VfGH vom 21.10.1980, B653/78
Sammlungsnummer
8928
Leitsatz
Gesetz zum Schutze des Hausrechtes, keine Hausdurchsuchung; kein Verstoß gegen Art 8 MRK
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. In der Beschwerde wird ausgeführt, daß der Beschwerdeführer am gegen 19.45 Uhr in K. in Tirol mit seinem PKW gegen einen parkenden PKW gestoßen sei. Der Beschwerdeführer sei verletzt worden und an beiden Fahrzeugen schwerer Sachschaden entstanden. Der Beschwerdeführer habe sich "bald nach dem Unfall in häusliche Pflege" begeben.
Gegen 21 Uhr habe ein Gendarmeriebeamter Einlaß in die Wohnung des Beschwerdeführers verlangt. Der Beschwerdeführer durch den Unfall und seine eigenen Verletzungen geschockt - habe nicht geöffnet. Daraufhin habe der Gendarmeriebeamte das Fenster des Badezimmers der ebenerdig gelegenen Wohnung eingeschlagen, sei durch das Fenster in die Wohnung gestiegen und habe am Beschwerdeführer "einen Personsaugenschein" vorgenommen.
In der Folge sei gegen den Beschwerdeführer ein Verwaltungsstrafverfahren wegen § 5 Abs 2 StVO eingeleitet worden.
Der wirkliche Grund, weshalb das einschreitende Organ sich gewaltsam Eintritt in die Wohnung des Beschwerdeführers verschafft habe, sei in dem Bemühen gelegen, durch persönliche Kontaktaufnahme festzustellen, ob der Beschwerdeführer in alkoholisiertem Zustand ein Fahrzeug in Betrieb genommen habe.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Vorgangsweise des Sicherheitsorganes, das das Fenster des Badezimmers der Wohnung des Beschwerdeführers eingeschlagen habe und gewaltsam in die Wohnung gelangt sei, "um am Beschwerdeführer eine Personsdurchsuchung durchzuführen" in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht "auf Schutz des Hausrechtes" verletzt.
2. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck hat als belangte Behörde diesen Sachverhalt in ihrer Gegenschrift im wesentlichen bestätigt, die Abweisung der Beschwerde beantragt und ausgeführt, beim Eintreffen des Gendarmeriebeamten vor dem Haus des Beschwerdeführers habe sich der Vater des Beschwerdeführers bereits dort befunden und habe dem Beamten mitgeteilt, daß ihm sein Sohn trotz mehrmaligen Läutens und Klopfens nicht geöffnet habe. Der einschreitende Gendarmeriebeamte habe sodann an der Balkontüre und am südseitigen Fenster der Wohnung des Beschwerdeführers Blutspuren entdeckt und habe durch Läuten an der Türglocke, Klopfen und Rufen den Beschwerdeführer zum Aufmachen der Wohnungstüre zu bewegen versucht. Da der Beschwerdeführer bei dem Unfall verletzt worden war und der Gendarmeriebeamte annehmen mußte, daß der Beschwerdeführer Hilfe benötige, habe der Beamte das Fenster des Badezimmers eingeschlagen und sei in die Wohnung eingestiegen. Der Beamte habe den Beschwerdeführer im Wohnzimmer angetroffen; der Beschwerdeführer habe mehrere Schnittwunden am Kopf, an den Händen und am linken Knie gehabt, habe aber jede ärztliche Hilfe abgelehnt. Da der Beschwerdeführer stark nach Alkohol gerochen habe, stark gerötete Augen aufgewiesen und etwas lallend gesprochen habe, sei er von dem Gendarmeriebeamten zur Vornahme des Alkotests aufgefordert worden, habe dies aber ohne Angabe von Gründen abgelehnt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VfGH hat auf Grund dieses weitgehend übereinstimmenden Parteienvorbringens und der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der belangten Behörde in der Gegenschrift von der Aufnahme von Beweisen Abstand genommen und - soweit dies für die Beurteilung des vorliegenden Falles von Belang ist - folgenden Sachverhalt als erwiesen angenommen:
Am gegen 21 Uhr versuchte ein Gendarmeriebeamter in die Wohnung des Beschwerdeführers in K. in Tirol zu gelangen, weil der Gendarmeriebeamte annahm, daß sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung befand und daß der Beschwerdeführer bei einem kurz vorher stattgefundenen Verkehrsunfall Verletzungen davongetragen hatte. Als der Beschwerdeführer dem Gendarmeriebeamten nicht öffnete, schlug der Beamte in der Annahme, der Verletzte bedürfe der Hilfe, das Fenster des Badezimmers ein und stieg durch das Badezimmerfenster in die Wohnung. In der Wohnung fand der Beamte den verletzten Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer lehnte ärztliche Hilfe ab. Der Gendarmeriebeamte forderte den Beschwerdeführer auf, sich einem Alkotest zu unterziehen.
2. Der VfGH beurteilt diesen Sachverhalt rechtlich wie folgt:
Das Verhalten des Gendarmeriebeamten stellt eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Amtshandlung iS des Art 144 Abs 1 B-VG dar.
Der Beschwerdeführer wertet das Einschlagen des Fensters und das Betreten der Wohnung durch den Gendarmeriebeamten als Hausdurchsuchung. Für das Wesen einer solchen ist nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH das Suchen nach einer Person oder einem Gegenstand charakteristisch, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden (vgl. zuletzt ).
Aus dem Ablauf des ganzen Vorfalls ergibt sich jedoch, daß das Einschlagen des Fensters und das Betreten der Wohnung des Beschwerdeführers nicht erfolgt ist, um nach einer Person zu suchen, deren Aufenthalt unbekannt war. Die Maßnahmen wurden vielmehr in der Annahme durchgeführt, daß sich der Beschwerdeführer in der Wohnung befindet und daß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Beschwerdeführers abzuwehren sei.
Da somit das Einschreiten des Gendarmeriebeamten überhaupt nicht als Hausdurchsuchung qualifiziert werden kann, ist der Beschwerdeführer durch das Einschlagen der Fensterscheibe und das Betreten seiner Wohnung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts nicht verletzt worden.
Der VfGH hat darüberhinaus geprüft, ob ein Verstoß gegen Art 8 MRK vorliegt. Ein Eingriff in das durch Art 8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht liegt nach Abs 2 dieser Verfassungsbestimmung dann nicht vor, wenn dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist.
Nach ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929 können die mit der Führung der Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitspolizei betrauten Behörden zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit des Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen. Zu diesen Anordnungen gehören nicht nur generelle, sondern auch individuelle Anordnungen. Es ist durchaus vertretbar, das Verhalten des Gendarmeriebeamten als Ausdruck einer derartigen individuellen Anordnung zu qualifizieren (vgl. VfSlg. 3447/1958).
Der Beschwerdeführer ist somit auch in dem durch Art 8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt worden.
Die in der Wohnung des Beschwerdeführers erfolgte Aufforderung, sich einer Untersuchung der Atemluft zu unterziehen, wurde als solche in der Beschwerde nicht angefochten. Im übrigen hat der VfGH in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß die bloße Aufforderung, sich der in § 5 Abs 2 StVO vorgesehenen Untersuchung der Atemluft zu unterziehen, nicht als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt angesehen werden kann, sofern nicht physischer Zwang ausgeübt oder angedroht wurde (siehe den Beschluß VfSlg. 8231/1977 und die dort angeführte Vorjudikatur).
3. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts wird vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch im Verfahren vor dem VfGH ist eine solche Verletzung nicht hervorgekommen. Ebensowenig ist hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.