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OGH vom 16.01.2008, 8ObA86/07s

OGH vom 16.01.2008, 8ObA86/07s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Johann Ellersdorfer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Alexander Milavec, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Handels-Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wegen 783,36 EUR sA (Revisionsinteresse 490,56 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 60/07h-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 61 Cga 13/07z-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 588,96 EUR (darin 98,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Verpflichtete Christa K***** steht in einem aufrechten Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei, die Drittschuldnerin in den Verfahren 24 E 2367/98w und 24 E 3248/04s jedes Bezirksgerichts Linz ist und in denen der klagenden Partei die Forderungsexekution gemäß § 294a EO bewilligt wurde. Die beklagte Partei gab jeweils eine positive Drittschuldnererklärung ab und überwies im erstgenannten Exekutionsverfahren die vom Entgelt der Verpflichteten einbehaltenen Beträge an die klagende Partei.

Im Jänner 2005 stellte die Beklagte von einem manuellen auf ein neues computergesteuertes Lohnverrechnungsprogramm (SAP) um. Die seit Mitte 1981 bei der Beklagten tätige Lohnverrechnerin, die mit Lohnpfändungen betraut und vertraut ist, gab im Zusammenhang mit der Forderung der klagenden Partei irrtümlich den Beginn des Zinsenlaufs mit dem Jahr 2001 anstatt mit 1991 ein. In den manuellen Aufzeichnungen war der Zinsenlauf zutreffend ab dem Jahr 1991 eingetragen. Im Betrieb der Beklagten sind laufend etwa 1.200 Mitarbeiter beschäftigt; es mussten aufgrund der Umstellung auf das SAP-System etwa 350 Exekutionen und bei manchen Mitarbeitern 30 bis 35 Exekutionen eingegeben werden. Das SAP-System berechnet den Zinsenlauf und die ausständigen Zahlungen bei richtiger Eingabe selbstständig.

Mit Schreiben vom fragte der Klagevertreter unter Bezugnahme auf das Exekutionsverfahren zu 24 E 3248/04s bei der Beklagten an, ob die Verpflichtete noch bei dieser beschäftigt sei und wann mit weiteren Abzügen gerechnet werden könne. Die Lohnverrechnerin prüfte in der Folge die vom Klagevertreter genannte Exekution. Eine Kollegin teilte dem Klagevertreter mit, dass sich die klagende Partei hinsichtlich dieser Exekution im elften Pfandrang befinde und daher nicht absehbar sei, wann mit Abzügen begonnen werden könne. Mit Schreiben vom fragte der Klagevertreter neuerlich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Exekution 24 E 3248/04s an, wann mit weiteren Abzügen gerechnet werden könne. Die Lohnverrechnerin teilte dem Klagevertreter am schriftlich mit, dass die klagende Partei mittlerweile den zehnten Pfandrang eingenommen habe. In Hinblick darauf, dass sich der Klagevertreter ausdrücklich auf die Exekution zu 24 E 3248/04s gestützt hatte, bestand für die Mitarbeiterin - ebenso wie im Zusammenhang mit der ersten Anfrage des Klagevertreters - keine Veranlassung, weitere Exekutionen zu überprüfen, zumal aufgrund der Vielzahl an Exekutionen für sie ausschließlich die angeführte Geschäftszahl Relevanz besitzt.

Mit Schreiben vom fragte der Klagevertreter unter Bezugnahme auf die Gehaltsexekution zu 24 E 2367/98w an, ob die Verpflichtete noch bei der Beklagten beschäftigt sei und wann mit weiteren Abzügen gerechnet werden könne. Die Lohnverrechnerin äußerte gegenüber einer Mitarbeiterin der Kanzlei des Klagevertreters ein, zwei Tage später die Bitte, ihr eine Aufstellung über die offenen Beträge zu senden, damit noch im Dezember 2006 entsprechende Abzüge erfolgen könnten. Da keine Rückmeldung erfolgte, teile sie dem Klagevertreter mit e-mail vom mit, dass die Verpflichtete nach wie vor bei der beklagten Partei beschäftigt sei, nach Auffassung der beklagten Partei aber die zu 24 E 2367/98w zugrunde liegende Forderung bereits getilgt sei. Weiters ersuchte sie den Klagevertreter erneut um Übermittlung einer Aufstellung über die mutmaßlich noch offenen Beträge. Dem Ansuchen wurde nicht entsprochen, vielmehr brachte der Klagevertreter die Drittschuldnerklage ein.

Die Beklagte überwies in den Monaten Februar bis Mai 2007 insgesamt 292,80 EUR an die klagende Partei. Aufgrund der falschen Eingabe beim Zinsenlauf wies das SAP-gesteuerte Lohnverrechnungsprogramm der Beklagten mit Abrechnung Juni 2006 aus, dass der gesamte aushaftende Betrag an die Klägerin überwiesen worden sei, weshalb keine weiteren Überweisungen mehr getätigt wurden. Im Juni 2006 zeigte das SAP-System in der Rubrik „Restforderung" keine offenen Beträge mehr. Aufgrund der umstellungsbedingten zahlreichen Eingaben unterblieb im Jahr 2005 - anders als sonst - eine Kontrolle der Eingaben durch eine weitere Person. Auch überprüfte die dafür zuständige Mitarbeiterin nicht eigens den Personalakt der Verpflichteten.

Hätte die dafür zuständige Mitarbeiterin den Personalakt eingehender untersucht, wäre ihr die offene Forderung aufgrund der fehlerhaften Eingabe aufgefallen.

Die klagende Partei begehrte (nach Einschränkung) 783,36 EUR sA mit der Begründung, dass aus dem Verfahren 24 E 2367/98w des Bezirksgerichts Linz eine gepfändete Forderung in dieser Höhe gegen die Verpflichtete aushafte. Ihren Anspruch stütze sie auch auf Schadenersatz bzw § 301 EO.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, dass sich für sie mit der Abrechnung Juni 2006 ergeben habe, dass der im Exekutionsverfahren zu 23 E 2367/98w aushaftende Betrag zur Gänze an die klagende Partei überwiesen worden sei. Erst nach Einlangen der gegenständlichen Drittschuldnerklage sei aufgefallen, dass beim Erfassen der Exekution der Zinsenlauf irrtümlich statt ab mit eingegeben worden sei. Die Zahlung an nachfolgende Gläubiger sei nach § 292j EO schuldbefreiend, weil weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorliege.

Die klagende Partei replizierte, dass die beklagte Partei spätestens aufgrund der Zahlungsurgenzen die Exekutionsunterlagen hätte überprüfen müssen und ihr dann jedenfalls der Eingabefehler aufgefallen wäre.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Rechtlich ging es davon aus, dass § 292j EO nur die unrichtige Berechnung, nicht aber eine Falscheingabe durch den Drittschuldner erfasse, bejahte aber die analoge Anwendung dieser Bestimmung. Insgesamt beurteilte das Erstgericht das Verschulden der (Mitarbeiterin der) Beklagten als leicht fahrlässig.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der klagenden Partei das Urteil im Sinne der teilweisen Stattgebung des Klagebegehrens - nämlich mit 490,56 EUR sA - ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsansicht der klagenden Partei an, dass der Gesetzgeber bei den in den §§ 292j und 292 l EO enthaltenen Haftungserleicherungen klar zwischen der Berechnung des unpfändbaren Freibetrags sowie der Berechnung des Zinsenlaufs unterscheide und die jeweiligen Rechtsfolgen differenziert regle. Von einer Haftung für eine fehlerhafte Eingabe des Beginns des Zinsenlaufs in ein Lohnverrechnungsprogramm werde ein Drittschuldner durch Einhaltung der in § 292 l EO normierten Obliegenheiten befreit, weshalb eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes nicht vorliege. Ihren in § 292 l EO festgehaltenen Obliegenheiten sei die Beklagte nicht nachgekommen, weil sie der klagenden Partei nicht mindestens vier Wochen vorher schriftlich angekündigt habe, dass sie vom Recht auf Nichtbeachtung des Zahlungsverbots Gebrauch machen werde, sondern von ihr eine entsprechende Aufstellung über noch offene Forderungen erst fünf Monate nach Einstellung der Zahlungen begehrt habe. Der von § 292j Abs 1 EO dem Drittschuldner gewährte Schutz bestehe darin, dass eine von diesem geleistete Zahlung, die auf einer von ihm berechneten Aufteilung des Bezugs in den pfändbaren und in den unpfändbaren Teil beruhe, schuldbefreiend wirke, sofern er (bzw eine ihm im Sinn des § 1313a ABGB zuzurechnende Hilfsperson) nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich eine unrichtige Berechnung vorgenommen habe. Das Risiko einer (leicht fahrlässig) zu niedrigen Berechnung des unpfändbaren Betrags treffe daher den Verpflichteten; das Risiko einer zu hohen Berechnung werde auf den betreibenden Gläubiger überwälzt. Der Gesetzgeber habe klar erkennbar die Sorgfaltspflichten des Drittschuldners dort einschränken wollen, wo dieser aufgrund seiner üblicherweise voraussetzbaren Kenntnisse nicht in der Lage sei, in jedem Fall eine gesetzmäßige Aufteilung in den pfändbaren und unpfändbaren Teil des Bezugs vorzunehmen. Eine analoge Anwendung dieser Gesetzesbestimmung auf sonstige Irrtümer oder Fehler des Drittschuldners bei der Berechnung und Überweisung sei daher nicht geboten. Dazu komme, dass der Gesetzgeber den Drittschuldner mit der Bestimmung des § 292 l EO ohnehin von komplizierten Zinsenberechnungen entlastet habe. Habe der Drittschuldner den in der Exekutionsbewilligung genannten Festbetrag bereits geleistet, könne er den betreibenden Gläubiger auffordern, ihm eine Aufstellung über die noch offene Forderung zu übermitteln. Komme der betreibende Gläubiger dieser Aufforderung innerhalb von vier Wochen nicht nach, dürfe der Drittschuldner das Zahlungsverbot so lange ignorieren, bis ihm eine Aufstellung der noch offenen Forderungen übermittelt werde. Die Beklagte habe nicht einmal selbst behauptet, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe. Unstrittig sei, dass die Beklagte, wären ihr keine Fehler unterlaufen, im Zeitraum Juni 2006 bis Jänner 2007 783,36 EUR an die klagende Partei hätte überweisen müssen. Infolge Zahlung von 292,80 EUR nach Klagseinbringung, sei der klagenden Partei daher der Differenzbetrag von 490,56 EUR sA zuzusprechen gewesen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage „ob eine analoge Anwendung des § 292j EO auch auf andere Fehler des Drittschuldners geboten sei", keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 292j EO abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt.

§ 292j Abs 1 erster Satz EO lautet: „Die Zahlung des Drittschuldners wirkt schuldbefreiend, wenn ihn weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit trifft."

Nach den Materialien zur EO-Novelle 1991 (RV 181 der Beilagen XVII. GP S 37f) bestand ein zentrales Anliegen der Reform darin, die Stellung des Drittschuldners zu verbessern. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass der Drittschuldner Gefahr laufe, von den betreibenden Gläubigern oder von Verpflichteten in Anspruch genommen zu werden, wenn diese einer Aufteilung des Bezugs zwischen Verpflichtetem und betreibendem Gläubiger oder mehreren betreibenden Gläubigern nicht zustimmen. Wenn das Gericht die Meinung des Drittschuldners (in einem Drittschuldnerprozess) nicht teile, habe dieser nicht nur den geforderten Betrag zu zahlen, sondern auch Kostenersatz zu leisten. Nach dem Entwurf soll die vom Drittschuldner vorgenommene Aufteilung des Bezugs in den unpfändbaren und pfändbaren Teil schuldbefreiend wirken, wenn der Drittschuldner nur leicht fahrlässig eine unrichtige Aufteilung vorgenommen hat. Eine Schuldtilgung soll dann nicht eintreten, wenn den Drittschuldner „etwa" bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage und Berechnung des unpfändbaren Freibetrags ein grobes Verschulden trifft. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom , 9 ObA 105/99b (in RIS-Justiz RS0112384), ausgesprochen, dass die in den Materialien angeführte beispielsweise Aufzählung die - auch von der hier klagenden Partei vertretene - Auffassung widerlege, dass § 292j EO nur Schutz vor Berechnungsfehlern biete und hat die analoge Anwendung dieser Bestimmung auch auf leicht fahrlässige Verstöße des Drittschuldners gegen Formvorschriften bei einem Gerichtserlag bejaht. Wenngleich der Regelungszweck des § 292j EO nur direkte Zahlungen des Drittschuldners umfasse, sei der Wille des Gesetzgebers dahin erkennbar, dem Drittschuldner dort entgegenzukommen, wo er aufgrund seiner üblicherweise voraussetzbaren Kenntnisse nicht in der Lage sei, in jedem Fall eine gesetzmäßige Aufteilung vorzunehmen. Diese auch von Zechner (Forderungsexekution 183) vertretene Auffassung hat der Oberste Gerichtshof auch in seinen Entscheidungen 9 ObA 220/01w (in RIS-Justiz RS0115869) sowie in der jüngst ergangenen Entscheidung 9 ObA 159/07h aufrechterhalten, in der die Rechtsansicht, dass der beklagten Drittschuldnerin, die infolge (unrichtiger) Auskunft des zuständigen Rechtspflegers eine Antragstellung nach § 292k EO unterlassen hatte, nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, ausdrücklich als vertretbar angesehen wurde.

Es ist somit der Auffassung der Rechtsmittelwerberin zu folgen, dass im hier zu beurteilenden Fall § 292j Abs 1 EO zur Anwendung gelangt. Ausgehend vom Sachverhalt begegnet die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der (Erfüllungsgehilfin der) Rechtsmittelwerberin nur leichte Fahrlässigkeit zum Vorwurf gemacht werden könne, keinen Bedenken. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn eine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlicher und auffallender Weise vernachlässigt wird und ein solches Verhalten den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich nahe legt. Ein objektiv gravierender Sorgfaltsverstoß muss also auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein (Zechner aaO 180 mwN). Berücksichtigt man die hohe Zahl der Beschäftigten (1.200 Mitarbeiter) und der etwa 350 laufenden Exekutionen kann in dem aus Anlass der Umstellung von einem manuellen auf ein computergesteuertes Lohnverrechnungsprogramm erfolgten Irrtum der Lohnverrechnerin der Beklagten bei der Eingabe des Beginns des Zinsenlaufs nicht von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden. Ebenso wenig begründet der Umstand, dass diese fehlerhafte Eingabe längere Zeit unerkannt blieb, ein ungewöhnliches und auffallendes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt, zumal für die Mitarbeiterin keine Veranlassung bestand, ein anderes als das vom Klagevertreter ausdrücklich angeführte Exekutionsverfahren zu überprüfen und der Klagevertreter überdies dem Ersuchen um Übermittlung einer Aufstellung der offenen Beträge nicht nachkam. Ob insoweit die Voraussetzungen des § 292 l EO erfüllt wären, ist entgegen der von der klagenden Partei vertretenen Ansicht nicht entscheidend, da es vorliegend lediglich um die Beurteilung des Grads der von der Mitarbeiterin der Beklagten zu vertretenden Verschuldens geht. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.