OGH vom 09.12.1998, 9ObA232/98b

OGH vom 09.12.1998, 9ObA232/98b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hans Lahner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Feststellungssache der antragstellenden Parteien 1. Österreichischer Gewerkschaftsbund für die Gewerkschaft ö*****, vertreten durch den Vorsitzenden Fritz N*****, ebendort, 2. Österreichischer Gewerkschaftsbund für die Gewerkschaft der G*****, vertreten durch den Vorsitzenden Günter W*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die Antragsgegner 1. Land Tirol, vertreten durch den Landeshauptmann Dr. Wendelin Weingartner, Landhausplatz 1, 6020 Innsbruck, dieser vertreten durch Dr. Jörg Lindpointner, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2. Stadt Innsbruck, vertreten durch den Bürgermeister DDr. Herwig van Staa, Rathaus, Maria Theresien-Straße 18, 6020 Innsbruck, 3. Stadt Hall, vertreten durch den Bürgermeister Leo Vonmetz, Oberer Stadtplatz 1-2, 6060 Hall in Tirol, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Bernd A. Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, 4. Marktgemeinde Telfs, vertreten durch den Bürgermeister Helmut Kopp, Eduard-Wallnöfer-Platz 5, 6410 Telfs,

5. Marktgemeinde Wattens, vertreten durch den Bürgermeister Direktor Franz Troppmair, Innsbrucker Straße 3, 6112 Wattens, 6. Stadtgemeinde Lienz, vertreten durch die Bürgermeisterin Helga Machne, Hauptplatz 7, 9900 Lienz, 7. Gemeinde Grinzens, vertreten durch den Bürgermeister Karl Gasser, Kirchgasse 7, 6094 Grinzens, 8. Gemeinde Axams, vertreten durch den Bürgermeister Rudolf Nagl, Sylvester-Jordan-Straße 12, 6094 Axams, 9. Gemeinde Birgitz, vertreten durch den Bürgermeister Anton Kirchmair, Dorfplatz 1, 6091 Birgitz, 10. Gemeinde Götzens, vertreten durch den Bürgermeister Hans Payr, Burgstraße 3, 6091 Götzens, 11. Gemeinde Mutters, vertreten durch den Bürgermeister Josef Larcher, Schulgasse 4, 6162 Mutters, und 12. Gemeinde Natters, vertreten durch den Bürgermeister Alois Falschlunger, Innsbrucker Straße 4, 6161 Natters, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, daß die von den Antragsgegnern beschäftigten Musikschullehrer Anspruch auf das Entgelt für Vollbeschäftigung bei Erfüllung einer Lehrverpflichtung von 23 Wochenstunden zu 50 Minuten haben, wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die kollektivvertragsfähigen Antragsteller (Cerny in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, ArbVG Band II, 55) stellen gegenüber den kollektivvertragsfähigen Antragsgegnern (§ 7 ArbVG) das im Spruch genannte Feststellungsbegehren, das für mindestens drei in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis zu den Antragsgegnern stehenden Arbeitnehmern von Bedeutung ist.

Gegenstand des Verfahrens ist, ob die von den Antragsgegnern abgeschlossenen Dienstverträge privatrechtlicher Natur mit den Lehrern an ihren Musikschulen auf Basis eines vollbeschäftigten Musikschullehrers von mehr als 23 Wochenstunden gegen die dienstrechtliche Homogenität als prinzipieller Übereinstimmung des Landesdienstrechts für Landes- und Gemeindebedienstete mit dem Bundesdienstrecht, sohin gegen die durch Art 21 B-VG gewährleistete verfassungsmäßige Voraussetzung für einen unbehinderten Dienstwechsel zwischen den Gebietskörperschaften verstößt.

Vertragslehrer im Bundesdienst haben gemäß § 38 Abs 1 VBG dieselbe Lehrverpflichtung wie ihre pragmatisierten Kollegen. Sie gelten als vollbeschäftigt, wenn ihre Wochenstundenanzahl das Ausmaß der Lehrverpflichtung erreicht, die für die jeweilige Fachgruppe oder für die der Entlohnungsgruppe entsprechende Verwendungsgruppe der im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Lehrer jeweils festgesetzt ist. Nach § 2 Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz (= BLVG) beträgt das Ausmaß der Lehrverpflichtung der Lehrer 20 Wochenstunden. Die zur Lehrverpflichtungsgruppe IV, in die das Fach "Instrumental-Musikerziehung" fällt, gehörige Werteinheit beträgt 0,913, woraus sich eine Vollbeschäftigung der Instrumentallehrer im Bundesdienst mit 21.906 Unterrichtsstunden zu 50 Minuten ergibt. Instrumentallehrer, die 22 Wochenstunden halten, erhalten auf das 100 % übersteigende Beschäftigungsausmaß von weiteren 0,43 % eine Mehrdienstleistung.

Das Tiroler Musikschulgesetz (TLGBl 1992/44) enthält Regelungen über die Führung von Landesmusikschulen durch das Land Tirol als Träger von Privatrechten, aber keine dienstrechtlichen Bestimmungen. Das Land Tirol hat seine Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Dienstrechts der Landesbediensteten noch nicht wahrgenommen. Auch das Tiroler Gemeindevertragsbedienstetenrecht ist noch nicht gesetzlich geregelt. Bei der Anstellung von Landesbeschäftigten in privatrechtlichen Dienstverhältnissen wurde generell die Anwendung des Bundesvertragsbedienstetengesetzes mit Adaptionen vereinbart. In den Dienstverträgen der Musikschullehrer des Landes wurde bis 1995 das Ausmaß der Lehrverpflichtung bei Vollbeschäftigung mit 23 Wochenstunden festgelegt. Am wurde in der Tiroler Landesregierung ohne Einbindung der Gewerkschaft eine Neufassung der "dienst- und besoldungsrechtlichen Richtlinien für die Landesmusikschullehrer in Tirol" beschlossen und darin die Lehrverpflichtung für neu in den Landesdienst eintretende Lehrkräfte - oder bei Vertragsverlängerungen - auf 27 Wochenstunden erhöht.

Auch die Tiroler Gemeinden haben unterschiedliche Erhöhungen der Wochenstunden für eine volle Lehrverpflichtung vorgenommen (auf 27

Wochenstunden: Marktgemeinde Telfs, Marktgemeinde Wattens, Regionalmusikschule westliches Mittelgebirge mit den Gemeinden Grinzens, Axams, Birgitz, Götzens, Mutters, Natters; auf 26

Wochenstunden: Stadtgemeinde Innsbruck; auf 25 Wochenstunden:

Stadtgemeinde Hall), wobei teilweise in bestehende Verträge eingegriffen wurde.

Als Begründung des Feststellungsantrages wird vorgebracht, daß lediglich eine dem Homogenitätsprinzip entsprechende unwesentliche Erhöhung von maximal 5 % auf 23 Wochenstunden akzetabel sei. Für dieses Ausmaß biete die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes DRdA 1997/11 einen gewissen Anhaltspunkt, in der ein Vorenthalten eines Abfertigungsanspruches eines Gemeindearbeiters als Verstoß gegen das Homogenitätsprinzip angesehen wurde. Wenn die Abfertigung in sinnvoller Weise in Relation zur Verdienstsumme während der Dauer des Dienstverhältnisses gesetzt werde, so betrage sie weniger als 5 v.H. des bis zur Beendigung bezogenen Entgelts. Dies umschreibe das Ausmaß der noch zulässigen Abweichung des Dienstrechtes, hier der Wochenstundenanzahl der zum Land und der Gemeinde in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Arbeitnehmer zum Dienstrecht der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Lehrer des Bundes. Die das zulässige Ausmaß von 23 Wochenstunden überschreitenden Stunden seien als Überstunden zu qualifizieren und daher mit dem Entgelt für die Normalarbeitszeit der geänderten vollen Lehrverpflichtung nicht abgegolten. Anspruch auf das Entgelt für Vollbeschäftigung bestehe daher schon bei Erfüllung einer Lehrverpflichtung von 23 Wochenstunden a 50 Minuten.

Die Erst-, Zweit- und Drittantragsgegner sprechen sich für die Abweisung des Antrages aus. Die Sechstantragsgegnerin verweist darauf, daß die Vereinbarung von 27 Wochenstunden für Lehrer mit Eintrittsdatum nach dem September 1995 rechtens erfolgt sei.

Die Erstantragsgegnerin und die Zweitantragsgegnerin, die die Stellungnahme der Erstantragsgegnerin zu ihrer erhob, führen aus, daß das Musikschulwesen in Tirol in seinen dienst- und besoldungsrechtlichen Richtlinien nicht mit dem Bundesdienst verglichen werden könne. Es bestehe in Österreich eine Vielfalt verschiedener Musikschulsysteme, es gebe kein einheitliches System. Aufgrund der Zielsetzungen und Besonderheiten des Musikschulsystems dürfe die Bindung des Landesgesetzgebers, der in Tirol noch gar nicht tätig geworden sei, an die Strukturprinzipien des Bundesdienstrechts nicht zu eng gesehen werden. Bis zum Vorliegen eines Tiroler Musiklehrergesetzes würden Musikschullehrer mit Sonderverträgen angestellt, die auf Regierungsbeschluß beruhenden dienst- und besoldungsrechtlichen Richtlinien, die unter anderem 27 Wochenstunden a 50 Minuten vorsehen sowie das Vertragsbedienstetengesetz bei neu eintretenden Lehrkräften vereinbart, ohne daß ein erheblicher und sittenwidriger Druck ausgeübt würde. Bedienstete, die bereits im Landesdienst standen, seien von dieser Regelung nicht betroffen worden, so daß auch der Vorwurf, die Personalvertretung sei nicht eingebunden worden, ohne Bedeutung sei. Musikschulen seien Dienststellen des Landes mit öffentlichen Aufgaben, sohin öffentliche Unterrichts- und Erziehungsanstalten, die vom ArbVG ausgenommen seien und auf die mangels Betriebseigenschaft die Betriebsübergangsrichtlinie 77/187 EWG nicht anwendbar sei. Es bestünde daher keine Verpflichtung zur Vertragsübernahme bei "Übernahme" von Musikschulen, die in Wahrheit Neugründungen seien.

Die Drittantragsgegnerin gründet ihre Stellungnahme vor allem darauf, daß nur wesentliche Behinderungen im Dienstwechsel, wozu auch unterschiedliche Dienstzeitregelungen gehören, das Homogenitätsprinzip verletzen könnten. Es dürfe aber auch die Entgeltkomponente nicht vernachlässigt werden. Wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer mit 18 Wochenstunden beim Bund ein vergleichbares Entgelt verdiene wie mit einer 18 Wochenstundenverpflichtung beim Land, sei es irrelevant, welche Richtgröße als Maßstab für Vollbeschäftigung angesehen werde. Wolle man einer Normalarbeitszeit, die sich in einem Bereich zwischen 20 und 30 Wochenstunden bewegt, überhaupt Wesentlichkeit im Sinne des Art 21 Abs 4 B-VG zuerkennen, dann müsse auch die Entgeltkomponente in die Betrachtung miteinbezogen werden. Sei Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeschlossen, sei die schlichte Richtgröße für Vollzeitbeschäftigung kein relevantes Kriterium im Sinne der "groben Elle" des Art 21 Abs 4

B-VG.

Der Feststellungsantrag ist nicht berechtigt.

Das verfassungsrechtliche Homogenitätsgebot des Art 21 Abs 1 zweiter Satz B-VG bindet unmittelbar den Landesgesetzgeber und verpflichtet mittelbar die Gebietskörperschaften zur Sicherung des ihren Bediensteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, daß der Wechsel von einer Gebietskörperschaft in eine andere nicht wesentlich behindert wird, bei Gestaltung ihrer Dienstverträge das verfassungsrechtliche Homogenitätsgebot zu beachten (DRdA 1994/2 [Schnorr] mwN). Eine gegen dieses Prinzip verstoßende Gestaltung von Dienstverträgen durch Länder und Gemeinden kann zur teilweisen Nichtigkeit des Dienstvertrages nach § 879 Abs 1 ABGB (Infas 1995 A 142) führen, wobei allerdings auch eine Vertragsergänzung zur Herstellung der dem Homogenitätsprinzip entsprechenden Übereinstimmung mit den generellen Normen des Bundes in Frage kommt (DRdA 1994/2 [Schnorr]; DRdA 1997/11 [Wachter]).

Das Homogenitätsprinzip erfordert aber keine völlige Übereinstimmung mit dem Bundesrecht, sondern nur eine prinzipielle; in den Grundsätzen; im Strukturprinzip; nicht in allen Details, weil sonst eine praktische Nachvollziehbarkeit der Bundesregelung vorliegen würde, was aber dazu führen müßte, daß eine Verteilung der Gesetzgebungskompetenz wenig Sinn hätte (Jabloner in FS Schnorr, Verfassungsrechtliche Fragen des Dienstvertragsrechtes 489 f [501]; Pernthaler/Weber, Landeskompetenz und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip im Dienstrecht FS Schnorr 557 f [575]; Moritz, Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Vollziehung der Vertragsbedienstetengesetze der Länder ZAS 1990, 121 [123]; Mayer, Amtswegige Versetzung in den Ruhestand und Homogenitätsprinzip ÖJZ 1990, 771 [774]; VfSlg 13.720 = DRdA 1995/17 [Waas]; VfSlg 13.953; DRdA 1997/11 [Wachter]; 9 ObA 2272/96z).

Entscheidend ist, daß die Abweichung des Landesdienstrechts bei der Gestaltung der Dienstverträge gegenüber dem Bundesdienstrecht nicht zu einer wesentlichen Behinderung des Dienstwechsels, zu einer erheblichen Schlechterstellung führen darf (Moritz aaO 124; Schäffer, Dienstrechtliche Homogenität im Bundesstaat in FS Schnorr 371 378]; Pernthaler/Weber aaO 569, 474 f; Mayer aaO, 774; DRdA 1994/2 [Schnorr]; Infas 1995 A 142). Unwesentliche Behinderungen müssen in Kauf genommen werden (Schäffer aaO 378; Infas 1995 A 142).

Ohne Wahrnehmung der Gesetzeskompetenz durch das Land ist ein Vergleich von materiell zusammenhängenden Regelungen vorzunehmen (Pernthaler/Weber aaO 576; DRdA 1994/2 [Schnorr]; 8 ObA 361/97i). Nur eine erhebliche Schlechterstellung wäre als Verstoß gegen das verfassungsgesetzliche Homogenitätsprinzip anzusehen (Infas 1995 A 142). Die Schwierigkeit besteht in der Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze, weil nicht nur die verschiedenen dienstrechtlichen Regelungen in Vergleich zu setzen, sondern auch deren reale Auswirkungen und die mit der Wesentlichkeitsgrenze verbundenen Wertungsmaßstäbe miteinzubeziehen sind (Schäffer aaO 388; DRdA 1994/2 [Schnorr]).

Abweichende aber inhaltlich vergleichbare Regelungen behindern in der Regel den Dienstwechsel sohin nur bei einer erheblichen Schlechterstellung. Dies wäre beispielsweise bei Fehlen einer adäquaten Abfertigungsregelung (DRdA 1997/11 [Wachter]) oder Fehlen einer Kündigungsschutzbestimmung der Fall (DRdA 1994/2 [Schnorr]). Eine Differenzierung in der Höhe und der Berechnung von zurückzuerstattenden Ausbildungskosten wurde hingegen nicht als Verletzung eines tragenden Prinzips des Dienstrechts des Bundes angesehen (9 ObA 2272/96z). Auch in einer unterschiedlichen Formulierung von grundsätzlich Kündigungsschutz gewährenden Kündigungsbestimmungen des VBG und der Wiener Vertragsbedienstetenordnung lag keine Verletzung des Homogenitätsprinzips (Infas 1995 A 142).

Die inhaltliche Ausgestaltung des Dienstvertrages von landes- und gemeindebediensteten Vertragslehrern mit einer vollen Lehrverpflichtung bis 27 Wochenstunden gegenüber den dem Bundeslehrerlehrverpflichtungsgesetz unterliegenden Lehrern, wonach eine volle Lehrverpflichtung mit rund 22 Wochenstunden erreicht ist, ist eine abweichende, aber vergleichbare Regelung, die keine Differenzierung in einem tragenden Prinzip des Bundesdienstrechts begründet. Bei abweichenden, aber vergleichbaren Regelungen ist ein Dienstwechsel in der Regel, wie bereits ausgeführt, nicht wesentlich behindert und beruht die abweichende Anzahl der Wochenstunden durchaus im Rahmen des autonomen Gestaltungsspielraums eines Landesgesetzgebers. Es handelt sich daher lediglich um unwesentliche Behinderungen, die in Kauf genommen werden müssen. Entgegen der Meinung der Antragsteller ergibt sich aus der Entscheidung DRdA 1997/11 [Wachter] kein Anhaltspunkt für die von den Antragstellern vorgenommene Berechnungsweise, weil dort nur das Fehlen einer Abfertigungsregelung zu beurteilen war, nicht jedoch das Verhältnis der Abfertigungssumme zur Verdienstsumme.