88

Sammlungsnummer

12098

Leitsatz

Verfassungskonforme Interpretation des § 5 Abs 1 Z 1 KWG 1979 im Hinblick auf die Erwerbsausübungsfreiheit dahingehend, daß eine Konzession nur dann zu versagen ist, wenn ihre Erteilung dem volkswirtschaftlichen Interesse entgegenstünde; denkunmögliche Gesetzesanwendung bei Versagung einer Konzessionsausweitung für eine Bank; Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 27.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist eine Bank im Sinne des § 1 des Kreditwesengesetzes, BGBl. 63/1979 idF der Novelle BGBl. 325/1986 (künftig: KWG) und aufgrund entsprechender Genehmigungen zum Betrieb des Devisen- und Wechselstubengeschäftes berechtigt. Mit einer Eingabe vom beantragte sie die Konzessionserweiterung auf das Girogeschäft (§1 Abs 1 Z 2 KWG), das Diskontgeschäft (§1 Abs 2 Z 4 KWG) und das Effekten- und Depotgeschäft (§1 Abs 2 Z 5 KWG) sowie die Vermittlung dieser Bankgeschäfte (und Devisengeschäfte) nach Maßgabe des § 1 Abs 2 Z 13 KWG.

Mit Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom wurde diesem Ansuchen unter Berufung auf § 5 Abs 1 Z 1 KWG keine Folge gegeben und die Konzessionserweiterung versagt. Begründend wurde dazu insbesondere ausgeführt, daß für eine Konzessionserweiterung der beantragten Art kein örtlicher Bedarf bestehe, weil die Nachfrage nach den Bankdienstleistungen, zu deren Besorgung die Berechtigung angestrebt werde, bereits von bestehenden Banken leicht abgedeckt werden könne. Weiters sei die Erteilung der beantragten Bewilligung nicht im volkswirtschaftlichen Interesse gelegen: Auch wenn mit der Erteilung der beantragten Konzession die Wettbewerbssituation nicht verschärft würde, bedeute dies kein volkswirtschaftliches Interesse an einer Konzessionserteilung; zwar handle es sich beim Bereich des "investment banking" um einen im Wachstum begriffenen Teil der Bankdienstleistungen, doch schließe es die Größenordnung der Antragsteller aus, daß künftige Operationen in diesem Bereich im volkswirtschaftlichen Interesse gelegen seien. Auch sei die möglicherweise berechtigte Aussicht auf hohe Zuwachsraten an Erträgen im Effektengeschäft zweifelsohne im betriebswirtschaftlichen privaten Interesse; ein volkswirtschaftliches Interesse bestehe daran jedoch nicht.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsausübungsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird.

3. Der Bundesminister für Finanzen hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die beschwerdeführende Bank ist den Auffassungen der belangten Behörde in einem replizierenden Schriftsatz entgegengetreten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird der beschwerdeführenden Gesellschaft die Erteilung einer Konzession für bestimmte Bankgeschäfte versagt. Ein solcher Bescheid greift in den Schutzbereich des Grundrechts der Erwerbsausübungsfreiheit (Art6 StGG) ein (vgl. etwa VfSlg. 10932/1986).

Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VfSlg. 10413/1985) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, wenn er auf einer dem Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit widersprechenden Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheids eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begeht, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist oder wenn sie einem Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt, der, hätte ihn das Gesetz, dieses als die Erwerbsausübungsfreiheit verletzend verfassungswidrig machen würde (vgl. VfSlg. 10386/1985).

2.a) Der Bescheid stützt sich auf § 5 Abs 1 Z 1 KWG. Dieser Bestimmung zufolge ist die Konzession zu versagen, "wenn die beabsichtigte Tätigkeit nicht dem örtlichen Bedarf oder dem volkswirtschaftlichen Interesse entspricht".

b) Bedenken gegen die in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Bedarfsprüfung wurden von der Beschwerde nicht vorgebracht; auch der Verfassungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt des Beschwerdefalls keine derartigen Bedenken:

Eine Vorschrift, die die Erteilung einer Konzession vom Vorhandensein eines örtlichen Bedarfs nach Erbringung bestimmter Tätigkeiten abhängig macht, greift in die Erwerbsausübungsfreiheit jener Personen ein, die nicht im Besitze einer entsprechenden Berechtigung sind, eine solche aber anstreben. Ein solcher Eingriff behindert den Zugang dieser Personen zu einer Erwerbstätigkeit. Derartige Beschränkungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, dieser adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind (vgl. zB , G174/86; , G79/87).

Wie jede Bedarfsprüfung dient auch die im KWG vorgesehene Regelung, daß eine Konzession zu versagen ist, wenn die beabsichtigte Tätigkeit nicht dem örtlichen Bedarf entspricht, dem Konkurrenzschutz bestehender Unternehmungen. Einen solchen Konkurrenzschutz hat der Verfassungsgerichtshof nur dann als mit dem Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit vereinbar angesehen, wenn besondere Gründe für eine derartige Einschränkung sprechen. Solche Gründe sind im Bereich des Kreditwesenrechts aber gegeben. Die Tatsache, daß die Banken ihre Tätigkeiten in einem sog. volkswirtschaftlichen Schlüsselbereich ausüben, von dessen Funktionieren weite Teile der Volkswirtschaft abhängig sind, sowie vor allem auch die Tatsache der besonderen Schutzbedürftigkeit der Einleger und sonstigen Gläubiger von Kreditunternehmungen rechtfertigen es, die Erwerbsausübungsfreiheit neuer Bewerber im Interesse des Schutzes bestehender Bankunternehmungen und ihrer Kunden durch die Einrichtung einer Bedarfsprüfung einzuschränken. Denn käme es im Gefolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten etwa zur Zahlungsunfähigkeit eines Bankunternehmens, so hätte dies besonders weitreichende negative Folgen für die Einleger des Instituts, darüber hinaus aber auch für große Bereiche der Volkswirtschaft.

Dem Gesetzgeber kann nicht entgegengetreten werden, wenn er dies zum Anlaß von die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkenden Regelungen genommen hat. Angesichts des besonderen Gewichts der damit verfolgten öffentlichen Interessen ist dem Gesetzgeber auch nicht entgegenzutreten, wenn er sich im Rahmen des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes nicht mit wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen begnügt hat, sondern mit der Einrichtung der objektiven Zugangsschranke der Bedarfsprüfung einen die Erwerbsfreiheit neuer Bewerber sehr stark beschränkenden Schutz bestehender Banken vor Konkurrenz geschaffen hat.

c) Der Verfassungsgerichtshof hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Vorschrift, die die Erteilung einer Konzession zum Betrieb von Bankgeschäften in der Weise von einem volkswirtschaftlichen Interesse abhängig macht, daß sie versagt werden kann, wenn Gründe des wirtschaftlichen Wohls einer Konzessionserteilung entgegenstehen. Die unter Pkt. II.2.b skizzierte besondere Situation des Bankensektors - die gerade hier gegebene besondere Schutzwürdigkeit bestehender Unternehmen und deren Kunden - rechtfertigt auch eine derartige Einschränkung. Der Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit eines Konzessionsbewerbers ist nicht unverhältnismäßig, wenn ihm die Konzession dann versagt wird, wenn mit dieser Konzessionserteilung die Verletzung volkswirtschaftlicher Interessen erwartet werden muß.

Die belangte Behörde hat der Bestimmung des § 5 Abs 1 Z 1 KWG aber einen Inhalt unterstellt, der die Erwerbsausübungsfreiheit eines Konzessionsbewerbers in noch weitergehender, sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränkt: Sie hing der Meinung an, daß eine Konzession nur erteilt werden dürfe, wenn durch die Konzessionserteilung ein volkswirtschaftlicher Nutzen bewirkt wird. Daß eine derartige Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit von Konzessionsbewerbern nicht mehr erforderlich ist, um dem öffentlichen Interesse am Schutz bestehender Bankunternehmungen zu entsprechen, hat die Beschwerde zu Recht aufgezeigt: "Damit wird das Wesen des Art 6 StGG in das Gegenteil verkehrt. Nicht mehr die Einschränkungen sind am öffentlichen Interesse zu prüfen, sondern das öffentliche Interesse muß für den Konzessionserwerb gegeben und nachgewiesen sein."

Hätte die Bestimmung des § 5 Abs 1 Z 1 KWG tatsächlich diesen Inhalt, so würde damit in das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit in unverhältnismäßiger und sachlich nicht zu rechtfertigender Weise eingegriffen werden (vgl. insb. VfSlg. 10179/1984). Die oben wiedergegebene Bestimmung läßt sich aber verfassungskonform auch so deuten, daß eine Konzession nur dann zu versagen ist, wenn ihre Erteilung dem volkswirtschaftlichen Interesse entgegenstünde.

Angesichts der Möglichkeit dieser verfassungskonformen Interpretation sah sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Da die Behörde jedoch diesen verfassungskonformen Gesetzesinhalt verkannt hat und dem Gesetz einen Inhalt beigemessen hat, der es als mit dem Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit unvereinbar erscheinen ließe, hat sie die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt. Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 4.500 S auf die Umsatzsteuer.