VfGH vom 01.10.1981, b663/78
Sammlungsnummer
9195
Leitsatz
GewO 1973; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung der Berufung mangels Parteistellung der beschwerdeführenden Gemeinde gemäß § 355; keine Verletzung des Eigentumsrechtes der Gemeinde durch Erteilung einer Betriebsanlagengenehmigung an einen Dritten
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Mit Bescheid vom , Z III-2122/76, erteilte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch der Vbg. Z. Gesellschaft m.b.H. über deren Antrag gemäß § 77 Gewerbeordnung 1973 (GewO 1973) die gewerbepolizeiliche Betriebsanlagengenehmigung für den Betrieb des Mergelsteinbruches bis zum in einem im Bescheid und den Planunterlagen umschriebenen Gebiet und die nach dem Landschaftsschutzgesetz, LGBl. für Vbg. 33/1973, erforderliche Bewilligung. Beide Genehmigungen wurden unter Auflagen erteilt.
2. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. vom , Z VIb-938/3-1977, wurde die von der Gemeinde K. erhobene Berufung, soweit sie sich gegen die gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung richtete und sich auf die befürchtete Beeinträchtigung von Einrichtungen der Gemeindewasserversorgungsanlage dieser Gemeinde durch den Betrieb des Mergelsteinbruches bezog, gemäß § 66 Abs 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen, im übrigen mangels Parteistellung der Gemeinde K. als unzulässig zurückgewiesen; soweit mit der Berufung die nach dem Landschaftsschutzgesetz erteilte Bewilligung bekämpft wurde, wurde die Angelegenheit an die nach dem Landschaftsschutzgesetz zuständige Behörde zur Entscheidung abgetreten.
3. Mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom , Z 302.559/1-III-3/77, wurde der von der Gemeinde K. gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vbg. erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs 4 AVG 1950 keine Folge gegeben.
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde der Gemeinde K., in der die Beschwerdeführerin behauptet, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, "ferner in den durch die Bundesverfassungsgesetznovelle BGBl. Nr. 205/1962 den Gemeinden gewährleisteten Rechten, wobei insbesondere auch auf die Kompetenztatbestände des Art 10 und des Art 15 B-VG Bezug genommen wird" und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein, und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Für den Fall der Abweisung wird die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird behauptet, soweit mit dem angefochtenen Bescheid die Zurückweisung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung mangels Parteistellung der Beschwerdeführerin bestätigt wird. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, daß sie vom Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie zur "Fremdenverkehrsgemeinde" bzw. zum "Erholungsdorf" erklärt worden sei und ihr schon aus diesem Grunde Parteistellung in Rechtssachen zukommen müsse, die für den Fremdenverkehr von entscheidender Bedeutung seien. Die Gewerbebehörde habe selbst bejaht, daß durch den Mergelsteinbruch der Erholungswert eines Aufenthaltes in der Gemeinde beeinträchtigt werde. Es könne nicht genügen, daß der Gemeinde ein Anhörungsrecht zukomme, welches keinen Wert und Sinn habe, wenn über die geäußerte Meinung hinweggegangen werden dürfe, ohne daß für diesen Fall die Gemeinde als Gebietskörperschaft das Recht habe, Parteistellung auszuüben. Wenn die belangte Behörde der Auffassung sei, daß nur Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage Parteistellung zukäme, so sei darauf zu verweisen, daß die Gemeinde die Interessen ihrer Bürger wahrzunehmen habe, wozu der Schutz vor Gefährdung von Leben und Gesundheit, also, um ein modernes Wort zu gebrauchen, der Lebensqualität, gehörten. Da die Beschwerdeführerin über das bloße Angehörtwerden hinaus, das keine Rechtswirkungen erzeugt habe, keine Möglichkeit gehabt habe, die Interessen der Öffentlichkeit wahrzunehmen, sei sie im Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).
Daß die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides gemäß § 359a GewO 1973 idF der Gewerberechtsnovelle 1976, BGBl. 253, zuständig war, wird von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt.
Die Beschwerdeführerin behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nur insoweit, als mit dem angefochtenen Bescheid bestätigt wurde, daß ihre gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung vom Landeshauptmann mangels Parteistellung zu Recht zurückgewiesen wurde. Würde dem im Effekt eine rechtswidrige Verweigerung der Parteistellung zugrunde liegen, so wäre die Beschwerdeführerin tatsächlich im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden ().
Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Beschwerdeführerin ist entgegenzuhalten, daß die GewO 1973 der Gemeinde als Gebietskörperschaft im Betriebsanlagenrecht grundsätzlich keine Parteistellung einräumt. Gemäß § 355 leg. cit. ist die Gemeinde lediglich zum Schutze der öffentlichen Interessen iS des § 74 Abs 2 Z 2 bis 5 GewO 1973 im Rahmen ihres Wirkungsbereiches zu hören. Aus dieser Bestimmung kann keineswegs abgeleitet werden, daß der Gemeinde Parteistellung zusteht, die Bestimmung schließt eine solche Annahme sogar aus. Parteistellung hat die Gemeinde vielmehr nur dann, wenn sie auch als Nachbar iS des § 75 Abs 2 GewO 1973 berührt wird, dies unter den in § 356 Abs 3 umschriebenen Voraussetzungen. Aus der GewO 1973 ergibt sich auch sonst nichts, wonach einer Gemeinde im Zusammenhang mit der Genehmigung einer Betriebsanlage anders denn als Nachbar iS der vorzitierten Bestimmung Rechte gemäß § 8 AVG 1950 zustünden. Das unverständliche Vorbringen, daß die Beschwerdeführerin "in den durch die Bundesverfassungsnovelle BGBl. Nr. 205/1962 den Gemeinden gewährleisteten verfassungsgesetzlichen Rechten, wobei insbesondere auch auf die Kompetenztatbestände des Art 10 oder des Art 15 B-VG Bezug genommen wird" verletzt worden sei, kann auf sich beruhen; Art 119a Abs 9 B-VG, auf den die Beschwerdeführerin sich möglicherweise bezieht, garantiert der Gemeinde Parteistellung nur im aufsichtsbehördlichen Verfahren, nicht aber allgemein. Sollte die Beschwerdeführerin jedoch der Ansicht sein, die Einräumung von Parteirechten sei in Fällen, in denen die Gewerbeordnung ein Anhörungsrecht einräume, schon von Verfassung wegen geboten, ist sie auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zu verweisen, wonach - abgesehen von Einzelfällen wie Art 119a Abs 9 B-VG, welcher hier nicht Anwendung findet - keine Verfassungsnorm besteht, die Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert (vgl. VfSlg. 8279/1978 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Da der Beschwerdeführerin im Administrativverfahren Parteistellung eingeräumt war, soweit sie sich im Hinblick auf die Gemeindewasserversorgungsanlage auf ihre Nachbarstellung berufen konnte, und ihr im übrigen Parteistellung nicht zukam, hat die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht stattgefunden.
3. Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Die Bewilligung der gewerblichen Betriebsanlage beeinträchtige den Fremdenverkehr, wodurch der beschwerdeführenden Gemeinde Fremdenverkehrsabgaben und sonstige Einnahmen entgingen. Auch ihre Liegenschaften würden entwertet und damit unverkäuflich. Zu erwartende Rutschungen des Geländes müßten zwangsläufig auch das Gemeindegut betreffen.
4. Durch den angefochtenen Bescheid wurde über die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der Errichtung einer gewerblichen Betriebsanlage abgesprochen. Durch einen eine solche Angelegenheit betreffenden Bescheid der Gewerbebehörde kann, auch insoweit, als der Beschwerdeführerin im Verfahren Parteistellung zukam und ihre Rechtssphäre somit berührt wurde, das durch Art 5 StGG geschützte Eigentumsrecht keinesfalls verletzt werden (VfSlg. 5416/1966, 6451/1971). Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, daß sich die Genehmigung der Betriebsanlage für den Fremdenverkehr abträglich auswirke und ihr dadurch Fremdenverkehrsabgaben entgingen, genügt es, darauf zu verweisen, daß es sich hiebei nicht um Privatrechte handelt, die unter dem Schutz des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums fallen. Aber auch insoweit, als Privatrechte der Gemeinde berührt worden sein sollten und ihr im Verfahren Parteirechte zukamen, standen ihr nur Anrainerrechte zu, die nach ständiger Rechtsprechung den Schutz des Art 5 StGG nicht genießen (vgl. VfSlg. 7030/1973 und zuletzt VfSlg. 9026/1981). Da für die Beschwerdeführerin selbst in bezug auf die Wasserversorgungsanlage nur Anrainerrechte in Frage kamen und ihr in bezug auf andere Angelegenheiten nur ein Anhörungsrecht zustand, ist sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums offenkundig nicht verletzt worden.
5. Soweit die Berufung von der belangten Behörde als dritter und letzter Instanz mit der Begründung abgewiesen wurde, daß von der zweiten Instanz die Zurückweisung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung zu Recht ergangen sei, ist es angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Entscheidung insoweit tragenden Rechtsvorschriften ausgeschlossen, daß sie in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre (vgl. VfSlg. 8741/1980).
Soweit eine Sachentscheidung von der belangten Behörde bestätigt wurde, hat die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.