TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 27.02.2014, 8ObA85/13b

OGH vom 27.02.2014, 8ObA85/13b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. D*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 3.280,48 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 62/13v 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cga 146/12h 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der beklagten Gebietskrankenkasse in der Funktion des Leiters der Organisationseinheit Finanzen beschäftigt.

Die Beklagte ist ein regionaler Rechtsträger ohne bundesweite Zuständigkeit. Sie unterhält mehrere Außenstellen, die vom Kläger im Rahmen seiner Funktion betreut und abgerechnet werden. Die Außenstellen weisen keinen eigenen Fachbereich, kein dem Kläger unterstehendes Personal und keine Eigenständigkeit auf.

Auf das Dienstverhältnis des Klägers ist die DO.A für Verwaltungsangestellte, Personal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs anzuwenden. Der Kläger ist in deren Gehaltsgruppe F eingereiht.

Gemäß § 44 DO.A haben leitende Verwaltungsangestellte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Funktionszulagen. Aus dem Wortlaut dieser Regelung ist hervorzuheben:

„§ 44 (1) Eine Funktionszulage gebührt folgenden Verwaltungsangestellten:

1. den in Gehaltsgruppe F einzureihenden LeiterInnen von Organisationseinheiten sowie deren in Gehaltsgruppe E einzureihenden ständigen StellvertreterInnen

a) bei der Wiener, der Niederösterreichischen, der Oberösterreichischen und der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, bei der Hauptstelle der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und der Pensions-versicherungsanstalt, bei der Hauptstelle der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, bei der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau und beim Hauptverband im Ausmaß von 10 bis 30 % (…)

der jeweiligen ständigen Bezüge gemäß § 35 Abs 2 Z 1 lit a); (...)

7. den in Z 1 genannten LeiterInnen von Organisationseinheiten, denen bei Versicherungsträgern mit regionalen Ausgliederungen gleichzeitig die Leitung einer im Dienstpostenplan vorgesehenen zentralen Organisationseinheit sowie die Hauptverantwortung für den entsprechenden Fachbereich in mindestens einer regionalen Ausgliederung (Landesstelle, Regionalbüro, Außenstelle) des Versicherungsträgers übertragen ist, ferner den in Gehaltsgruppe F eingereihten LeiterInnen von Referaten beim Hauptverband 5 % der jeweiligen ständigen Bezüge gemäß § 35 Abs 2 Z 1 lit a) zusätzlich zu dem in Z 1 angeführten Prozentsatz. (…)“ .

Der Kläger begehrt die Zahlung einer 5%igen Funktionszulage gemäß § 44 Abs 1 Z 7 DO.A. Er sei nicht nur Leiter seiner Organisationseinheit, sondern darüber hinaus auch für den Fachbereich Finanzen in sämtlichen regionalen Außenstellen der Beklagten zuständig und erfülle daher die Anspruchsvoraussetzungen.

Die Beklagte wandte ein, § 44 Abs 1 Z 7 DO.A sei nach dem Verständnis der Kollektivvertragsparteien nur auf Angestellte des Hauptverbands und der Versicherungsträger mit bundesweiter Zuständigkeit anzuwenden. Dies sei im Zuge der 84. Änderung der DO.A durch Einfügen einer entsprechenden Erläuterung zu § 44 Abs 1 Z 7 DO.A klargestellt worden. Darüber hinaus seien in den Außenstellen der beklagten Gebietskrankenkasse überhaupt keine Fachbereiche für Finanzen eingerichtet.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Die herangezogene Bestimmung sei nach den Erläuterungen zur DO.A, denen als authentische Interpretation der Kollektivvertragsparteien maßgebliche Bedeutung zukomme, auf die Angestellten von Gebietskrankenkassen nicht anwendbar. Unabhängig davon erfülle der Kläger auch eine weitere Voraussetzung für die Funktionszulage nicht, weil er keinen Fachbereich einer Außenstelle leite.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision wegen des von der strittigen Kollektivvertragsbestimmung potentiell betroffenen größeren Personenkreises und mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung zulässig sei.

Eine authentische Interpretation einer Kollektivvertragsbestimmung durch die abschließenden Parteien sei auch nachträglich und rückwirkend zulässig. Die Rechtslage werde dadurch nicht geändert, sondern nur das von Anfang an von den Kollektivvertragsparteien der Bestimmung zugrundegelegte Verständnis klargestellt. Ein erheblicher Eingriff in eine berechtigte Vertrauensposition sei mit der 84. Änderung der DO.A eingefügten Erläuterungen zu § 44 Abs 1 Z 7 DO.A nicht verbunden.

In seiner Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass die Erläuterung zu § 44 Abs 1 Z 7 DO.A, der mit diesem Wortlaut bereits seit 2001 in Kraft stehe, einer keineswegs unklaren Bestimmung eine dem Wortsinn entgegenstehende Bedeutung zuweise und damit nicht bloß eine Interpretation, sondern eine Änderung des Kollektivvertrags darstelle. Die 84. Änderung der DO.A sei erst mit wirksam geworden und als Anlassgesetzgebung in Reaktion auf das Ansinnen des Klägers zu werten. Die engen zeitlichen Grenzen einer zulässigen Rückwirkung seien weit überschritten worden. Schließlich könne § 44 Abs 1 Z 7 DO.A auch nicht entnommen werden, dass der Zulagenanspruch an eine besondere Fachbereichsorganisation in den betreuten Außenstellen gebunden wäre.

Die Beklagte führt in ihrer Revisionsbeantwortung insbesondere die in Lehre und Rechtsprechung anerkannte Zulässigkeit einer authentischen Interpretation durch den Normgeber ins Treffen. Selbst wenn aber von einer rückwirkenden Änderung des Kollektivvertrags auszugehen wäre, habe der Kläger nie berechtigt auf seinen behaupteten Anspruch vertrauen dürfen, außerdem begründe die Aberkennung der Zulage keinen erheblichen Eingriff.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die DO.A ist als Kollektivvertrag in ihrem normativen Teil nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen. In erster Linie ist daher der Wortsinn im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Maßgebend ist zwar nur, welchen Willen des Normgebers der Leser aus dem Vertragstext entnehmen kann und nicht, was der Normgeber seinerzeit wirklich gewollt oder später unverbindlich geäußert hat; allerdings ist eine einvernehmliche authentische Interpretation von Kollektivverträgen durch die Kollektivvertragsparteien als dem zur Normsetzung berechtigtem „Organ“ möglich (RIS Justiz RS0008905). Sie stellt gegebenenfalls selbst einen Akt der Rechtsetzung dar und entfaltet Normwirkung (9 ObA 90/04g mwN; 8 ObA 43/07t).

2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Erläuterungen zur DO.A in diesem Sinn als authentische Interpretation der Bestimmungen der DO.A durch die Kollektivvertragsparteien gelten (RIS-Justiz RS0054448).

3. Der Kläger stützt sich darauf, dass mit der 84. Änderung der DO.A (Wirksamkeitsbeginn ) folgende Erläuterung zu § 44 Abs 1 Z 7 eingefügt wurde:

„ Durch die Änderung des § 44 Abs 1 Z 7 (ehemals Z 8) im Rahmen der 57. Änderung wird der Umstrukturierung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern Rechnung getragen. So wie bisher ist diese Bestimmung daher nur auf Sozialversicherungsträger mit bundesweiter Zuständigkeit sowie den Hauptverband anwendbar. “

Diese Änderung stelle eine authentische Interpretation dar, deren Rückwirkung zu weit gehe.

4. Nach § 8 ABGB kann der Gesetzgeber den normativen Sinn eines (unklaren) Gesetzes durch ein neuerliches Gesetz erklären. Eine authentische Interpretation durch den Normgeber kann die „versteckte“ Anordnung einer Rückwirkung beinhalten (RIS-Justiz RS0008905 mwN).

Eine authentische Interpretation ist insoweit nicht mehr eine Auslegung im eigentlichen Sinn.

Die Zulässigkeit der authentischen Interpretation wird von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung nicht bezweifelt; das allgemeine Rückwirkungsverbot des § 5 ABGB stellt keine gegenüber § 8 ABGB höherrangige Rechtsnorm dar (vgl M. Schmidt , Authentische Interpretation und Verfassung, ÖJZ 1987, 428 mwN; Posch in Schwimann ³, § 8 ABGB Rz 1).

Die authentische Interpretation gilt ab dem Inkrafttreten des „erklärten Gesetzes“ und ist dementsprechend regelmäßig allen noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren zugrundezulegen (vgl F. Bydlinski in Rummel ³, § 8 ABGB Rz 1; Posch , aaO Rz 1 f).

5. Es entspricht auch der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, dass der Gesetzgeber im Prinzip frei ist, die Rechtslage zu verändern (vgl VfSlg 15.231/1998, 15.319/1998; ). Das vom Revisionswerber zur Stützung seines Standpunkts herangezogene Erkenntnis des VfGH V 85,86/92 betraf keinen Fall einer authentischen Interpretation, sondern die Satzung eines Kollektivvertrags und ist nicht einschlägig.

Allerdings sind rückwirkende Änderungen der Rechtslage, die die Rechtsposition der Normunterworfenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, im Lichte des Gleichheitsgebots zu prüfen (VfGH VfSlg 15.231/1998; VfSlg 17.340/2004 uva). Bei dieser Prüfung geht es um den Vertrauensschutz. Ob die Normunterworfenen auf eine bestimmte Rechtslage vertraut haben oder doch vertrauen durften und durch die rückwirkende Veränderung in einer berechtigten Erwartung enttäuscht wurden, kann immer nur nach der konkreten Änderung und den konkreten Umständen beurteilt werden.

Im vorliegenden Fall war der geltend gemachte Anspruch nie unzweifelhaft. Die Formulierung der Anspruchsvoraussetzungen mag zwar teilweise (Verweis auf die Z 1 des § 44 Abs 1) darauf hingedeutet haben, dass auch die Angestellten von Gebietskrankenkassen einzubeziehen wären; keineswegs eindeutig waren aber die weiteren Anspruchsvoraussetzungen, nämlich die Leitung einer dezentralen Organisationseinheit. Der Kläger räumt selbst ein, dass § 44 Abs 1 Z 7 DO.A keine Aussage darüber trifft, wie der „Fachbereich“ einer Außenstelle organisiert sein muss, damit ein Anspruch auf Funktionszulage besteht. Die Zulage wurde dem Kläger nie gewährt und sein Anspruch bereits bei der erstmaligen Geltendmachung von der Beklagten als rechtlich unbegründet abgelehnt. Unter diesen Umständen konnte der Kläger auch vor Einfügung der Erläuterungen zu § 44 Abs 1 Z 7 DO.A keine berechtigte Erwartung hegen, Anspruch auf die Zulage zu haben.

6. Die Revision gesteht den Kollektivvertragsparteien zu, bei Entgeltregelungen einen gerechten Interessenausgleich anzustreben, meint aber, dass die Beschränkung der strittigen Funktionszulage auf Mitarbeiter von Versicherungsträgern mit bundesweiter Zuständigkeit eine unsachliche Ungleichbehandlung darstelle, weil die Tätigkeit und Verantwortung des Klägers weder qualitativ noch quantitativ jener vergleichbarer Funktionsträger bei bundesweit tätigen Sozialversicherungsträgern nachstehe.

Mit der Beschränkung des Blicks auf Qualität und Quantität seiner Arbeitsleistung übergeht der Kläger aber den wesentlichen Unterschied der Beschäftigung bei verschiedenen Dienstgebern. Weshalb es eine grundsätzlich unsachliche Entscheidung der Kollektivvertragsparteien sein sollte, Organisationsleitern mit bundesweiter Zuständigkeit eine etwas höhere Funktionszulage zu gewähren als Organisationsleitern, deren Zuständigkeit auf ein Bundesland beschränkt ist, vermag die Revision nicht überzeugend darzulegen.

Hinzu kommt, dass die „allgemeine“ Funktionszulage nach § 44 Abs 1 Z 1 DO.A im Ausmaß von 10 bis 30 % der ständigen Bezüge gebührt. Diese Regelung erlaubt bereits eine flexible Anpassung der Gesamtbezüge der leitenden Angestellten an die besonderen Anforderungen ihrer jeweiligen Organisationseinheit innerhalb einer Bandbreite von immerhin 20 %. Schon aus diesem Blickwinkel erreicht die Höhe der streitgegenständlichen Zulage in Höhe von weiteren 5 % der ständigen Bezüge keine Erheblichkeitsschwelle, die eine Überschreitung des Ermessensspielraums der Kollektivvertragsparteien indizieren könnte.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG iVm §§ 41 und 50 ZPO.