OGH vom 25.04.2017, 10ObS41/17b

OGH vom 25.04.2017, 10ObS41/17b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Hannes Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Edmund Pointinger, Rechtsanwalt in Bad Hall, gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 1/17x-31, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 183 Abs 1 ASVG hat der Träger der Unfallversicherung bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1 ASVG) oder die Schwerstversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4 ASVG).

1.1. Mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse steht die Rechtskraft der Vorentscheidung (Bescheid, Urteil, Vergleich) einer Neubemessung im Weg (10 ObS 145/12i, SSVNF 26/75 mwN). Eine frühere unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nicht über § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden (RISJustiz RS0084151 [T2]; RS0084142). Dies gilt auch im Fall einer zu niedrigen Einschätzung (RISJustiz RS0084142 [T1]). Nur bei einer Besserung oder Verschlechterung des Zustands könnte eine Fehleinschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Bedeutung sein (RISJustiz RS0084151 [T1]).

1.2. Das (neuerlich erhobene und abgewiesene) Begehren des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente wegen eines Arbeitsunfalls (1970) und Zahlung einer Gesamtrente gemeinsam mit einer festgestellten Berufskrankheit wurde in Arbeits und Sozialrechtsverfahren bereits zweimal rechtskräftig abgewiesen. Den Urteilen im ersten Verfahren lag die Negativfeststellung zugrunde, dass eine unfallkausale Schädigung des Ischiasnervs nicht festgestellt werden konnte, weshalb die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit mit nur 15 vH (davon 5 vH für die Berufskrankheit Schwerhörigkeit) angenommen wurde. Eine schmerzhafte Irritation des Ischiasnervs wurde im zweiten Verfahren zwar als unfallkausal mit der Konsequenz einer Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH festgestellt. Das Begehren wurde jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass diese Schädigung bereits im selben Ausmaß bei der Untersuchung im ersten Verfahren vorhanden gewesen sei und sich die Tatsachen daher nicht geändert hätten. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen im nunmehrigen Verfahren blieb der Zustand des Klägers unverändert. Das Ausmaß der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit beträgt nach wie vor 20 vH.

1.3. Der Kläger behauptet im Rechtsmittelverfahren keine Verschlechterung seines Gesundheitszustands, will aber § 183 Abs 1 ASVG nur auf Fälle der Neufeststellung einer bereits gewährten Rente, nicht hingegen auf deren erstmalige Festsetzung angewendet wissen. Die für diesen Standpunkt in der außerordentlichen Revision zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung (10 ObS 85/11i, SSVNF 25/82; RIS-Justiz RS0127238) betrifft allerdings die erstmalige Festsetzung einer Gesamtrente aus mehreren Unfallereignissen nach § 210 Abs 1 ASVG, während hier nur ein im Jahr 1970 geschehener Arbeitsunfall gemeinsam mit einer in ihren Auswirkungen ebenfalls unverändert gebliebenen Berufskrankheit zu beurteilen ist. In seiner Argumentation zur angeblich fehlenden Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung(en) verkennt der Kläger, dass sich die materielle Rechtskraft eines Urteils über eine Versehrtenrente nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Sozialrechtssachen auf die Sachlage bezieht, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung objektiv vorliegt, und nicht auf jene, welche – auf einer allfälligen Fehleinschätzung der ärztlichen Sachverständigen beruhend – subjektiv angenommen wurde (10 ObS 145/12i, SSVNF 26/75; 10 ObS 163/09g, SSVNF 23/78). Objektiv betrachtet ist– losgelöst von den (Negativ-)Feststellungen im ersten Vorprozess – der Gesundheitszustand des Klägers unverändert. Eine Verschlechterung ist (unstrittig) nach wie vor nicht eingetreten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits judiziert hat (10 ObS 145/12i), steht die materielle Rechtskraft eines Urteils, mit dem das Begehren auf Versehrtenrente abgewiesen wurde, einem erstmaligen Zuspruch entgegen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zu einer rechtskräftigen Vorentscheidung nicht geändert haben.

2. Der Revisionswerber sieht sich durch dieses Ergebnis mittelbar diskriminiert und regt die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens an. Die Korrektur einer falschen ärztlichen Einschätzung sei in einem solchen Fall der Rechtskraftwirkung ausgeschlossen, während Personen mit von vornherein richtiger Diagnose eine Gesamtrente erhalten hätten.

2.1. Der Kläger zählt sich jedoch nicht zu einer Gruppe, deren (auch mittelbare) Diskriminierung das Unionsrecht nach bestimmten Zugehörigkeitskriterien (beispielsweise Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Alter etc) verbietet. Der erkennende Senat sieht sich nicht dazu veranlasst, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00041.17B.0425.000
Schlagworte:
Sozialrecht

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