OGH vom 28.06.1994, 11Os84/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hager, Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ing.Hans Ulrich T***** wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom , GZ 10 Vr 770/92-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren zum AZ 10 Vr 770/92 des Landesgerichtes Leoben verletzen das Gesetz
1. der Vorgang, daß das Gericht vor Fassung des zu Punkt 2. angeführten Beschlusses weder Einsicht in die Akten der früheren Verurteilung noch in eine Abschrift des früheren Urteils nahm, in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO;
2. der Beschluß vom (ON 13) in dem aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung abzuleitenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Dieser Beschluß wird aufgehoben.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Ing.Hans Ulrich T***** wurde mit dem Urteil des Kreis- (nunmehr Landes-)gerichtes Wr.Neustadt vom , GZ 10 Vr 1349/86-42, des (Finanz-)Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a, Abs 3 lit b FinStrG und des Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs 1 Z 1, 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 33 Abs 5 FinStrG zu einer Geldstrafe sowie nach § 159 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das Urteil erwuchs am in Rechtskraft (ON 53). Nach Ablauf der dreijährigen Probezeit am sprach das Kreisgericht Wr.Neustadt mit (rechtskräftigem) Beschluß vom , GZ 10 Vr 1349/86-75, gemäß § 497 StPO die endgültige Strafnachsicht aus.
Mit dem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom , GZ 10 Vr 770/92-13, wurde Ing.Hans Ulrich T***** des (Finanz-)Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG schuldig erkannt und hiefür nach § 33 Abs 5 FinStrG zu einer Geldstrafe verurteilt. Zugleich faßte das Landesgericht gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO den Beschluß auf Absehen vom Widerruf der mit dem zuvor bezeichneten Urteil des Kreisgerichtes Wr.Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht und (gemäß § 494 a Abs 7 aF StPO) auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre.
Dieser Beschluß des Landesgerichtes Leoben vom steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 494 a Abs 3 StPO hat das Gericht vor einer der im § 494 a Abs 1 StPO vorgesehenen Entscheidungen u.a. Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen; das Gericht kann sich mit der Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils begnügen, wenn diese eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung darzustellen vermag. Im vorliegenden Fall hat das Gericht weder in die Akten noch in eine Urteilsabschrift Einsicht genommen.
Diese Gesetzesverletzung hatte zur Folge, daß das Landesgericht Leoben keine Kenntnis von der bereits am ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht erlangte und die Entscheidungskompetenz über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu Unrecht in Anspruch nahm. Der Beschluß des Kreisgerichtes Wr.Neustadt vom über die endgültige Strafnachsicht entfaltete (auch schon vor Eintritt der Rechtskraft) Bindungswirkung, derzufolge das Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses nicht berechtigt war, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Der (rechtswidrige) Beschluß des Landesgerichtes Leoben konnte somit weder die schon vorher wirksam beschlossene endgültige Strafnachsicht beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen; die konstitutive Wirkung des Beschlusses des Kreisgerichtes Wr.Neustadt blieb vielmehr hievon unberührt (vgl EvBl 1989/64 = JBl 1989, 400; 15 Os 76/91, 12 Os 87/92).
Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu erkennen.