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OGH vom 31.05.2022, 14Os39/22z

OGH vom 31.05.2022, 14Os39/22z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. SetzHummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Fleischhacker in der Strafsache gegen Mag. * Z* wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 erster Fall StGB, AZ 9 HR 288/21f des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom , AZ 9 Bs 406/21f, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, und des Verteidigers Mag. Marsch zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

[1] Im von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt zu AZ 15 St 65/21y gegen Mag. * Z* wegen dem Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 erster Fall StGB subsumierter Taten geführten Ermittlungsverfahren ordnete die Anklagebehörde am die Sicherstellung von „Diensthandy und Outlook-Kalender des Beschuldigten“ aus Beweisgründen (§ 110 Abs 1 Z 1 StPO) an (ON 11).

[2] Den dagegen gerichteten Einspruch des Beschuldigten wegen Rechtsverletzung (ON 15) wies das Landesgericht Klagenfurt mit Beschluss vom , GZ 9 HR 288/21f-24, ab.

[3] Gegen diesen Beschluss erhob der Beschuldigte (rechtzeitig) Beschwerde mit dem Hinweis, zugleich beim Verfassungsgerichtshof einen Parteiantrag auf Normenkontrolle zu stellen, in dem die Verfassungswidrigkeit des § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 sowie des § 111 Abs 2 StPO behauptet werde (ON 26 S 2 f).

[4] Mit Beschluss vom , AZ 9 Bs 406/21f, gab das Oberlandesgericht Graz dieser Beschwerde nicht Folge und führte aus, dass dem Beschwerdegericht zum Entscheidungszeitpunkt keine Verständigung des Verfassungsgerichtshofs von der Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle nach § 62a Abs 5 VfGG vorgelegen sei. Dass eine solche erfolgt wäre, sei auch der Verfahrensautomation Justiz nicht zu entnehmen, weshalb die Pflicht zur Innehaltung (§ 62a Abs 6 VfGG) nicht eingetreten sei (ON 33 S 2).

[5] Am verständigte der Verfassungsgerichtshof das Landesgericht Klagenfurt zu AZ 9 HR 288/21f, dass Mag. Z* einen auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG gestützten Antrag gestellt hat, der Verfassungsgerichtshof wolle § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 sowie § 111 Abs 2 StPO (in eventu §§ 110, 111, 112, 113 und 114 StPO, in eventu auch § 112a StPO) als verfassungswidrig aufheben (ON 36).

[6] Über diesen Antrag hat der Verfassungsgerichtshof bislang nicht entschieden.

[7] Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom richtet sich die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, die wie folgt argumentiert:

„In dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren dürfen gemäß § 62a Abs 6 VfGG bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Im Anlassverfahren sind demnach nur solche Verfahrenshandlungen vorzunehmen, durch die das Gesetzesprüfungsverfahren nicht unterlaufen wird. Insoweit dürfen vor allem die angefochtenen Rechtsvorschriften (hier: §§ 110 bis 114 StPO) nicht angewendet werden (Fuchs/Kneihs in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vasek, VfGG [2019] § 62 Rz 17 und § 62a Rz 20; Fichtenbauer/Hauer, Parteiantrag auf Normenkontrolle [2015] Rz 113).

Ein eine vorzeitige Entscheidung erlaubender Umstand iSd § 62a Abs 6 VfGG lag damit fallbezogen nicht vor, sodass die in Kenntnis des Parteiantrags auf Normenkontrolle (siehe den in der Beschwerde enthaltenen Hinweis auf den Antrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG; ON 26 S 7; 15 Os 33/17t; vgl auch Schoditsch, Der Parteiantrag auf Normenkontrolle, ecolex 2015, 338 [341]) erfolgte Beschlussfassung durch das Oberlandesgericht Graz, deren Zulässigkeit es ohne gesetzliche Grundlage auf die nicht erfolgte bzw aus der Verfahrensautomation Justiz nicht ersichtliche, für die Verpflichtung zur Innehaltung jedoch nicht erforderliche Verständigung durch den Verfassungsgerichtshof stützte, verfehlt war.“

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[8] Die nach Maßgabe des § 62a Abs 6 VfGG bestehende Pflicht zum Innehalten in einem Rechtsmittelverfahren im Fall der Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle (vgl Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG) ist unter Beachtung der Zuständigkeit für Letzteren und der in § 62a Abs 5 erster Satz VfGG normierten Verständigungspflicht des Verfassungsgerichtshofs zu interpretieren.

[9] Der Parteiantrag auf Normenkontrolle ist innerhalb der für die (in erster Instanz) entschiedene Rechtssache vorgesehenen Rechtsmittelfrist direkt beim Verfassungsgerichtshof einzubringen (vgl § 62a Abs 1 VfGG). Eine gesetzliche Verpflichtung des Antragstellers, diesen Umstand dem (hier:) Strafgericht (in der Rechtsmittelschrift oder nach Einbringung derselben auf sonst geeignete Weise) mitzuteilen, besteht nicht.

[10] (Nur) Der Verfassungsgerichtshof hat (insbesondere) zu entscheiden, ob eine Eingabe formal als Parteiantrag zu behandeln ist, diesem Formmängel anhaften, oder ein solcher Antrag im konkreten Fall offenkundig unzulässig ist (vgl Herbst in Kier/Wess, HB Strafverteidigung Rz 13.65).

[11] Von der Stellung eines Antrags auf Normenkontrolle hat der Verfassungsgerichtshof das (hier:) Strafgericht erster Instanz unverzüglich zu verständigen (§ 62a Abs 5 erster Satz VfGG). Diese Verständigung ist das (einzige) gesetzlich vorgesehene Instrument, durch welches die (Straf-)Gerichte Kenntnis (im Sinn von zweifelsfreiem Wissen) von der Stellung eines Parteiantrags durch einen Rechtsmittelwerber erlangen.

[12] Die in § 62a Abs 6 VfGG normierte Innehaltepflicht im Rechtsmittelverfahren wird daher (erst) durch das Einlangen einer Verständigung des Verfassungsgerichtshofs (iSd Abs 5 erster Satz leg cit) beim (hier:) Strafgericht erster Instanz ausgelöst (vgl Grabenwarter/Musger, ÖJZ 2015/75, 551 [557]; Danek, RZ 2017, 74 [76]; Herbst in Kier/Wess, HB Strafverteidigung Rz 13.65, 13.79; Frank, Gesetzesbeschwerde [2015] S 159; Walbert/Satek/Wielinger, Praxisleitfaden Parteiantrag auf Normenkontrolle [2015] Rz 152; Fichtenbauer/Hauer, Parteiantrag auf Normenkontrolle [2015] Rz 114; 15 Os 54/17f; RIS-Justiz RS0131360 [T2]; 8 ObA 76/16h vom ; 7 Ob 152/19g vom ; vgl zur Maßgeblichkeit dieses Anknüpfungspunktes auch §§ 285j, 294 Abs 4, 467 Abs 5 StPO und Ratz, WK-StPO § 285j Rz 14 f; die Frage offen lassend hingegen 263 BlgNR 25. GP 2; Schoditsch, ecolex 2015, 338 [340 f]; aA Reiter, Der Parteiantrag auf Normenkontrolle im zivilgerichtlichen Verfahren, RZ 2015, 55 [58 – wo auf die Einbringung des Antrags beim VfGH abgestellt wird]).

[13] Demgemäß handelt ein Rechtsmittelgericht nur dann rechtsfehlerhaft, wenn es in Kenntnis der Verständigung des Verfassungsgerichtshofs vom Vorliegen eines Parteiantrags auf Normenkontrolle gegen die Innehaltepflicht verstößt (Ratz, WK-StPO § 285j Rz 11; in diesem Sinn auch 15 Os 33/17t [weil durch den Verweis auf § 62a Abs 5 erster Satz VfGG und auf die in der Entscheidung referierte ON 1028 der Sache nach auf die Kenntnis der Verständigung des Verfassungsgerichtshofs abgestellt wird]).

[14] Da im gegenständlichen Fall im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung eine Verständigung des Verfassungsgerichtshofs iSd § 62a Abs 5 erster Satz VfGG beim Erstgericht nicht eingelangt war, sondern dem Oberlandesgericht lediglich die im Rechtsmittel geäußerte Behauptung des Beschwerdeführers vorlag, er habe beim Verfassungsgerichtshof einen Normprüfungsantrag eingebracht, hat das Oberlandesgericht zu Recht keine Pflicht zur Innehaltung im Rechtsmittelverfahren angenommen.

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00039.22Z.0531.000

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