OGH 15.12.2015, 8ObA85/15f
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und ADir. Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch die Brandtner & Doshi Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei J***** V***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Summer, Schertler, Stieger, Kaufmann, Droop, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 7.857,36 EUR brutto und 4.106,17 EUR netto sA sowie Offenlegung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 29/15k-38, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht verfallen seien. Die Arbeitsaufzeichnungen der Beklagten seien vorsätzlich falsch gewesen. Die Berufung der Beklagten auf einen Verfall sei unbillig und unzulässig.
1.2 Nach § 20 Abs 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter des Fleischgewerbes müssen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen dreier Monate nach dem Entstehen bzw Bekanntwerden geltend gemacht werden, widrigenfalls der Anspruch erlischt.
Allgemein hält die Rechtsprechung eine Verkürzung der Verjährungsfrist durch eine Vereinbarung für zulässig. Dies gilt auch für die Geltendmachung von offenen Arbeitnehmeransprüchen im aufrechten Arbeitsverhältnis. Es besteht keine gesetzliche Regelung, die eine Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung in Arbeitsverträgen generell verbieten würde (8 ObA 75/15k). Die Berufung auf eine an sich zulässige Verfallsklausel kann sittenwidrig sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0051974; RS0034487). Gegen Treu und Glauben verstößt es zudem auch, wenn sich der Arbeitgeber auf den im Kollektivvertrag vorgesehenen Verfall beruft, obwohl er es beharrlich unterlassen hat, eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung im Sinn des Kollektivvertrags auszufolgen. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist schließlich dann anzunehmen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die (rechtzeitige) Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (8 ObA 75/15k).
1.3 Der Kläger stützt sich auf unrichtige Lohnabrechnungen, weil die zugrunde liegenden Arbeitsaufzeichnungen falsch seien. Nach den Feststellungen erhielt der Kläger eine monatliche Lohnabrechnung ausgehändigt, auf der die Anzahl der geleisteten und verrechneten Arbeitsstunden, weiters der Überstundengrundlohn, der Überstundenzuschlag sowie die Summe der verrechneten Diäten ersichtlich waren. Davon ausgehend stellt die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger seien überprüfbare Lohnabrechnungen samt abgerechneter Arbeitszeit zur Verfügung gestellt worden und es sei ihm zumutbar gewesen, die tatsächlichen Arbeitszeiten über einen gewissen Zeitraum zu notieren sowie die aktuelle Höhe der Zehrgelder zu erheben und diese Daten mit den Abrechnungen zu vergleichen, weshalb der Verfallseinwand der Beklagten keinen Verstoß gegen Treu und Glauben darstelle, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Ausgehend von den Feststellungen kann im Anlassfall nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des Arbeitgebers ausgegangen werden, das von der Absicht getragen war, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern oder ernsthaft zu erschweren (vgl 8 ObA 75/15k).
Eine kollektivvertragliche Verfallsfrist, die eine außergerichtliche Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber innerhalb einer bestimmten Frist vorsieht, verfolgt den Zweck, dem Arbeitgeber möglichst rasch Klarheit darüber zu verschaffen, welche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach Auffassung des Arbeitnehmers bestehen. Es soll somit verhindert werden, dass der Arbeitgeber über zu liquidierende Ansprüche im Unklaren gelassen wird und dadurch in Beweisschwierigkeiten gerät (8 ObA 29/12s). Die Überprüfung der vom Arbeitgeber abgerechneten Überstunden durch den Arbeitnehmer anhand eigener, allenfalls auch stichprobenartiger Arbeitsaufzeichnungen entspricht dieser Zweckbestimmung.
1.4 Zum Verfall der Zehrgelder vertritt der Kläger die Ansicht, die Verfallsfrist könne erst mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Arbeitnehmer auf die Unrichtigkeit in seinen Lohn- und Spesenabrechnungen aufmerksam gemacht worden sei. Der Kläger geht in diesem Zusammenhang offenbar von einer Aufklärungspflicht des Arbeitgebers aus. Eine derartige Pflicht kann der zugrunde liegenden Kollektivvertragsbestimmung nicht entnommen werden. Der Hinweis des Berufungsgerichts, es wäre Sache des Klägers gewesen, die ausgezahlten Beträge mit den zustehenden Diäten zu vergleichen, hält sich im Rahmen der Rechtssprechung.
2. Auf die Beurteilung des Erstgerichts, die vor dem entstandenen Ansprüche seien verfallen, geht der Kläger nicht ein. Die Vorinstanzen haben - mit differenzierter Betrachtungsweise - das Klagebegehren als unschlüssig qualifiziert. Im Hinblick auf die Verfallsproblematik hätte der Kläger spätestens in der außerordentlichen Revision darstellen müssen, welche konkreten Ansprüche in welchem Ausmaß in den Zeitraum vom bis gefallen sind. Dies hat er nicht getan. Allein aus der Tabelle in ON 24 lassen sich die für den genannten Zeitraum geforderten Beträge nicht mit der erforderlichen Klarheit ableiten (siehe dazu das Urteil des Erstgerichts S 7). Die Schlüssigkeit des Begehrens wurde mit dem Kläger mehrfach erörtert. Der in diesem Zusammenhang relevierte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
3. Schließlich bestätigt der Kläger, dass er in der Berufung auf das Begehren zur Vorlage der Lenkeraufzeichnungen nicht zurückgekommen ist. Dies bedeute aber nicht, dass er dieses Begehren fallen gelassen habe. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass sich das Begehren auf Offenlegung der Lenkeraufzeichnungen und Zahlung des sich daraus ergebenden Guthabenbetrags auf den Zeitraum vom bis bezog. Abgesehen davon, dass eine im Berufungsverfahren unterbliebene Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden kann (8 Ob 120/06i), ist die erwähnte Zeitperiode vom Verfall betroffen.
4. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter (§ 11a Abs 3 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch die Brandtner & Doshi Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei J***** V***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Summer, Schertler, Stieger, Kaufmann, Droop, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 7.857,36 EUR brutto und 4.106,17 EUR netto sA sowie Offenlegung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 29/15k-38, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Mit Beschluss vom hat der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision des Klägers gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen. Am selben Tag hat die Beklagte ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Da eine solche Revisionsbeantwortung gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen ist, war sie nicht zu honorieren (vgl 8 Ob 73/15s).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00085.15F.1215.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAE-06642