OGH vom 08.04.2020, 10ObS44/20y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Mag. B*****, Vereinigtes Königreich, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 9/20w-9, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger und gefährdete Partei („Kläger“) bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt (Gegnerin der gefährdeten Partei) seit dem eine Alterspension.
Mit seiner am beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Zahlung der Pension von 2.192,84 EUR brutto für November 2019 und von 2.192,84 EUR brutto für Dezember 2019 sowie der ab Februar 2020 fällig werdenden monatlichen Pensionsansprüche samt Sonderzahlungen, solange er ständig (mehr als 182 Tage) außerhalb von Österreich lebe, bis spätestens 5. eines jeden Monats auf ein Konto seiner Wahl, „auch in England“, wobei die Überweisungskosten zu seinen Lasten gehen.
Er sei im November 2019 in das Vereinigte Königreich gezogen. Von der Beklagten habe er weder im Dezember 2019 noch im Jänner 2020 die (im Nachhinein auszuzahlenden) Pensionsleistungen erhalten. Entgegen der Zusage einer Banküberweisung solle er von der Beklagten Schecks per Post erhalten, allerdings nicht vor Februar 2020. Dem habe er nie zugestimmt, es sei nicht verständlich, weshalb die Beklagte keine Banküberweisung vornehmen wolle. Das Ziel-Konto sei ein Euro-Konto, der Kläger trage die Spesen.
Verbunden mit der Klage beantragte der Kläger die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der er von der Beklagten die Zahlung der Pensionen für November 2019 und Dezember 2019 in der oben genannten Höhe binnen drei Tagen und die Zahlung der ab Februar 2020 fällig werdenden Pensionen samt Sonderzahlungen bis spätestens 5. eines jeden Monats auf das Anderkonto des Klagevertreters oder ein anderes von diesem namhaft zu machendes Konto begehrt. Der Kläger benötige seine Pensionszahlungen dringend, die Beklagte sei im qualifizierten Zahlungsverzug.
Das Erstgericht wies die beantragte einstweilige Verfügung vor Anhörung der Beklagten mangels Bescheinigung einer konkreten subjektiven Gefährdung der Einbringlichkeit der Forderungen des Klägers ab.
Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Rekursgericht den angefochtenen Beschluss als nichtig auf und wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung zurück. Gehöre der Hauptanspruch nicht vor die Gerichte, stehe auch dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen. Die Klage richte sich nicht gegen einen Bescheid der Beklagten. Beim Streit über die Auszahlung der bescheidmäßig zuerkannten, dem Grund und der Höhe nach unstrittigen Pension handle es sich nicht um eine Leistungssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG, sondern um eine Verwaltungssache, die den ordentlichen Gerichten entzogen sei. Der Antrag sei daher wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Abänderung im Sinn einer Stattgebung seines Provisorialantrags anstrebt.
1. Zur Rechtsmittelzulässigkeit bei Zurückweisung des Sicherungsantrags durch das Rekursgericht
Voranzustellen ist, dass in der Rechtsprechung § 402 Abs 1 letzter Satz EO als einzige Ausnahme von der Anwendung des § 528 ZPO im Provisorialverfahren angesehen wird (RS0112144 [T1]). Die Nichtigerklärung und Zurückweisung eines Provisorialantrags im Rekursverfahren ist demnach nicht in analoger Anwendung von § 519 Abs 1 Z 1 ZPO iVm § 78 EO jedenfalls anfechtbar, sondern nur bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO (2 Ob 65/08k = RS0112144 [T3]).
Folgt man dieser Rechtsprechung, hätte das Rekursgericht gemäß § 526 Abs 3 ZPO iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO aussprechen müssen, ob der Revisionsrekurs zulässig ist. Ist dieser Ausspruch unterblieben, muss nach der Rechtsprechung dann kein Verbesserungsverfahren eingeleitet werden, wenn der Rechtsmittelwerber – wie hier – ein außerordentliches Rechtsmittel erhoben und gesondert die Gründe für die Zulässigkeit dieses außerordentlichen Rechtsmittels dargelegt hat (RS0002488 [T8]; 10 ObS 138/17t, erste Entscheidung vom ).
2. Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels des Klägers
2.1 Der Kläger begründet die Zulässigkeit seines außerordentlichen Revisionsrekurses damit, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob eine Leistungsklage zulässig sei, wenn die Auszahlung eines Pensionsanspruchs durch einen Sozialversicherungsträger infolge eines Umzugs des Anspruchsberechtigten in einen (zum damaligen Zeitpunkt) anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf eine bestimmte Art und Weise verweigert werde. Im vorliegenden Fall wolle die Beklagte statt mit Banküberweisung mit Scheck zahlen. Ferner fehle Rechtsprechung, ob der Anspruch auf Zahlung der Pension in einer bestimmten Modalität durch Erlassung einer einstweiligen Verfügung sichergestellt werden könne. Die Anordnung der Beklagten, einen Scheck zu übersenden, stelle einen klagbaren Bescheid dar.
2.2 Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zeigt der Rechtsmittelwerber mit diesen Ausführungen nicht auf.
2.3 Gehört der Hauptanspruch nicht vor die Gerichte, steht auch dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RS0004913 [T4]; zuletzt etwa 10 ObS 22/18k). Diese vom Rekursgericht beachtete Rechtsprechung stellt der Revisionsrekurswerber nicht in Frage.
2.4 Eine die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnende Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (der auf die in § 354 Z 1 ASVG taxativ aufgezählten Leistungssachen verweist) setzt voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs streitig ist (RS0085473).
In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind: Der Kläger weist im Revisionsrekurs selbst darauf hin, über einen Pensionsbescheid zu verfügen (Pkt 30). Weder der Grund noch die Höhe des Pensionsanspruchs sind strittig. Auch ein Ruhen dieses Anspruchs (vgl § 89 ff ASVG; weitere Ruhensfälle siehe bei Atria in Sonntag, ASVG10 Vor § 89 ff ASVG Rz 15 ff) ist nicht Verfahrensgegenstand.
Strittig ist allein die Auszahlung der Pension (mit Banküberweisung oder Scheck). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Überprüfung der Auszahlung einer (dem Grunde und der Höhe nach unstrittigen) Alterspension keine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG ist, steht mit der Rechtsprechung im Einklang (10 ObS 124/07v SSV-NF 21/80 mwH; RS0085474). Die vom Revisionsrekurswerber vermeinte Rechtsschutzlücke liegt im Hinblick auf den einen Exekutionstitel gemäß § 1 Z 11 EO bildenden Pensionsbescheid des Klägers nicht vor.
2.5 Auf die Frage, ob die vom Kläger behauptete „Anordnung“ einer Pensionsauszahlung per Scheck als Bescheid der Beklagten (in Verwaltungssachen; § 355, 410 ASVG) zu qualifizieren ist, kommt es nicht an.
3. Ergebnis: Der außerordentliche Revisionsrekurs ist wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00044.20Y.0408.000 |
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