OGH vom 13.10.1999, 9ObA228/99s

OGH vom 13.10.1999, 9ObA228/99s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Günther W*****, Kranfahrer, ***** vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei H***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 30.721,06 sA (Revisionsinteresse S 30.445,98 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 42/99h-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 28 Cga 104/98p-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich des unangefochten gebliebenen, klageabweisenden Teils insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger S 20.148,42 brutto samt 8 % Zinsen aus S 13.168,80 brutto seit und aus S 6.979,63 brutto seit binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger weitere S 10.572,64 brutto samt 8 % Zinsen seit zu zahlen, wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die Kosten des Verfahrens erster Instanz von S 5.505,51 (darin S 745,33 Umsatzsteuer und S 1.033,50 Barauslagen), des Berufungsverfahrens von S 1.775,08 (darin S 295,84 Umsatzsteuer) und des Revisionsverfahrens von S 3.369,16 (darin S 202,94 Umsatzsteuer und S 2.151,50 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit bei der beklagten Partei beschäftigt. Der Familienwohnsitz des Klägers befindet sich in 7232 Kobersdorf. Sein Sohn mietete in 1140 Wien, ***** eine Wohnung. Er und der Kläger wohnten in dieser Wohnung und trugen die Kosten gemeinsam, wobei der Kläger auch an dieser Adresse gemeldet war, sein Hauptwohnsitz jedoch Kobersdorf blieb. Mit Juni 1998 kündigte der Sohn des Klägers diese Wohnung in Wien, wobei auch der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr dort wohnte. Der Kläger legte etwa jährlich auf Verlangen des Lohnbüros eine Wohnsitzbestätigung über seinen Familienwohnsitz in Kobersdorf der beklagten Partei vor.

Bis Dezember 1997 erhielt er Trennungsgeld und Nächtigungsgeld ausgezahlt. Mit Schreiben vom September 1998 teilte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter dem Kläger mit, daß sein Antrag auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit derzeit nicht endgültig erledigt werden könne. Ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches gegen jederzeitigen Widerruf und gegen nachträgliche Verrechnung werde ihm eine vorläufige Leistung ab gewährt. Dieses Schreiben wies der Kläger der beklagten Partei vor. Bis bezog der Kläger Krankengeld, seit eine vorläufige Leistung der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter.

Außer Streit steht, daß sich der Kläger seit sich im Krankenstand befand; ferner die Summe des Nächtigungsgeldes für die Zeit vom 1. 1. bis in Höhe von S 20.148,42 (brutto) und daß die gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht am endete.

Der Kläger begehrt nach mehrfachen Ausdehnungen Nächtigungsgeld für die Zeit vom 1. 1. bis in der Höhe von S 30.721,06 brutto sA. aufgrund des § 9 Punkt III des Kollektivvertrages der Bauindustrie und Baugewerbe. Der Anspruch bestehe ungeachtet des Krankenstandes, solange das Dienstverhältnis aufrecht bestehe, wenn der Familienwohnsitz des Dienstnehmers soweit entfernt sei, daß ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden könne und ihm vom Dienstgeber kein Quartier zur Verfügung gestellt werde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil für die Zeit des Krankenstandes und des Wegfalls der Entgeltfortzahlungspflicht kein Anspruch auf Nächtigungsgeld bestehe. Der Kläger habe infolge des durchgehenden Krankenstandes keine Arbeitsstelle gehabt und seinen Krankenstand zu Hause verbracht. Das Nächtigungsgeld sei eine Aufwandsentschädigung für die tatsächlichen Kosten der Nächtigung. Nach Wegfall der Entgeltfortzahlungspflicht mit sei das Nächtigungsgeld irrtümlich von einer Angestellten ausgezahlt worden. Diese Überzahlung betreffend den Zeitraum 14. 11. bis wandte die beklagte Partei hinsichtlich des von dem Kläger ab neuerlich entstandenen Anspruches auf Entgeltfortzahlung für weitere sechs Wochen aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 30.445,98 brutto sA statt und wies ein Mehrbegehren von S 275,08 brutto sA ab.

Gemäß § 9 III Z 1 des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe hätten alle Arbeitnehmer, deren ständiger Wohnort (Familienwohnsitz) von der Arbeitsstelle soweit entfernt ist, daß ihnen eine tägliche Rückkehr zu ihrem Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann, Anspruch auf freie Unterkunft bzw auf Übernachtungsgeld. Dieses betrage 97,5 % des Stundenlohnes der Beschäftigungsgruppe III b je Kalendertag. Da der ständige Wohnsitz (Familienwohnsitz) des Klägers sich in Kobersdorf, seine Arbeitsstelle jedoch in Wien befinde, sei ihm eine tägliche Rückkehr zu seinem Wohnort nicht zumutbar, sodaß Anspruch auf Übernachtungsgeld für den Zeitraum 1. 1. bis bestehe, zumal von der beklagten Partei keine freie Unterkunft zur Verfügung gestellt worden sei. Hingegen sei es ohne Bedeutung, ob der Arbeitnehmer tatsächlich täglich zu seinem Wohnort zurückkehrt oder nicht. Unabhängig vom Aufwand berechne sich die Höhe des Übernachtungsgelds nach einem fixen Prozentsatz. Bei Erkrankung entfalle im Gegensatz zu dem in § 9 II geregelten Trennungsgeld der Anspruch auf Übernachtungsgeld nicht, auch wenn der Arbeitnehmer in ein Krankenhaus aufgenommen werde oder an seinem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) zurückgekehrt sei. Eine analoge Anwendung dieser auf das Trennungsgeld zugeschnittenen Bestimmung auf das Übernachtungsgeld scheide mangels Vorliegens einer Normlücke aus, weil keine planwidrige Unvollständigkeit, sondern eine gewollte Differenzierung bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es sprach aus, daß die Revision zulässig sei.

Sämtliche Sondererstattungen wie beispielsweise Trennungsgeld oder Nächtigungsgeld seien in engem Zusammenhang mit der zu erbringenden Arbeitsleistung zu sehen, weil ihre Zielrichtung nicht in einer stillschweigenden Lohnerhöhung, sondern grundsätzlich in einer Abdeckung der Aufwendungen zur Erleichterung des Arbeitseinsatzes gelegen sei. Das Nächtigungsgeld sei ungeachtet des Wegfalls der Entgeltfortzahlungspflicht mit bis Ende Dezember 1997 ausgezahlt worden. Ein weiterer Anspruch auf Nächtigungsgeld bis , bis zu dem der Kläger Krankengeld bezogen habe, erscheine nicht gerechtfertigt. Das Übernachtungsgeld solle es dem Dienstnehmer ermöglichen, in den Fällen, in denen ihm eine tägliche Rückkehr zum Wohnort nicht zugemutet werden könne, ohne zusätzliche finanzielle Belastungen zu übernachten. Dieser Ersatzanspruch könne aber nicht in Fällen aufrechterhalten werden, in denen der Dienstnehmer sich seit mehreren Monaten im Krankenstand befinde, auch keine Entgeltzahlung mehr erhalte und für ihn keine Notwendigkeit mehr bestehe, im Nahbereich seiner Arbeitsstelle zu übernachten. Selbst einem allfälligen neuerlichen Entgeltanspruch im Jahr 1998 für weitere sechs Wochen stehe die Kompensandoforderung der Beklagten betreffend die Überzahlung an Nächtigungsgeld für den Zeitraum vom 14. 11. bis entgegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Bestimmungen des Kollektivvertrages über das Übernachtungsgeld verfolgen den Zweck, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, gerade wegen der Unzumutbarkeit der täglichen Heimfahrt zum ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) am Arbeitsort, ohne daß ihm weitere Kosten entstehen, zu übernachten (Löffler, Freie Unterkunft und Übernachtungsgeld als Wahlschuld in Anm zu DRdA 1990/6). Zusätzliche Kosten werden dadurch vermieden, daß entweder der Arbeitgeber eine freie Unterkunft zur Verfügung stellt oder das Übernachtungsgeld zahlt. In ähnlicher Weise dient auch das Trennungsgeld dazu, die mit der getrennten Haushaltsführung verbundenen Mehrkosten abzugelten (Arb 10.494). Beide Sondererstattungen haben den Zweck, einen mit der getrennten Haushaltsführung und den Nächtigungskosten verbundenen Mehraufwand abzudecken. Es handelt sich dabei um Aufwandsentschädigungen, die nicht zum Entgelt zählen (9 ObA 191/90 mwN). Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits entschieden, daß der Anspruch auf Übernachtungsgeld in allen Fällen bestehen bleibt, in denen Anspruch auf Trennungsgeld besteht (Arb 5896). Der Anspruch des Klägers auf Fortzahlung des Übernachtungsgelds auch im Krankheitsfall kann mangels Entgeltcharakters nicht auf das Entgeltfortzahlungsgesetz gestützt oder von dem im Kollektivvertrag in § 7 genannten Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abhängig gemacht werden. Der Anspruch auf Weiterzahlung ist mangels einer Vereinbarung im Arbeitsvertrag der Regelung durch den Kollektivvertrag vorbehalten (9 ObA 191/90).

Die Auslegung von Kollektivvertragsbestimmun- gen hat nach dem objektiven Inhalt, wie der Wille des Normengebers aus dem Text entnommen werden kann, zu geschehen (SZ 66/36). Dabei ist den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (SZ 68/124). Unter diesem Aspekt besteht aber der mit dem aufrechten Arbeitsverhältnis und dem Umstand, daß der ständige Wohnort (Familienwohnsitz) von der Arbeitsstelle soweit entfernt bleibt, daß eine tägliche Rückkehr zum Wohnort nicht zugemutet werden kann, verbundene Mehraufwand der getrennten Wohnungnahme auch während des Krankenstandes ungeachtet eines Entgeltanspruches weiter aufrecht. Anspruchsgrundlage ist grundsätzlich nur der ständige Wohnort (Familienwohnsitz) des Arbeitnehmers (Arb 10.494).

Solange das Arbeitsverhältnis und der Familienwohnsitz aufrecht bestehen, ist nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages, soferne der Arbeitgeber nicht von seinem Wahlrecht der Zurverfügungstellung einer freien Unterkunft Gebrauch gemacht hat, der Anspruch auf Übernachtungsgeld grundsätzlich gegeben, zumal der Kollektivvertrag für diese Sondererstattung nicht einmal Entfallsbestimmungen wie beim Trennungsgeld normiert hat. Die aus dem Zweck des Übernachtungsgeldes resultierende Voraussetzung für den Anspruch ist das Vorhandensein von Mehrkosten, die durch das Übernachtungsgeld abgegolten werden sollen und die dem Arbeitnehmer dadurch entstehen, daß er durch die Krankheit grundsätzlich nicht der Notwendigkeit enthoben ist, am Arbeitsort eine Unterkunftsmöglichkeit aufrecht und bereit zu halten (Arb 5896, 10.494).

Können aber keine Mehrkosten mehr entstehen, weil der Arbeitnehmer keine Wohnmöglichkeit am Arbeitsort oder in dessen Nähe bereit hält, dann besteht auch kein Anspruch auf das zweckbestimmte Übernachtungsgeld. Beim Trennungsgeld ist ein Entfall vorgesehen, wenn der Arbeitnehmer bei Erkrankung in ein Krankenhaus aufgenommen wurde oder an seinen ständigen Wohnort zurückgekehrt ist oder für die Dauer des Gebührenurlaubs bzw wenn der ständige Haushalt nach dem Arbeitsort oder in dessen Nähe verlegt und das Zusammenleben wieder aufgenommen wird. Sonst besteht auch bei Erkrankung der Anspruch weiterhin.

Daraus ist abzuleiten, daß in den genannten Fällen die durch die Sondererstattung abzugeltenden Mehrkosten nicht mehr bestehen, weil einerseits eine Versorgung im Krankenhaus ohne Mehrkosten sichergestellt ist und in den anderen Fällen durch das Familienzusammenleben keine Mehrkosten entstehen. Der Zweck, Mehrkosten abzugelten, ist auch dem Übernachtungsgeld immanent, wenn dem Arbeitnehmer Kosten für eine Übernachtungsmöglichkeit aufgezwungen werden. Soweit Nächtigungskosten aber schon aus objektiven Gründen nicht entstehen können, steht auch kein Anspruch auf Übernachtungsgeld zu. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer keine Nächtigungsmöglichkeit am Arbeitsort oder in dessen Nähe mehr bereithält, weil diese aus welchen Gründen auch immer aufgegeben wurde und er auch nicht nachweist, daß er dennoch am Arbeitsort Mehrkosten durch Nächtigungsausgaben hat.

Daraus ergibt sich, daß der Kläger bis zum (mit Juni 1998 wurde die Wohnung in Wien aufgekündigt) den mit S 20.148,42 brutto außer Streit gestellten Übernachtungsgeldanspruch besitzt. Da die dem Kläger aufgrund des Kollektivvertrags zustehende Zahlung von Übernachtungsgeld vom 14. 11. bis nicht ungerechtfertigt erfolgte, braucht auf die unbezifferte "Kompensandoforderung" der beklagten Partei nicht eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.