OGH vom 22.12.1993, 9ObA238/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Alfred Schätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Marianne W*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Anton Waltl und Dr.Peter Krempl, Rechtsanwälte in Zell am See, wider die beklagte Partei Hugo S*****, Friseurmeister, ***** vertreten durch Dr.Hartmut Ramsauer ua, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 12.944,50 sA (im Revisionsverfahren S 6.472,25 sA) und Feststellung (Streitwert S 50.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 18/93-41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cga 163/92d-37, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird im Umfang der geltend gemachten Nichtigkeit zurückgewiesen.
Im übrigen wird der Revision dahin Folge gegeben, daß das Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem unangefochtenen stattgebenden Teil als Teilurteil unberührt bleibt, in seinem abweisenden Teil und in der Kostenentscheidung aufgehoben und dem Berufungsgericht in diesem Umfang eine neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen wird.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin war beim Beklagten, ihrem Stiefbruder, seit dem Jahre 1970 oder 1971 bis durchgehend mit einer 40-Stunden-Woche beschäftigt. Ihr Lohn von monatlich S 9.000,-- wurde ihr bar ausgezahlt. Eine schriftliche Lohnabrechnung erhielt sie erst in den letzten Jahren.
Da sie in der Zeit von Oktober 1972 bis September 1978 vom Beklagten nicht zur Sozialversicherung angemeldet gewesen war, sind ihr 72 auf die Pension anrechenbare Versicherungsmonate entgangen. Mit Bescheid vom wurde ihr eine Invaliditätspension wegen vorübergehender Invalidität zuerkannt.
Wäre die Klägerin von Oktober 1972 bis September 1978 zur Sozialversicherung gemeldet gewesen, hätte sie bis Ende 1991 S 1.102,60 und ab S 1.146,70 monatlich mehr an Pension erhalten.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin S 12.944,50 sA an bereits aufgelaufener Pensionsdifferenz und die Feststellung, daß ihr der Beklagte ab Dezember 1991 für alle Vermögensnachteile hafte, die aus der Nichtanmeldung zur Sozialversicherung entstehen. Sie habe erst 1989 im Zuge der Erhebung der Versicherungszeiten durch die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter erfahren, daß sie der Beklagte von Oktober 1972 bis September 1978 nicht angemeldet habe. Dadurch falle nicht nur ihre künftige Pension geringer aus, sondern sie könen auch nicht von ihrem Recht auf vorzeitige Alterspension Gebrauch machen, da ihr die entsprechenden Versicherungsmonate fehlten.
Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Er wandte - für das Revisionsverfahren noch wesentlich - unter anderem ein, daß die Klägerin "schwarz" gearbeitet habe und bezahlt worden sei. Ihr sei die Nichtanmeldung zur Sozialversicherung bekannt gewesen, so daß ihr Begehren sittenwidrig sei. Zumindest treffe sie ein Mitverschulden am Schadenseintritt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es hielt die Behauptung des Beklagten, daß "Schwarzarbeit" vereinbart worden sei, zwar nicht für erwiesen, stellte aber fest, daß der Klägerin die Nichtanmeldung zur Sozialversicherung bekannt gewesen sei. Im fraglichen Zeitraum habe sie sich auch 15mal auf Krankenschein behandeln lassen, wobei sie die Krankenscheine nicht vom Beklagten erhalten habe.
Gemäß § 33 Abs 1 ASVG treffe den Arbeitgeber die Pflicht, die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zur gesetzlichen Sozialversicherung anzumelden. Bei Verletzung dieser Pflicht hafte der Arbeitgeber sowohl nach deliktsrechtlichen als auch nach vertragsrechtlichen Grundsätzen. Wenngleich der Klägerin bekannt gewesen sei, daß sie der Beklagte nicht angemeldet habe, sei ihr kein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB anzulasten. Ein Mitverschulden könnte allenfalls nur dann angenommen werden, wenn sie den Beklagten ersucht hätte, sie nicht anzumelden, nicht aber durch die bloße Unterlassung der Selbstmeldung.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Leistungsbegehren nur zur Hälfte stattgab und die Haftung des Beklagten für künftige Schäden der Klägerin aus der Nichtanmeldung nur zur Hälfte feststellte. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige. Ein ausdrückliches Einverständnis des Arbeitnehmers, daß er nicht zur Sozialversicherung angemeldet werde, begründe ein Eigenverschulden gemäß § 1304 ABGB und führe zu einer entsprechenden Schadensteilung. Aber auch die bloße Untätigkeit des Arbeitnehmers, der nichts unternehme, um den Arbeitgeber auf seine Säumnis hinzuweisen, verstoße gegen seine Rettungspflicht. Es stehe zwar nicht fest, daß die Nichtmeldung mit dem ausdrücklichen Einverständnis der Klägerin erfolgt sei; ihr sei aber die Tatsache der Nichtmeldung bekannt gewesen. Im Hinblick auf die mehrjährige Dauer dieser rechtswidrigen Unterlassung der Anmeldung sei die Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten so schwerwiegend, daß ihr Verhalten einem Einverständnis mit der Nichtmeldung gleichgehalten werden müsse. Sie hätte den Beklagten entweder zur Erfüllung seiner Meldepflicht veranlassen oder ihr Arbeitsverhältnis der Sozialversicherung selbst bekanntgeben können. Da eine ziffernmäßige Teilung des Verschuldens nicht möglich sei, hätten der Beklagte und die Klägerin den Schaden gemäß § 1304 ABGB zu gleichen Teilen zu tragen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Nichtigkeit, in eventu Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nur dann vor, wenn es an Gründen mangelt, nicht aber schon dann, wenn die Entscheidung mangelhaft begründet ist (vgl die in MGA ZPO14 zu § 477 E 114 angegebene Judikatur). Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist zwar eingehend begründet, das Berufungsverfahren ist aber mangelhaft geblieben (§ 503 Z 2 ZPO), da entscheidende Feststellungen des Erstgerichts trotz Rüge durch die Klägerin nicht überprüft wurden.
Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, ist auch die Untätigkeit des Arbeitnehmers, der trotz Kenntnis der Rechtslage durch viele Jahre nichts unternimmt, um den Arbeitgeber auf seine Säumnis im Hinblick auf die Anmeldung zur Sozialversicherung hinzuweisen, als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten und damit als ein Mitverschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 1304 ABGB zu werten.
Wer bewußt zum Verlust seiner Ansprüche beigetragen hat, ist weniger
schutzwürdig und muß sich einen Teil des Schadens selbst zurechnen
lassen (vgl Arb 9770 = DRdA 1980/1 mwH [zust Koziol]; auch SZ 8/195;
SZ 9/20; SZ 14/101; Arb 6944 = SZ 31/125 = EvBl 1959/53; ZAS 1978/17
[Schuhmacher]; DRdA 1992/39 [Apathy] ua). Insoferne kommt dem Unterschied zwischen einer ausdrücklichen Zustimmung und einem jahrelangen Untätigbleiben des Arbeitnehmers trotz Kenntnis der Meldepflicht, aus dem der Arbeitgeber auf eine Zustimmung zur Meldungsunterlassung schließen konnte, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (vgl. E.Gruber, Der Schadenersatz aus Meldepflichtverletzungen [zum Mitverschulden des Arbeitnehmers], DRdA 1984, 119 ff, 124 ff, 128).
Die Klägerin brachte vor, daß sie erst im Zuge der Erhebung der Versicherungszeiten im Jahre 1989 erfahren habe, daß sie der Beklagte von Oktober 1972 bis September 1978 nicht zur Sozialversicherung angemeldet habe. Das Erstgericht stellte demgegenüber fest, daß der Klägerin bekannt gewesen sei, daß sie der Beklagte für diesen Zeitraum nicht angemeldet habe. Die Klägerin rügte diese entscheidende Feststellung und die weitere Feststellung, daß ihr der Beklagte keine Krankenscheine ausfolgte, bereits in ihrer Berufungsbeantwortung (S 175) und wiederholt die Beweisrüge zulässigerweise in der Revision (vgl Fasching ZPR2 Rz 1785; SZ 51/137 ua). Da das Berufungsgericht zu den bekämpften Feststellungen nicht Stellung nahm, ist das Berufungsverfahren mangelhaft, so daß die angefochtene Entscheidung schon aus diesem Grunde aufzuheben ist.
Die Feststellungen darüber, ob die Klägerin von ihrer Nichtanmeldung gewußt hat, sind aber auch noch aus rechtlichen Erwägungen ergänzungsbedürftig (Fasching aaO Rz 1774). Für die Prüfung des Mitverschuldenseinwandes im aufgezeigten Sinn ist nämlich nicht der Umstand allein entscheidend, ob der Klägerin die Tatsache der Nichtanmeldung bekannt war, sondern auch, ob sie die Rechtslage kannte, die eine solche Anmeldung erforderlich gemacht hätte, ob sie also von der Meldepflicht des Beklagten oder ihrem Melderecht wußte (vgl Koziol aaO 35; E.Gruber aaO 121 ff). Dabei wird weiter zu differenzieren und zu klären sein, ab welchem konkreten Zeitpunkt die Klägerin von ihrer Nichtanmeldung erfuhr und seit wann sie von der Rechtslage Kenntnis hatte. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist eine viele Jahre andauernde Untätigkeit des Arbeitnehmers, der seine Nichtanmeldung in Kenntnis der Rechtslage hinnimmt, als schwerwiegendere Sorglosigkeit zu werten als die Hinnahme einer kurzfristigen Nichtanmeldung, bei der der Arbeitnehmer noch annehmen kann, der Arbeitgeber werde seiner Anmeldepflicht schon noch nachkommen. Dazu bedarf es aber noch näherer Feststellungen. Da die Arbeitsrechtssache zufolge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 510 Abs 1 ZPO), hat dieses das Verfahren auch in den mit den bekämpften Feststellungen zusammenhängenden Fragen zu ergänzen.
Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.