OGH vom 30.11.1994, 9ObA236/94

OGH vom 30.11.1994, 9ObA236/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Basalka und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Silvia H*****, Angestellte,*****, vertreten durch Dr.Gerlinde Dellhorn, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Mag.DDr.Hans-Peter S*****, Kaufmann,***** vertreten durch Mag.Erhard ***** A*****, Sekretär ***** *****, dieser vertreten durch Dr.Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 58.502,95 brutto sA (im Revisionsverfahren S 48.994,15 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Ra 29/94-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 14 Cga 212/93k-24, zum Teil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird in diesem Umfang zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war beim Beklagten seit überwiegend als Verkäuferin beschäftigt. Mit meldete sie der Beklagte von der Sozialversicherung ab, wobei er als Abmeldungsgrund den "vorzeitigen Austritt" der Klägerin anführte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin S 58.502,95 brutto sA an Kündigungsentschädigung bis , aliquoten Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung für dreißig Werktage, Überstunden und Mehrstunden. Sie habe sich ab im Krankenstand befunden. Anläßlich der Mitteilung der Dienstverhinderung an den Beklagten habe sich dieser auf den Standpunkt gestellt, das Dienstverhältnis habe bereits am Vortag () durch ihren unberechtigten vorzeitigen Austritt geendet. Diese Behauptung sei unrichtig. Der Beklagte habe ihr Dienstverhältnis vielmehr einseitig aufgelöst, so daß ihr alle Ansprüche bis zur möglichen Beendigung des Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung zustünden.

Sollte das Gericht jedoch zur Ansicht gelangen, daß sie vorzeitig ausgetreten sei, werde in eventu vorgebracht, daß ihr Austritt auf Grund der Beschimpfungen durch den Beklagten gerechtfertigt erfolgt sei.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen; die Forderungen der Klägerin seien zur Gänze unbegründet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 57.874,02 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von S 628,93 brutto sA (rechtskräftig) ab.

Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Nach ihrem Dienstvertrag hatte die Klägerin eine Arbeitszeit von vierzig Wochenstunden einzuhalten. Ihr letztes Monatsbruttogehalt betrug ab S 14.772. Zu ihren Aufgaben gehörte es auch, das Geschäftslokal um 18 Uhr zu schließen und die Tageslosung zur Bank zu bringen. Darüber gab es bereits mehrmals Diskussionen mit dem Beklagten, weil die dafür aufgewendete Zeit und die damit verbundene Gefährdung der Klägerin nicht entlohnt wurde. Am kam der Beklagte kurz vor 18 Uhr in das Geschäftslokal. Die Klägerin brachte gerade die Verkaufskörbe in das Lokal und machte die Abrechnung. Daraufhin nahm sie die Banktasche mit der Tageslosung, in der auch die Schlüssel für die Filiale waren, und wollte gehen; es war inzwischen bereits 18 Uhr geworden. Der Beklagte forderte sie auf, noch etwas zu erledigen. Die Klägerin erwiderte, wenn sie noch dableiben müsse, wolle sie diese Zeit auch als Überstunde bezahlt erhalten. Der Beklagte reagierte "aufbrausend" und machte gegenüber der Klägerin "beleidigende Äußerungen". Es kam zu einer Diskussion über die Uhrzeit, ob schon Dienstschluß sei oder nicht. Die Klägerin war zu dieser Zeit in einer psychisch schwierigen Situation, die teilweise private Gründe hatte, aber auch darin lag, daß sie weitere Auseinandersetzungen fürchtete.

Der Beklagte wählte die telefonische Zeitansage; es kann aber nicht festgestellt werden, welche genaue Uhrzeit er erfuhr. Es war jedenfalls in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu 18 Uhr. Nach den beleidigenden Äußerungen des Beklagten sagte die Klägerin, sie habe schon Dienstschluß und werde nicht mehr zur Bank gehen. Sie wollte die Tasche mit der Tageslosung zurücklassen, aber die Schlüssel zur Filiale aus dieser Tasche haben, die ihr der Beklagte nicht gab. Die Klägerin verließ erst nach 18 Uhr das Geschäftslokal. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin dem Beklagten die Schlüssel hingeworfen und gesagt hätte, so gehe das nicht. Die Klägerin hatte nicht die Absicht, ihr Dienstverhältnis zu beenden. Sie suchte am nächsten Tag einen Psychiater auf und befand sich bis im Krankenstand. Ihre Krankmeldung wurde vom Beklagten nicht zur Kenntnis genommen, weil sie am Vortag unbegründet vorzeitig ausgetreten sei.

Der Klägerin stehe noch ein Urlaubsanspruch für dreißig Werktage sowie die Vergütung von 84 Mehrstunden, 8,33 Überstunden mit 50 % Zuschlag, drei Überstunden mit 75 % Zuschlag und 1,5 Überstunden mit 100 % Zuschlag zu.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin keinen vorzeitigen Austritt erklärt habe. Die Beendigung des Dienstverhältnisses sei durch den Beklagten erfolgt. Da die Klägerin zu dieser Vorgangsweise keinen Anlaß gegeben habe, sei der Beklagte verpflichtet, ihr die Entgeltansprüche bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin abzugelten. Ihr Begehren auf Mehrstundenleistung sei abzüglich der Zeiten des Urlaubs und Krankenstandes auf Grund der Arbeitszeitregelung im Kollektivvertrag für Handelsangestellte berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Zuspruch von S 48.994,15 brutto sA durch Teilurteil und sprach aus, daß diesbezüglich die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Im übrigen hob es die angefochtene Entscheidung im Umfang des Zuspruches von S 8.879,87 brutto sA (ohne Rekurszulässigkeit) auf.

Es vertrat die Rechtsauffassung, daß das erstgerichtliche Verfahren nicht mangelhaft sei. Der Beklagte habe zwar ohne qualifizierten Vertreter an der Verhandlung teilgenommen, er habe aber Erklärungen abgegeben und Fragen gestellt. Insbesondere gehe aus seinen sachgerechten Stellungnahmen zu den vorgelegten Urkunden hervor, daß das Erstgericht ihn über die jeweiligen Möglichkeiten belehrt habe. Auch die (im Revisionsverfahren nicht mehr gegenständliche) Bestreitung der passiven Klagelegitimation durch den Beklagten zeige, daß das Erstgericht seiner Anleitungspflicht nachgekommen sei.

Soweit im Berufungsverfahren Neuerungen vorgebracht wurden, seien diese nicht von entscheidender Bedeutung. Selbst wenn die Klägerin dem Beklagten die Geschäftsschlüssel hingeworfen hätte, sei dies nicht als schlüssige Austrittserklärung, sondern allenfalls nur als Unmutsäußerung aufzufassen. Es sei daher belanglos, ob der Beklagte einer Mitarbeiterin erzählt habe, daß ihm die Klägerin die Schlüssel vor die Füße geworfen habe. Bei der Auslegung einer schlüssigen Handlung komme es darauf an, ob dem Verhalten einer Partei nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs kein anderer Sinn beigelegt werden könne als der vom Erklärenden gewünschte.

Hinsichtlich des Neuvorbringens bezüglich der Verjährung der Mehr- und Überstunden fehle es noch an Feststellungen über den Zeitpunkt der Geltendmachung dieser Ansprüche durch die Klägerin.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die aus den Gründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Klageforderung hinsichtlich dieses Teilzuspruches abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da der Wert des Entscheidungsgegenstandes im Berufungsverfahren insgesamt den Betrag von S 50.000 überstiegen hat (§ 45 Abs 1 Z 1 ASGG). Auch der Wert des Gegenstandes, über den das Berufungsgericht mit Aufhebungsbeschluß entschied, gehört nämlich zum Streitwert der Berufungsentscheidung (vgl Fasching, ZPR2 Rz 1858, 1861 und 2281; Kuderna ASGG § 45 Erl 2).

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor; diesbezüglich ist auf den Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichtes (ON 37) zu verweisen. Das Berufungsverfahren ist aber mangelhaft geblieben.

In seiner Mängelrüge macht der Beklagte geltend, daß es das Berufungsgericht unterlassen habe, die zulässigerweise neu namhaft gemachten Zeugen Eleonore H***** und Barbara H***** einzuvernehmen. Durch die Aufnahme dieser Beweise hätte es sich herausgestellt, daß die Klägerin von sich aus erklärt habe, das Dienstverhältnis am beendet zu haben. Für die Wesentlichkeit von Verfahrensmängeln kommt es darauf an, ob diese abstrakt gesehen geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (Fasching aaO Rz 1765; Kodek in Rechberger ZPO § 471 Rz 6 ua).

Dem Berufungsgericht ist vorerst darin beizupflichten, daß eine zusätzliche Feststellung allein, daß die Klägerin dem Beklagten die Schlüssel (offenbar mit der Banktasche) vor die Füße geworfen hat, auf Grund der vorangegangenen Auseinandersetzung und der Weigerung des Beklagten, die erforderlichen Überstunden abzugelten, im Zusammenhang mit der Beleidigung der Klägerin objektiv gesehen noch keine schlüssige Austrittserklärung darstellen konnte. Gerade bei der Auflösung eines Dienstvertrages ist wegen der besonderen Rechtsfolgen, die damit verbunden sind, ein strengerer Maßstab an das konkludente Verhalten der Vertragsparteien anzulegen (vgl Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 § 20 Erl 6, § 26 Erl 3 mwH). Da die Klägerin ihre tägliche Dienstzeit für beendet ansehen durfte, wäre ihr Verhalten noch nicht eindeutig als auf die sofortige einseitige Beendigung ihres Dienstverhältnisses gerichtet zu werten, sondern eher - wie das Berufungsgericht meint - als eine unbedachte Reaktion auf die beleidigenden Vorwürfe des Beklagten. Dieser hätte daraus noch nicht auf einen vorzeitigen Austritt der Klägerin schließen dürfen, zumal sich die Klägerin bereits am nächsten Tag krank meldete. Ob der Beklagte auf Grund dieses Vorfalls subjektiv der Meinung war, daß die Klägerin das Dienstverhältnis beendet habe, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, ob er dies anderen Personen mitgeteilt hat.

Der Beklagte brachte aber in der Berufung zulässigerweise (§ 60 Abs 1 ASGG) neu vor, daß die Klägerin der Mitarbeiterin H***** mitgeteilt habe, daß sie dem Beklagten die Schlüssel vor die Füße geworfen und "das Dienstverhältnis beendet" habe (S 121). Durch dieses zusätzliche, dem Beklagten zugekommene Erklärungsverhalten der Klägerin hätte dies aber ihr Gesamtverhalten erkennbar dahin konkretisiert, daß das Hinwerfen der Schlüssel nicht mehr isoliert gesehen werden könnte, sondern im Zusammenhang mit ihrer Erklärung, sie habe das Dienstverhältnis von sich aus beendet. Da in einem solchen (bisher nicht festgestellten) Fall ein vorzeitiger Austritt anzunehmen wäre, kommt dem gerügten Mangel Erheblichkeit zu. Das Berufungsgericht (§ 63 Abs 2 ASGG) wird daher das Verfahren im aufgezeigten Sinn zu ergänzen haben. Sollte es sich herausstellen, daß die Klägerin eine vorzeitige Lösung ihres Dienstverhältnisses auch erklärt hat und diese Erklärung dem Beklagten zugekommen ist, ist weiters zu prüfen, ob ihr vorzeitiger Austritt gerechtfertigt erfolgte. Dazu bedarf es allerdings noch näherer und konkreter Feststellungen über den Inhalt der "beleidigenden Äußerungen" des Klägers. Die Berechtigung eines allfälligen vorzeitigen Austritts kann nur auf Grund eindeutiger Feststellungen über das "aufbrausende" Verhalten und die "beleidigenden Äußerungen" des Beklagten im Zusammenhalt mit einer (beharrlichen) Weigerung, die erforderliche Mehrarbeit abzugelten, abschließend beurteilt werden.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.