OGH 27.09.2017, 9ObA68/17s
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und ADir. Gabriele Svirak in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * Dr. * A*, vertreten durch Dr. Klaus Kollmann, Dr. Werner Stegmüller ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei * Universität *, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, wegen Anfechtung einer Entlassung, in eventu Feststellung (Streitwert: 103.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 87/16k-101, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Ob der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit – hier gemäß § 23 Abs 1 des Kollektivvertrags für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten iVm § 27 Z 1 AngG – verwirklicht ist, ist nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen und stellt daher regelmäßig – von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298; RS0029547 [T28, T40]; RS0103201 [T1]). Insbesondere hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Dienstgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist (RIS-Justiz RS0103201; RS0029323 [T6]). An das Verhalten von Arbeitnehmern in leitender Position wird dabei durchgängig ein strengerer Maßstab angelegt (RIS-Justiz RS0029341). Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung (RIS-Justiz RS0029531 [T3]).
Richtig ist, dass dabei das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers bei der Beurteilung der Entlassung berücksichtigt werden kann, jedoch der eigentliche Anlass eine gewisse Mindestintensität aufweisen muss (RIS-Justiz RS0029600 [insb T2, T4, T5]). Es darf aber auch nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden (RIS-Justiz RS0029790).
2. Die Vorinstanzen haben diese Grundsätze berücksichtigt und in vertretbarer Weise auf den vorliegenden Fall angewandt.
Die Argumentation des Klägers, dass die Nichteinhaltung von (unklaren) Hierarchien für seinen Freistellungsantrag bloß als Ordnungswidrigkeit anzusehen sei, übergeht nicht nur, dass der Antrag zunächst abgelehnt worden war, im online-Genehmigungssystem der Beklagten der für ihn zuständige Vizerektor aufschien und der Kläger in der Folge an seiner Statt händisch den Dekan bzw stv. Dekan mit dem Hinweis eingab, dass eine Ablehnung des Antrags gegen gesetzliche und arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten verstoßen könnte. Der Kläger übergeht auch, dass der für Personal zuständige Vizerektor in Vertretung des Rektors den Antrag sodann ablehnte und ihm mitteilte, sich am zu einem Gespräch bereit zu halten, er dem jedoch nicht nachkam, sondern an jenem Tag – für die Beklagte unerreichbar – nach Deutschland reiste, dort aber auch nicht den angekündigten Forschungsarbeiten nachkam. Die Vorinstanzen beurteilten diese Vorkommnisse vor dem Hintergrund, dass mit dem Kläger generell Kommunikationsprobleme, ua über die Kompetenzverteilung (zB bezüglich eines Senior Scientists zu seiner Projektgruppe) bestanden, er sich angekündigten Besprechungsterminen entzog und schließlich nur noch über seinen Anwalt kommunizieren wollte. Zu berücksichtigen war weiter, dass er keine Bereitschaft zeigte, seine mit Beschluss des Rektorats angeordnete Neuzuordnung zum Vizerektor für Forschung bei gleicher Tätigkeit und besoldungsmäßiger Einstufung sowie Nutzung der Infrastruktur an einem weiteren Institut zu akzeptieren, obwohl seine Arbeitsgruppe bei ihm verblieb, er die Infrastruktur eines weiteren Instituts zur Verfügung hatte und sich auch an seiner Tätigkeit und besoldungsmäßigen Einstufung nichts ändern sollte. In diesem Zusammenhang haben die Vorinstanzen auch das Vorliegen einer verschlechternden Versetzung in vertretbarer Weise verneint, zumal die Streitteile im Dienstvertrag des Klägers vereinbart hatten, dass seine Zuteilung aus organisatorischen oder anderen sachlichen Gründen verändert werden kann. Schließlich bot auch das Verhalten des Klägers gegenüber einem dissertierenden Mitarbeiter (Androhung der Entlassung, Aufsuchen zu Hause am Wochenende, Anrufe bei dessen Mutter) wenig Grund zur Annahme, dass er sich an das Organisationsgefüge der Beklagten halten werde.
Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund den Versuch des Klägers, unter Missachtung seiner Zuordnung zum neuen Dienstvorgesetzten von anderen Personen eine Dienstfreistellung zu erwirken, sowie seine folgende Abwesenheit am als ausreichenden Grund für eine Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG ansahen, so ist dies nicht weiter korrekturbedürftig. Die vom Kläger aufgeworfenen Detailfragen berücksichtigen dagegen den Gesamtzusammenhang seines Verhaltens nicht.
3. Auch der Frage, ob die Entlassung rechtzeitig ausgesprochen wurde, kommt – von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0031571 [T9]). Dabei kommt es darauf an, wann der Beklagten der maßgebliche Sachverhalt bekannt wurde (vgl RIS-Justiz RS0029348). Die Beklagte verfasste das Entlassungsschreiben noch an jenem Tag, an dem der Kläger trotz abgelehnter Freistellung die Reise nach Deutschland antrat und unerreichbar war. Eine Verfristung ist hier nicht erkennbar.
4. Die vermeintlichen Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Verwertung eines Beweises vom Hörensagen ist nicht generell unzulässig. Welcher Beweiswert derartigen bloß mittelbaren Beweisergebnissen zuzubilligen ist, ist ausschließlich Domäne der im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof keiner weiteren Überprüfung unterliegenden Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0114723 [T2]). Entgegen der Ansicht des Klägers hat sich das Berufungsgericht auch mit den entscheidungswesentlichen Rechtsfragen befasst. Schließlich wird mit dem Vorbringen zur „Unrichtigkeit der Schlussfolgerung“ kein Revisionsgrund geltend gemacht: Der Kläger bekämpft hier unter Berufung auf widersprüchliche Zeugenaussagen den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zu seinen (fehlenden) Personalkompetenzen, der jedoch keiner Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof zugänglich ist.
5. Die Verwirklichung des Entlassungsgrundes macht die vom Kläger vermissten Feststellungen zur Sozialwidrigkeit der Kündigung entbehrlich.
6. Die Revision ist danach mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Mag. Thomas Kallab in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * Dr. * A*, vertreten durch Dr. Klaus Kollmann, Dr. Werner Stegmüller ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei * Universität *, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, wegen Anfechtung einer Entlassung, in eventu Feststellung (Streitwert: 103.000 EUR), über den Berichtigungsantrag der klagenden Partei in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag der klagenden Partei auf Beschluss- und Urteilsberichtigung wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
In dem der Entscheidung 9 ObA 68/17s zugrunde liegenden Urteil des Erstgerichts wurde ua festgestellt (S 25):
„Der Kläger, der am seinen 40. Geburtstag hatte, wurde von seinem Vater abgeholt und fuhr am Dienstag nach *Deutschland, wobei die Reisedauer einen Tag betrug.“
Das Berufungsgericht übernahm diese Feststellungen und legte sie seiner Entscheidung zugrunde, führte jedoch in der rechtlichen Beurteilung im Rahmen der Würdigung des Gesamtverhaltens des Klägers aus, „der Kläger wurde für den Montag, den , zu einem Gespräch geladen. Der Kläger erschien an diesen Tag nicht; der Rektor versuchte vergeblich, den Kläger zu erreichen. Hingegen fuhr dieser am , an seinem 40. Geburtstag, nach Deutschland …“.
Auch der Oberste Gerichtshof ging in dem die außerordentliche Revision des Klägers zurückweisenden Beschluss vom davon aus, dass der Kläger „an jenem Tag [, Anm] – für die Beklagte
unerreichbar – nach Deutschland reiste“. In der Folge wurde auf die „Abwesenheit am als ausreichenden Grund für eine Vertrauensunwürdigkeit“ Bezug genommen. Schließlich wurde die Entlassung auch nicht als verfristet erachtet, weil die Beklagte das Entlassungsschreiben noch an jenem Tag verfasste, „an dem der Kläger trotz abgelehnter Freistellung die Reise nach Deutschland antrat und unerreichbar war“.
Der Kläger beantragt nun, sowohl den Beschluss des Obersten Gerichtshofs als auch das Urteil des Berufungsgerichts hinsichtlich des falschen Reisedatums Montag, den , statt korrekt Dienstag, den , gemäß § 419 Abs 3 ZPO zu berichtigen. Bei berichtigtem Sachverhalt liege das als Entlassungsgrund herangezogene Verhalten nicht vor bzw liege bereits nach dem Ausspruch der Entlassung und sei somit für die Entlassung nicht mehr heranziehbar.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend zeigt der Kläger auf, dass sein Reisedatum sowohl in der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts als auch im genannten Beschluss des Obersten Gerichtshofs nicht den erstgerichtlichen Feststellungen entsprach. Dies ist hier jedoch nicht im Rahmen eines Berichtigungsantrags korrigierbar:
Gemäß § 419 Abs 1 ZPO kann das Gericht, das das Urteil gefällt hat, jederzeit Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten in dem Urteil oder in dessen Ausfertigungen oder Abweichungen der Ausfertigung von der gefällten Entscheidung berichtigen und die Angaben, die entgegen der Vorschrift des § 417 Abs 3 ZPO übergangen wurden, einfügen.
Die Urteilsberichtigung findet ihre theoretische Grundlage in der Tatsache, dass der materielle Gehalt der Entscheidung durch den Entscheidungswillen des Gerichts bestimmt wird. Die offenbare Unrichtigkeit, die einer Berichtigung iSd § 419 Abs 1 ZPO zugänglich ist, darf daher nur die Wiedergabe des zur Zeit der Entscheidung bestehenden Entscheidungswillens des erkennenden Gerichts nach außen betreffen (s RIS-Justiz RS0041489). Die Urteilsberichtigung nach § 419 ZPO ist zulässig, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichts zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat und sich dies aus dem ganzen Zusammenhang und insbesondere aus den Entscheidungsgründen ergibt (RIS-Justiz RS0041418), nicht aber, wenn es sich um eine so gewollte Entscheidung handelt (s RIS-Justiz RS0041362).
Voraussetzung eines Berichtigungsantrags ist ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers (s RIS-Justiz RS0041630; RS0037976). Wenn ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Berichtigung fehlt, ist ein Berichtigungsantrag zurückzuweisen (2 Ob 163/16h; 4 Ob 124/02t ua; s auch Bydlinski in Fasching/Konecny, ZPG III2 § 419Rz 8 aE mwN).
Hier war der Entscheidungswille des erkennenden Senats auf die Zurückweisung der außerordentlichen Revision des Klägers gerichtet, weil die Vorinstanzen bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entlassung das entsprechende Beurteilungskalkül (Vertrauensunwürdigkeit) nicht verlassen hatten und damit keine grobe, durch den Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung iSd § 502 Abs 1 ZPO vorlag. Dies geht zweifelsfrei sowohl aus dem Urteilsspruch als auch aus der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses hervor, sodass auch keine Unklarheiten in der Urteilswirkung zu befürchten sind. Im Hinblick auf den angesprochenen kam es dabei nicht auf die tatsächliche Abreise des Klägers nach Deutschland, sondern darauf an, dass er ungeachtet der an ihn ergangenen Aufforderung, sich am zu einem Gespräch bereit zu halten, an diesem Tag für die Beklagte nicht erreichbar war.
Das Interesse des Klägers liegt offensichtlich darin, mit einem berichtigten Abreisedatum eine andere Beurteilung des als Entlassungsgrund herangezogenen Verhaltens herbeizuführen, dh den Entscheidungswillen des Gerichts, wie er im Spruch zum Ausdruck kam, abzuändern. Wie dargelegt, ist dieser jedoch keiner Berichtigung zugänglich. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs können innerstaatlich auch nicht mehr angefochten werden (2 Ob 163/16h mwN; RIS-Justiz RS0117577).
Da danach kein von § 419 ZPO geschütztes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers vorliegt, ist der Berichtigungsantrag zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | 11 Arbeitsrechtssachen, 1 Generalabonnement |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2018:E119514 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAE-07019