OGH 18.06.2020, 13Os24/20h
Entscheidungsart: Verstärkter Senat
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Vesna J***** wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 612 Hv 17/19k des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom (ON 45) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Verneinung der aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde zu beurteilenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob der Tatbestand nach § 169 Abs 1 StGB Feststellungen zur Herbeiführung einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben einer unbestimmten Zahl von Menschen oder einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß verlangt, würde ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedeuten.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom , GZ 612 Hv 17/19k-45, wurde Vesna J***** – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am in G***** an einer fremden Sache, nämlich am Einfamilienhaus ihres Sohnes Daniel J*****, ohne dessen Einwilligung eine Feuersbrunst verursacht, indem sie an drei verschiedenen Stellen des Hauses Matratzen und Polster anzündete, woraufhin Teile des Hauses abbrannten.
Gegen den Strafausspruch des Urteils richtet sich eine Berufung der Angeklagten (ON 49), über welche das Oberlandesgericht Wien (zu AZ 19 Bs 40/20a) noch nicht entschieden hat.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 StPO) erachtet die Generalprokuratur durch den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch das Gesetz als verletzt. Dabei verweist sie begründend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Tatbestand des § 169 Abs 1 StGB Feststellungen zu einer zumindest abstrakten Gefährdung von Leib oder Leben einer unbestimmten (nicht unbedingt größeren, aber nicht auf konkrete Einzelpersonen beschränkten) Zahl von Menschen (RIS-Justiz RS0130775) oder einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß (RIS-Justiz RS0094935 [T6, T7]) erfordere. Eine entsprechende Feststellungsbasis sei der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
Gesetzesmaterialien (EBRV 30 BlgNR 13. GP 317 f) und Literatur (Fabrizy, StGB13 § 169 Rz 7) zu § 169 StGB geben im Zusammenhalt mit verschränkter Betrachtung der Abs 1 und 2 dieser Norm Anlass, die angesprochene Judikatur zu überdenken.
Das allfällige Verwerfen der Nichtigkeitsbeschwerde würde ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erfordern, was nach § 8 Abs 1 Z 1 erster Fall OGHG einem verstärkten Senat vorbehalten bleibt.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, LL.M., Dr. Schwab und Dr. Solé, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Kleinschuster, LL.M., in der Strafsache gegen Vesna J* wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 612 Hv 17/19k des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom (ON 45) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Bauer, sowie des Verteidigers Mag. Rast zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom (ON 45) wurde Vesna J* – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am in G* an einer fremden Sache, nämlich am Einfamilienhaus ihres Sohnes Daniel J*, ohne dessen Einwilligung eine Feuersbrunst verursacht, indem sie an drei verschiedenen Stellen des Hauses Matratzen und Polster anzündete, woraufhin Teile des Hauses abbrannten.
Gegen den Strafausspruch des Urteils richtet sich eine Berufung der Angeklagten (ON 49), über welche das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden hat.
In ihrer gegen den Schuldspruch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) führt die Generalprokuratur aus:
„Die Erfüllung des Tatbestands der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB erfordert in objektiver Hinsicht
– neben der durch die räumliche Ausdehnung bedingten Unlöschbarkeit eines Feuers mit gewöhnlichen Mitteln (RIS-Justiz RS0094944, RS0094805 [insbes T5], RS0105885) – eine zumindest abstrakte Gefährdung von Leib oder Leben einer unbestimmten (nicht unbedingt größeren, aber nicht auf konkrete Einzelpersonen beschränkten) Zahl von Menschen (RIS-Justiz RS0130775) oder eine konkrete Gefahr für fremdes Eigentum im großen Ausmaß (zum Begriff: RIS-Justiz RS0094935 [T6, T7: 300.000 €]; Fabrizy, StGB13 § 169 Rz 8; Kienapfel/Schmoller StudB BT III² §§ 169 bis 170 Rz 11; Murschetz in WK² StGB § 169 Rz 6, 8 f; Leukauf/Steininger/Tipold StGB4 § 169 Rz 5).
In subjektiver Hinsicht muss sich der Vorsatz des Täters auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale erstrecken und damit insbesondere auch diese Gemeingefährlichkeit des Feuers im Sinn einer (zumindest abstrakten) Gefährdung von Leib oder Leben einer unbestimmten Zahl von Personen oder einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß umfassen (Murschetz in WK² StGB § 169 Rz 11; Kienapfel/Schmoller StudB BT III² §§ 169 bis 170 Rz 39 und 43; Leukauf/Steininger/Tipold StGB4 § 169 Rz 6; RIS-Justiz RS0094899 [T2, T3]).
Eine darauf bezogene Tatsachenbasis lässt das Urteil aber vermissen, weil die getroffenen Feststellungen weder das Vorliegen derartiger Gefahrenmomente noch eine entsprechende innere Tatseite der Angeklagten hinreichend zum Ausdruck bringen; sie vermögen solcherart die rechtliche Unterstellung des zu I./ inkriminierten Verhaltens unter § 169 Abs 1 StGB (auch nur in der Entwicklungsstufe des Versuchs; § 15 Abs 1 StGB) nicht zu tragen.
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen gereicht der Angeklagten zum Nachteil (§ 292 letzter Satz StPO).“
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Nach § 169 Abs 1 StGB ist strafbar, wer an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht. Aus der Einordnung in den siebenten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB folgt, dass auch dieser Tatbestand das Herbeiführen einer Gefahrensituation verlangt.
Dem Gesetzeswortlaut folgend sah der Oberste Gerichtshof diese Gefahrensituation ursprünglich durch das Verursachen einer Feuersbrunst – per se – als herbeigeführt an (11 Os 172/85, SSt 56/91; RIS-Justiz RS0094956; ebenso Fabrizy, StGB13 § 169 Rz 7 und Mayerhofer in WK2 [2007] § 169 Rz 3a). Solcherart verstand er § 169 Abs 1 StGB insoweit als abstraktes Gefährdungsdelikt, die Gefährdung also als ex lege unwiderleglich vermutet (vgl Fuchs/Zerbes, AT I10 10/43 sowie Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 9.36).
In der Folge entfernten sich Judikatur und Lehre von dieser Grundsatzentscheidung, indem sie – wie von der Generalprokuratur umfassend dargestellt – die Verwirklichung des Tatbestands der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB (über das Verursachen der Feuersbrunst hinaus) an weitere Kriterien knüpften:
So umschreibt das Erfordernis einer tatsächlichen Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß ein konkretes Gefährdungsdelikt (vgl Fuchs/Zerbes, AT I10 10/45 sowie Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 9.34). Dieses Verständnis ist bei Betrachtung der Tatbestände des § 169 StGB in ihrer Gesamtheit nicht aufrecht zu halten, weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, dass er ein Tatbestandsmerkmal, das er in § 169 Abs 2 StGB ausdrücklich anführt, in § 169 Abs 1 StGB stillschweigend voraussetzt.
Mit dem Verlangen einer – nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilenden – zumindest abstrakten Gefährdung von Leib oder Leben einer unbestimmten Zahl von Menschen wird der Tatbestand der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB als potenzielles Gefährdungsdelikt angesehen. Die beschriebene Gefahr muss zwar nicht tatsächlich eintreten, die Tathandlung muss aber typischerweise geeignet sein, sie herbeizuführen (vgl Fuchs/Zerbes, AT I10 10/44 sowie Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 9.37). In der deutschen Literatur werden solche Tatbestände demzufolge als Eignungsdelikte bezeichnet (Roxin/Greco, StrafR AT I5 § 11 Rz 162; Heine/Bösch in Schönke/Schröder, StGB30 Vor §§ 306 ff Rz 4). Dieser Sicht widerspricht der systematische Vergleich mit jenen Tatbeständen des (österreichischen) StGB, die einhellig als potenzielle Gefährdungsdelikte betrachtet werden, weil der Gesetzgeber dort das Erfordernis der Eignung, die jeweilige Gefahr herbeizuführen, regelmäßig ausdrücklich festschreibt (zB §§ 107c Abs 1, 178, 182 Abs 1, 188, 208 Abs 1, 278c Abs 1, 283 Abs 1 Z 2 und 3 sowie § 310 Abs 1 StGB).
Der Oberste Gerichtshof kehrt daher zu seiner ursprünglichen Judikatur zurück, wonach bei Verwirklichung der ausdrücklich normierten Tatbestandsmerkmale des § 169 Abs 1 StGB die (mit Blick auf die Einordnung in den siebenten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB verlangte) Gefährdung ex lege unwiderleglich vermutet wird, der Tatbestand insoweit also ein abstraktes Gefährdungsdelikt umschreibt.
Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB erschöpft sich aber nicht im Element der Gefährdung, sondern verlangt auch einen bestimmten Erfolg, nämlich das Entstehen einer Feuersbrunst. Solcherart stellt dieser Tatbestand eine Kombination aus Gefährdungsdelikt und Erfolgsdelikt dar (Flora SbgK § 169 Rz 4, Hinterhofer BT II4 § 169 Rz 2, Kienapfel/Schmoller StudB BT III Vorbem §§ 169 ff Rz 39). Das Erfolgselement, also die Feuersbrunst, wird nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre im Kern definiert als ausgedehnter, mit gewöhnlichen Mitteln nicht mehr beherrschbarer Brand gleich einer entfesselten Naturgewalt, der Eigentum in großem Ausmaß erfasst (11 Os 40/80, EvBl 1980/159, 468; RIS-Justiz RS0094826, RS0094944 und RS0105885, jüngst 14 Os 32/19s; Fabrizy, StGB13 § 169 Rz 6; Flora SbgK § 169 Rz 29; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 169 Rz 5; Murschetz in WK2 StGB § 169 Rz 3). Genau dieser Begriffsinhalt stellt nach den Gesetzesmaterialien zum StGB den rechtspolitischen Hintergrund für den unterschiedlichen Deliktsaufbau der Abs 1 und 2 des § 169 StGB dar, weil sich die von § 169 Abs 2 StGB verlangte konkrete Gefahr im Fall des Verursachens einer Feuersbrunst an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers (§ 169 Abs 1 StGB) bereits manifestiert hat (EBRV 30 BlgNR 13. GP 318).
Unter dem Aspekt hinreichender Subsumtionsbasis (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a oder Z 10 StPO) folgt daraus, dass in Bezug auf die objektive Tatseite jene Feststellungen zu treffen sind, welche die Einordnung des verursachten Brandes als Feuersbrunst im Sinn der dargestellten Judikatur zulassen, nicht jedoch (darüber hinaus) solche, die die Annahme einer konkreten oder (auch nur) potenziellen Gefährdung tragen.
Fallbezogen genügen die Feststellungen des Erstgerichts zum Anzünden eines fremden, nämlich im Eigentum des Sohnes der Angeklagten stehenden, Einfamilienhauses an mehreren Stellen sowie zum Einsatz einer siebzehn Personen umfassenden Löschmannschaft mit drei Feuerwehrfahrzeugen, um den Brand unter Einsatz von schweren Atemschutzgeräten unter Kontrolle zu bringen (US 3 f), den dargelegten Anforderungen.
Der Vorsatz des Täters muss sich in der Tatbestandsvariante des § 169 Abs 1 StGB auf die Fremdheit der Sache, die fehlende Einwilligung des Eigentümers und die Herbeiführung einer Feuersbrunst beziehen (RIS-Justiz RS0094899). Auch dazu finden sich im Urteil entsprechende Feststellungen (US 3 f).
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war somit zu verwerfen (§§ 288 Abs 1, 292 StPO).
Eine Entscheidung über die noch nicht erledigte Berufung der Angeklagten war dem Obersten Gerichtshof mangels gesetzlicher Grundlage verwehrt (vgl 13 Os 53/15s, 11 Os 23/18v und 11 Os 141/19y, EvBl 2020/90, 615). Nach § 296 Abs 1 StPO besteht eine diesbezügliche Entscheidungskompetenz nämlich nur dann, wenn außer über die Berufung auch über eine Nichtigkeitsbeschwerde zu entscheiden ist, die „von der einen oder der anderen Seite“ ergriffen worden ist. Das Gesetz stellt also insoweit auf die Prozesssituation einander gegenüberstehender Parteien ab (vgl § 282 StPO), wogegen im Fall der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 292 StPO) eine solche Prozesssituation gerade nicht vorliegt (§ 23 Abs 1 StPO, vgl auch § 22 zweiter Satz StPO). Soweit in der Literatur die Sicht verteten wird, § 296 Abs 1 StPO biete auch im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes eine hinreichende Basis für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine noch nicht erledigte Berufung (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 47 und § 296 Rz 1; Ratz, ÖJZ 2015, 1054 [Entscheidungsanmerkung] sowie – auf diesen verweisend Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 296 Rz 3), wird nicht aus dem oben dargestellten Wortlaut der angesprochenen Norm argumentiert, sondern dieser durch das Erfordernis einer „auch bloß hinsichtlich eines anderen Angeklagten“ ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde ersetzt.
Über die Berufung der Angeklagten wird daher das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 280 zweiter Satz StPO).
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Rechtsgebiet | Strafrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00024.20H.0618.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAE-06653