OGH vom 30.07.2015, 8Ob75/15k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter im Schuldenregulierungsverfahren des Schuldners Dr. M***** S*****, vertreten durch die Lanker Obergantschnig Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, wegen Bestellung des Insolvenzverwalters, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin R*****, vertreten durch Dr. Klaus Jürgen Karner, Rechtsanwalt in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 2 R 4/15p 47, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 18 S 106/14f 33, hinsichtlich der Bestellung des Insolvenzverwalters aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Schuldner war bis ca Mitte 2014 als Rechtsanwalt tätig. In der Folge verzichtete er auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Aus diesem Grund bestellte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer für Kärnten für ihn einen mittlerweiligen Stellvertreter.
Der Schuldner hat mehrere Kredite aufgenommen. Im Jahr 2005 kam es zu ersten Exekutionen, deren Zahl bis zum Jahr 2014 angestiegen ist. Im Jahr 2011 sowie im Jahr 2013 wurden Konkursanträge gegen den Schuldner gestellt. Die aktuellen Konkursanträge der R***** und der G***** datieren vom bzw . Der Schuldner hat Verbindlichkeiten in Höhe von jedenfalls 800.000 EUR, denen auf der Aktivseite die „Wohnliegenschaft“ mit einem Schätzwert von 315.000 EUR gegenübersteht.
Mit Beschluss vom eröffnete das Erstgericht über das Vermögen des Schuldners das Schuldenregulierungsverfahren und entzog ihm die Eigenverwaltung. Gleichzeitig bestellte es Mag. F***** F*****, Rechtsanwalt in Klagenfurt, zum Masseverwalter. Im Anlassfall sei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gegeben. Daran ändere nichts, dass dieser nach der Methode „Loch auf, Loch zu“ Forderungen punktuell befriedigt habe. Die angeblichen Honorarforderungen des Schuldners sowie seine „Wohnliegenschaft“ stellten keine liquiden Mittel dar. Die Hausbank des Schuldners habe im Herbst 2012 eine Forderung von 365.000 EUR fällig gestellt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei der Schuldner als zahlungsunfähig anzusehen. Da dieser als Rechtsanwalt tätig gewesen sei, komme als Insolvenzverwalter nur ein Rechtsanwalt in Betracht. Es liege nahe, den bereits als mittlerweiligen Stellvertreter des Schuldners tätigen Rechtsanwalt auch zum Insolvenzverwalter zu bestellen. Da auch der mittlerweilige Stellvertreter eine amtliche Abwickler Funktion mit der Verpflichtung zur allseitigen Interessenwahrung innehabe und davon auszugehen sei, dass eine geeignete Person mit Äquidistanz zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt worden sei, könne im Hinblick auf die zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens im Sinn des § 80a IO der mittlerweilige Stellvertreter zum Insolvenzverwalter bestellt werden, weil ein monatelanger Vorlauf zum Insolvenzverfahren bestanden habe, auf dem aufgebaut werden könne.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Schuldners, mit dem sich dieser nur gegen die Bestellung des Insolvenzverwalters wandte, Folge und hob den Bestellungsbeschluss auf. Gleichzeitig trug es dem Erstgericht die Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters auf. Dazu sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach § 80b IO müsse der Insolvenzverwalter unabhängig sein. Diesem obliege die Wahrung der Interessen aller Beteiligten. Demgegenüber bestehe für den mittlerweiligen Stellvertreter die Verpflichtung, gerechtfertigte Interessen des Schuldners zu beachten. Die Funktion des mittlerweiligen Stellvertreters eines Rechtsanwalts sei daher mit dem Amt eines Insolvenzverwalters für diesen Rechtsanwalt nicht vereinbar. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters und den dafür maßgebenden Kriterien höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Gläubigerin R*****, der auf eine Wiederherstellung des erstgerichtlichen Bestellungsbeschlusses abzielt.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst stellt sich die Frage, ob der Revisionsrekurs zulässig ist.
1.1 Die Revisionsrekurswerberin hat (zuletzt) am einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. In ihrem Antrag hat sie die Forderung auf Basis des Rückstandsausweises vom mit 4.576,09 EUR und die Gesamtforderung zum mit 13.395,60 EUR bekannt gegeben. In der Tagsatzung vom hat sie den aushaftenden Betrag aufgrund eines weiteren Rückstandsausweises mit 7.733,33 EUR genannt (ON 16 und ON 31). Im Verzeichnis der Forderungsanmeldungen (ON 36) scheint eine Forderung von 9.278,77 EUR auf, die bestritten wurde (ON 45).
Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Schuldner Ende August/Anfang September 2014 die Forderung der R*****, soweit sie im Insolvenzantrag aufscheine, beglichen habe. Aufgrund der weiteren angemeldeten Forderungen kommt der Revisionsrekurswerberin allerdings auch weiterhin die Stellung als Insolvenzgläubigerin zu.
1.2 Die Bestellung des Insolvenzverwalters erfolgt (hier bei Entziehung der Eigenverwaltung) im Insolvenzeröffnungsbeschluss durch das Insolvenzgericht (vgl Chalupsky/Duursma Kepplinger in Bartsch/Pollak/Buchegger 4 § 80 KO Rz 4). Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin handelt es sich beim Bestellungsbeschluss um einen selbständigen Beschlussteil, der auch selbständig angefochten werden kann. Das Rekursrecht steht jedem zu, der zum Rekurs gegen die Insolvenzeröffnung legitimiert ist, also jedem Gläubiger bescheinigter Konkurs und Masseforderungen (RIS Justiz RS0059461) sowie dem zum Insolvenzverwalter Bestellten selbst ( Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetz § 80 KO Rz 8; Chalupsky/Duursma Kepplinger aaO, Rz 47).
1.3 Die Revisionsrekurswerberin ist damit rechtsmittellegitimiert.
1.4 Es liegt auch eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil eine Klarstellung des Obersten Gerichtshofs zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters geboten erscheint.
Der Revisionsrekurs ist damit zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
2. § 80b IO soll die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters sowohl gegenüber dem Schuldner als auch gegenüber den Gläubigern sicherstellen. Der Insolvenzverwalter soll seiner Verpflichtung, die gemeinsamen Interessen gegenüber den Sonderinteressen einzelner Beteiligter zu wahren (§ 81 Abs 2 IO), objektiv und unbeeinflusst nachkommen können. Bei Gefahr einer Interessenkollision zwischen einem Beteiligten und dem potentiellen Insolvenzverwalter oder einem von diesem Vertretenen kann die Erfüllung dieser Verpflichtung beeinträchtigt sein. Jede Nahebeziehung zwischen dem potentiellen Insolvenzverwalter und dem Schuldner gefährdet daher die im Interesse aller Beteiligten erforderliche Unabhängigkeit. Eine solche Nahebeziehung besteht auch bei einer gemeinsamen beruflichen Interessenlage, insbesondere dann, wenn der Insolvenzverwalter den Schuldner rechtsfreundlich vertritt oder berät oder dies in den letzten (fünf) Jahren getan hat (siehe dazu die Anzeigepflicht nach § 80b Abs 2 Z 1 IO). Der bisherige Rechtsvertreter oder Berater des Schuldners ist daher in der Regel nicht geeignet, das Amt des Insolvenzverwalters auszuüben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Vertretungs- oder Beratungstätigkeit auch im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren gestanden ist (vgl Hierzenberger/Riel aaO, Rz 14; Chalupsky/Duursma-Kepplinger aaO, Rz 11 und 15). Aus derartigen Erwägungen ist im Gesetz (seit dem IRÄG 1997) etwa ausdrücklich festgehalten, dass der Reorganisationsprüfer in einem dem Insolvenzverfahren vorangegangenen Reorganisationsverfahren nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden darf (§ 80b Abs 1 IO; vgl Hierzenberger/Riel , aaO, Rz 11). Mangelnde Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters stellt ein Bestellungshindernis dar ( Chalupsky/Duursma Kepplinger , aaO, Rz 11).
3. Der mittlerweilige Stellvertreter (§ 34 Abs 4 und § 28 Abs 1 lit h RAO) hat einen gesetzlichen Auftrag zur Fortführung der Rechtsanwaltskanzlei. Er führt die Kanzlei und ist insoweit Vertreter des Unternehmensträgers. Der Umfang seiner Vollmacht umfasst alles, was die Führung des Unternehmens selbst erfordert und was damit gewöhnlich verbunden ist (§ 1029 ABGB). Er ist daher auch berechtigt, unternehmensbezogene Forderungen einzuziehen (2 Ob 13/02d). Der mittlerweilige Stellvertreter tritt nicht in die Vollmachtsverhältnisse ein, ist aber nach den RL BA zur Wahrung der Interessen der Klienten des Rechtsanwalts verpflichtet (§ 61). Er hat für die Beendigung der Kanzleitätigkeit und die Abwicklung der Kanzlei zu sorgen und darauf zu achten, dass die Klienten des Rechtsanwalts keinen Schaden erleiden und ihnen gegenüber die Verpflichtungen des Rechtsanwalts erfüllt werden (6 Ob 345/97x; 1 Ob 131/14t).
4.1 Es besteht kein Zweifel, dass der mittlerweilige Stellvertreter im Rahmen seiner Abwicklungstätigkeit vor allem die Interessen des Rechtsanwalts (hier des Schuldners) und dessen früheren Klienten zu vertreten hat (§ 60 RL BA). Es mag auch sein, dass eine bevorzugte Behandlung des Rechtsanwalts nicht zulässig ist und die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters den Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung dient (RIS Justiz RS0109307). Dies ändert aber nichts daran, dass der mittlerweilige Stellvertreter eine Art gesetzlicher Vertreter (hier) des Schuldners ist und nach der Wertung des § 80b Abs 2 Z 1 IO schon aus diesem Grund von der Gefahr einer Interessenkollision auszugehen ist. Im Anlassfall kommt hinzu, worauf bereits das Erstgericht hingewiesen hat, dass die Tätigkeit des mittlerweiligen Stellvertreters auch einen Zusammenhang zum letztlich eröffneten Insolvenzverfahren aufgewiesen hat.
Außerdem steht der mittlerweilige Stellvertreter etwa bei der Einziehung von Forderungen jedenfalls gegenüber Dritten nach der Interessenlage dem früheren Rechtsanwalt (hier Schuldner) näher. Demgegenüber gilt auch für die Führung von Rechtsstreitigkeiten, die die Masse betreffen, das Postulat der Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen (8 Ob 291/98x), was zB für die Einschätzung des Kostenrisikos Bedeutung haben kann.
Auch wenn sich die Aufgaben und die Interessenlage von mittlerweiligem Stellvertreter und Insolvenzverwalter durchaus überschneiden können, ist die Gefahr einer Interessenkollision bei Ausübung einer solchen Doppelfunktion nicht auszuschließen. Die vom Gesetz geforderte Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters scheint daher nicht sichergestellt.
Daraus folgt, dass der mittlerweilige Stellvertreter eines Rechtsanwalts nicht gleichzeitig auch zum Insolvenzverwalter dieses Rechtsanwalts bestellt werden kann.
4.2 Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00075.15K.0730.000