OGH vom 10.05.2016, 10ObS41/16a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dkffr. S*****, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 80/14x 11, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet die Frage, ob der Anspruch der beklagten Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter auf Rückforderung des von der Klägerin im Zeitraum von bis bezogenen Kinderbetreuungsgeldes verjährt ist.
Die Klägerin bezog nach der Geburt ihrer Tochter zunächst ab Kinderbetreuungsgeld. Als sich abzeichnete, dass sie im Oktober 2005 wieder zu arbeiten beginnen würde, richtete sie am ein Schreiben an die beklagte Partei, in dem sie wegen der bevorstehenden Arbeitsaufnahme um Beendigung der Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes mit ersuchte. In der Folge gab es Kontakte zwischen der Klägerin und der beklagten Partei wegen der Verwendung eines Formulars. Jedenfalls erhielt die Klägerin das Kinderbetreuungsgeld über den hinaus bis weiter ausgezahlt. Da sich damals der Ehemann der Klägerin um ihre finanziellen Belange kümmerte, fiel ihr nicht auf, dass sie im genannten Zeitraum Kinderbetreuungsgeld von insgesamt 6.233,37 EUR bezog.
Mit Bescheid vom widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von bis und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von 4.896,91 EUR. Das Rückforderungsbegehren stützte die beklagte Partei auf die Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Jahr 2006. In Abänderung der Abweisung der am eingebrachten Klage durch das Arbeits- und Sozialgericht Wien zu AZ 15 Cgs 122/12h stellte das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom zu AZ 8 Rs 71/13i fest, dass die Klägerin nicht zum Rückersatz des im Zeitraum von bis bezogenen Kinderbetreuungsgeldes verpflichtet sei. Der allein geltend gemachte Rückforderungstatbestand der Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei aufgrund des rechtswirksamen Verzichts der Klägerin auf die Leistung nicht erfüllt.
Gestützt auf den mit Schreiben vom erklärten Verzicht verpflichtete die beklagte Partei die Klägerin daraufhin mit Bescheid vom zur Rückzahlung des im Zeitraum von bis bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 6.233,37 EUR. Bei gehöriger Sorgfalt hätte die Klägerin erkennen können, dass die über den hinaus ausgezahlte Leistung nicht gebühre.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Da die Klägerin auf das Kinderbetreuungsgeld verzichtet habe, hätte sie als Zahlungsempfängerin erkennen müssen, dass die ihr dennoch gewährten Leistungen nicht gebühren. Der Rückforderungstatbestand sei nach dem hier noch anzuwendenden § 31 Abs 7 KBGG in der bis geltenden Stammfassung nicht verfristet. Demnach sei die Rückforderung einer bereits bezahlten Leistung nur für einen Zeitraum von fünf Jahren, zurückgerechnet ab Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts durch den Krankenversicherungsträger, zulässig. Ausgehend davon, dass die beklagte Partei bereits im Zeitpunkt des Erhalts des Verzichtsschreibens, somit im Juli 2005, Kenntnis davon gehabt habe, dass die Leistung nicht gebühre, sei die Rückforderung nicht verjährt, weil die Leistung erst nach dieser Kenntnis gewährt worden sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Klägerin nicht zum Ersatz des im Zeitraum von bis gewährten Kinderbetreuungsgeldes von 6.233,37 EUR verpflichtet sei.
Nach § 31 Abs 7 KBGG in der vor geltenden Fassung sei eine Rückforderung einer erbrachten Leistung nur für einen Zeitraum von fünf Jahren zurückgerechnet ab Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts durch den Krankenversicherungsträger zulässig; weiter zurückliegende Zeiträume seien unangreifbar. Unter Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts könne nur die Kenntnis von einem die Rückforderung rechtfertigenden Sachverhalt verstanden werden. Eine solche Kenntnis sei noch nicht im Einlangen des Verzichtsschreibens zu sehen, weil damals noch kein Rückforderungsrecht bestanden habe. Allerdings habe die beklagte Partei durch den Erhalt der ersten, am beim Arbeits und Sozialgericht Wien eingelangten Klage Kenntnis von der seinerzeitigen Verzichtserklärung der Klägerin erhalten. Rechne man von diesem Zeitpunkt (Juli 2012) fünf Jahre zurück (= Juli 2007), ergebe sich, dass die Rückforderung des im Zeitraum von bis gewährten Kinderbetreuungsgeldes bereits verjährt sei.
Der Umstand, dass das Oberlandesgericht Wien im seinerzeitigen Urteil vom zu AZ 8 Rs 71/13i in einem obiter dictum festgehalten habe, dass der im Zusammenhang mit dem Verzicht stehende Rückforderungsanspruch nicht verjährt sei, spiele keine Rolle für das nunmehrige Verfahren.
In ihrer außerordentlichen Revision weist die beklagte Partei auf die divergierenden Rechtsansichten zweier Senate des Oberlandesgerichts Wien hin. Die nunmehrige Entscheidung des Berufungsgerichts sei hinsichtlich der Annahme zum Beginn der Verjährungsfrist unrichtig: als Zeitpunkt der Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts durch die beklagte Partei sei der Zugang des Verzichtsschreibens im Juli 2005 anzunehmen. Da die Leistung erst nach Kenntnis des Verzichts gewährt worden sei, sei die Rückforderung nicht verjährt.
Rechtliche Beurteilung
Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 45/10f(SSV NF 24/29) ausführlich mit der gemäß der Übergangsvorschrift des § 49 Abs 14 KBGG idF BGBl I 2007/76 auch im vorliegenden Fall anzuwendenden Stammfassung des § 31 Abs 7 KBGG auseinandergesetzt; diese Bestimmung wurde aus § 39 Abs 8 KGG bzw § 25 Abs 6 AlVG übernommen. Vor dem Hintergrund der Gesetzesgenese gelangte der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass § 31 Abs 7 KBGG aF, schon dem klaren Wortlaut entsprechend, allein dahin verstanden werden könne, dass nur für einen Zeitraum von fünf Jahren zurückgerechnet ab der Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts durch den Krankenversicherungsträger die Rückforderung einer bereits bezahlten Leistung oder die Nachzahlung einer nicht gewährten Leistung (infolge nachträglicher Änderungen) zulässig sein soll, während weiter zurückliegende Zeiträume sowohl für den Versicherten als auch für den Versicherungsträger gleichsam unangreifbar sein sollen.
In der folgenden Entscheidung 10 ObS 29/12f(SSV NF 26/22) wurde die Ansicht bekräftigt und zumindest implizit auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem der Sachbearbeiter des Krankenversicherungsträgers tatsächlich Kenntnis vom Rückforderungstatbestand erlangt hat.
2. § 31 KBGG war und ist mit „Rückforderung“ überschrieben (ebenso § 39 KGG, BGBl I 1997/47). Es liegt daher nahe, auch den Abs 7 der Bestimmung (in der hier anzuwendenden Fassung) im Licht einer Rückforderung zu betrachten. Eine Rückforderung setzt eine vorherige Leistung voraus, die unberechtigt empfangen wurde. In diesem Sinn wird § 25 Abs 6 AlVG so interpretiert, dass es auf die Erkennbarkeit der Rückersatzverpflichtung ankommt ( Krapf/Keul , Arbeitslosenversicherungsgesetz [11. Lfg Jänner 2015] § 25 Rz 550). Eine solche Erkennbarkeit der Rückersatzverpflichtung fehlt aber, solange noch gar keine Leistung zu Unrecht erbracht wurde. Im Übrigen würde die von der beklagten Partei gewünschte Interpretation der Bestimmung dazu führen, dass jede Mitteilung, die sich auf den erst zukünftigen Leistungsanspruch auswirke, die zu erbringende Leistung gegen eine Verjährung der Rückforderung immunisiere, was vom Gesetzgeber im gegebenen Kontext wohl nicht beabsichtigt war. Außer dem Verzichtsschreiben der Klägerin vom hat sich die beklagte Partei nicht auf einen anderen Zeitpunkt der Kenntniserlangung berufen.
3. Da die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in Einklang mit dem deutlich erkennbaren Inhalt der maßgeblichen Bestimmung und der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung steht, ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00041.16A.0510.000