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OGH vom 18.03.1993, 10ObS40/93

OGH vom 18.03.1993, 10ObS40/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch (AG) und Dr.Dietmar Strimitzer (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei T***** B*****, vertreten durch Dr.Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried i.I., wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1040 Wien, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 99/92-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 4 Cgs 124/91-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Begründung des Berufungsgerichtes, daß bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG nicht erfüllt sind, ist zutreffend, so daß es genügt, auf diese Ausführungen zu verweisen (§ 48 ASGG).

Den Revisionsausführungen ist entgegenzuhalten:

Linseder-Teschner MGA GSVG 43.ErgLfg zitieren auf S 370/7 die Entscheidung eines Erstgerichtes, in der ausgesprochen wurde, daß die Feststellung des Vorliegens von mindestens 60 Kalendermonaten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß der betreffende Versicherte zwar durch mindestens 60 Kalendermonate eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, er jedoch während dieser selbständigen Erwerbstätigkeit zur Gänze oder auch zum Teil von einem seinerzeitigen Aufnahmegrund wegen ASVG-Pflichtversicherung betroffen gewesen sei, so daß er auf Grund dieser selbständigen Erwerbstätigkeit entweder überhaupt keine oder nur weniger als 60 Monate an Versicherungszeiten nach dem GSVG aufzuweisen habe. Über den dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt sich aus dem Zitat nichts, so daß dazu nicht Stellung genommen werden kann. Die Klägerin versucht nun aus dieser Begründung abzuleiten, daß auch eine von ihr vor Beginn der Versicherungspflicht nach dem GSVG faktisch selbständig ausgeübte Tätigkeit als selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG zu qualifizieren sei. Dem kann nicht beigetreten werden. Bereits das Oberlandesgericht Wien hat es als damals letzte Instanz in Leistungstreitsachen abgelehnt, bei Feststellung der maßgeblichen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG auch auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit Bedacht zu nehmen, die der Versicherte in jenem Beruf ausgeübt hat, den er dann auch als selbständig Erwerbstätiger bekleidete (SSV XXII/76). Gemäß § 3 Abs 2 Handelskammergesetz sind alle physischen und juristischen Personen sowie offene Handelsgesellschaften (Kommanditgesellschaften), die zum selbständigen Betrieb von Unternehmungen des Gewerbes, der Industrie, des Handels, des Geld-, Kredit- und Versicherungswesens, des Verkehrs und des Fremdenverkehrs berechtigt sind, Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft. Die Mitgliedschaft zur Kammer der gewerblichen Wirtschaft wird sohin durch die Erlangung der Gewerbeberechtigung erworben; diese Mitgliedschaft ist gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG wieder die Voraussetzung für das Bestehen der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung. Da Gegenstand der Versicherung nach dem GSVG eine die Pflichtversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit ist, können bei Prüfung der Frage, ob die besonderen Anspruchsvorausetzungen des § 133 Abs 2 GSVG gegeben sind, nur Monate einer die Pflichtversicherung begründenden selbständigen Erwerbstätigkeit, berücksichtigt werden. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er bei Statuierung dieser Voraussetzungen auf Zeiten abstellen wollte, die nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlagen.

Gemäß § 133 Abs 2 GSVG ist ein Versicherter erwerbsunfähig, wenn er, bei Vorliegen der übrigen in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen, infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Hiebei sind, soweit nicht ganze Kalendermonate dieser Erwerbstätigkeit vorliegen, jeweils 30 Kalendertage zu einem Kalendermonat zusammenzufassen. Voraussetzung für einen Anspruch nach dieser Gesetzesstelle ist daher, daß zumindest 60 volle Kalendermonate vorliegen, während derer der Versicherte eine gleiche selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Dies ist bei der Klägerin unstrittig nicht der Fall. Fest steht, daß die Klägerin nur in der Zeit vom bis den Restaurantbetrieb als Pächterin führte und erst seit diesem Zeitpunkt der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterlag. Zuvor war sie als gewerberechtliche Geschäftsführerin des damals von der Gemeinde geführten Restaurants tätig. Mag auch bereits im Jahre 1977 ein Pachtvertrag mit der Gemeinde abgeschlossen worden sein und die Klägerin bereits in der Zeit vor dem intern den Betrieb auf eigene Rechnung geführt haben, ändert dies nichts daran, daß in dieser Zeit keine Kammermitgliedschaft und damit auch keine Pflichtversicherung nach dem GSVG vorlag. Da die Klägerin nicht 60 Monate einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG aufzuweisen hat, sondern nur 59 Monate und 18 Tage der Pflichtversicherung nach diesem Gesetz unterlag, hat das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle zu Recht verneint. Daß der Berufsschutz nach dem GSVG in anderer Weise geregelt ist als nach dem ASVG und die Voraussetzungen hiefür allenfalls strenger sind, erweckt keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Frage stehenden Bestimmung (idS auch SSV-NF 5/55). Bei den Versicherungen nach dem ASVG, dem GSVG und den anderen Sozialversicherungsgesetzen handelt es sich jeweils um geschlossene Systeme, die Regelungen für die in die einzelnen Gesetze einbezogenen Riskengemeinschaften treffen; auch die Finanzierung des Aufwandes ist unterschiedlich. Ein Vergleich der Lage der nach dem ASVG Versicherten mit den nach dem BSVG Versicherten in bezug auf einzelne Rechtsfolgen ist nur unter besonderen Umständen zulässig (, auszugsweise wiedergegeben in SSV-NF 6/154 - im Druck). Solche Umstände treten bei der Statuierung der Voraussetzungen für den Berufsschutz in § 133 Abs 2 GSVG nicht zu Tage. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, diese Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.

Dennoch kommt der Revision im Ergebnis Berechtigung zu. Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) bekämpft die Klägerin die vom Erstgericht in bezug auf ihren Gesundheitszustand und ihre Leistungfähigkeit im Rahmen eines beruflichen Einsatzes getroffenen Feststellungen, im Hinblick auf die Leidensschilderung der Klägerin und die davon abweichenden Ergebnisse der ärztlichen Gutachten, wäre eine Erörterung der Gutachten notwendig gewesen, die allenfalls zu dem Ergebnis geführt hätte, daß die Klägerin nach § 133 Abs 1 GSVG erwerbsunfähig sei, was ungeachtet der Verneinung der Voraussetzungen nach § 133 Abs 2 GSVG zu einer stattgebenden Entscheidung hätte führen müssen.

Wenngleich der Oberste Gerichthof nicht Tatsacheninstanz ist und eine Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen mit Revision im allgemeinen scheitern muß, stand es der Klägerin im vorliegenden Fall offen, die für sie ungünstigen Feststellungen betreffend ihr Leistungskalkül bzw Mängel des zur Gewinnung dieser Feststellungen durchgeführten Verfahrens erst in der Revision zu bekämpfen. Als in erster Instanz siegreiche Partei war sie nämlich nicht gezwungen, im Verfahren über die Berufung der beklagten Partei eine Stellungnahme zu dem von der beklagten Partei angefochtenen Urteil selbst abzugeben, sie war insbesondere nicht verpflichtet, ihrerseits ausdrücklich eine ihr nachteilige Feststellung des Erstgerichtes zu bekämpfen; nach herrschender Lehre (Fasching, Komm IV 71 und ZPR2 Rz 1785) und Rechtsprechung (SZ 26/262, 48/9, 51/137 uva) konnte sie dies in der Revision nachholen, weil sich erst das Berufungsgericht infolge abweichender rechtlicher Beurteilung auf diese ihr nachteilige Feststellung stützte. Daran hat auch die Umbenennung der früheren Berufungsmitteilung in "Berufungsbeantwortung" durch die Zivilverfahrensnovelle 1983 nichts geändert (Fasching aaO Rz 1785). Die Bekämpfung setzt allerdings voraus, daß die Feststellung für die rechtliche Beurteilung relevant ist und das Berufungsgericht nicht ausgesprochen hat, daß es der Beweiswürdigung des Erstgerichtes jedenfalls beitrete (EFSlg 34.505; SZ 54/160 = JBl 1984, 88; JBl 1986, 121). Unter welchem Revisionsgrund die Ausführungen zur Bekämpfung der Feststellungen des Erstgerichtes erstattet werden, spielt keine Rolle (vgl § 84 Abs 2 Satz 2 ZPO; SZ 54/160 mwN). Eine solche Beweisrüge führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (Fasching, Komm IV 71; SZ 51/137, SSV-NF 5/112).

Wohl wurde vom Obersten Gerichtshof seit der ZPO-Nov 1983 dieser Grundsatz für außerordentliche Revisionen differenziert behandelt. So führt etwa die Entscheidung 8 Ob 1651/91 unter Berufung auf mehrfache Vorjudikatur aus, daß die in erster Instanz siegreiche Partei nach neuerer Rechtsprechung verpflichtet sei, ihr nachteilige Feststellungen schon im Berufungsverfahren zu bekämpfen. Begründet wurde dieses Ergebnis damit, daß eine außerordentliche Revision nur deshalb begehrt werden könne, weil das Urteil des Berufungsgerichtes auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes beruhe, der erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme. Darin, daß das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung eine - auch von der in erster Instanz siegreichen Partei - unbekämpft gebliebene Feststellung zugrunde gelegt habe, liege keine unrichtige Lösung einer in diesem Sinne erheblichen Rechtsfrage (JBl 1986, 121 zur Rechtslage vor der WGN 1989). Mit dieser Begründung wurde von der Rechtsprechung die Bekämpfung von Feststellungen in der außerordentlichen Revision für nicht zulässig erachtet. Die Frage, was zu gelten hat, wenn es sich um einen Fall handelt, in dem die Revision vom Berufungsgericht wegen Annahme der Voraussetzungen des § 501 Abs 1 gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO für zulässig erklärt wurde, kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben. Gemäß § 46 Abs 1 Z 4 ASGG ist die Revision ua in Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen auch bei Fehlen der - im wesentlichen dem § 502 Z 1 ZPO entsprechenden - Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig. Das ASGG hat daher für diese Fälle die Vollrevision beibehalten. Dies entspricht dem allgemeinen System der ZPO vor der Novelle 1983. Diesbezüglich ist sohin keine Änderung eingetreten. Die in der früheren Judikatur (SZ 26/262, 48/9, 51/137 ua) ausgesprochenen Grundsätze gelten daher für diese Fälle unverändert. Allein der Umstand, daß durch die ZPONov 1983 der Schriftsatz des Berufungsgegners nunmehr mit Berufungsbeantwortung (gegenüber früher Berufungsmitteilung) bezeichnet wurde, rechtfertigt es nicht, im Abgehen von der früheren Judikatur den in erster Instanz siegreichen Berufungsgegner zu verpflichten, ihm nachteilige Feststellungen bei sonstigem Ausschluß in der Berufsbeantwortung zu bekämpfen.

Da sich das Berufungsgericht mit einer nach den vorstehenden Ausführungen für die Entscheidung wesentlichen Tatsachenfeststellung, die in der Revision zulässigerweise bekämpft worden ist, nicht auseinandergesetzt hat, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.