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OGH vom 24.08.2021, 28Ds5/20d

OGH vom 24.08.2021, 28Ds5/20d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Wippel als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Scheichel in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die

Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom , GZ D 16/1917, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter, des Disziplinarbeschuldigten und seines Verteidigers Mag. Ainedter zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Schuld wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 2./ und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe die zum Kaufvertrag zwischen Robert N***** und Gerlinde J***** vom und zum Werkvertrag zwischen Gerlinde J***** und der S***** KG vom treuhändig entgegengenommenen Kaufpreise bar behoben und an dritte Personen ausgefolgt, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Im Übrigen wird seiner Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

Für die ihm weiterhin (zu 1./) zur Last liegenden Vergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt wird über ***** eine Geldbuße von 2.000 Euro verhängt.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird er auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt iVm § 9 RAO und § 43 RL-BA (1./ und 2./) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er

1./ am (richtig:) einen Kaufvertrag (zwischen Robert N***** und Gerlinde J*****, ES 5) sowie am einen Werkvertrag (zwischen Gerlinde J***** und der S***** KG, ES 6) erstellt und darin festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des BTVG nicht vorliegen, obwohl ihm bekannt war oder jedenfalls bekannt sein musste, dass es sich beim gegenständlichen Rechtsgeschäft um einen Bauträgervertrag gehandelt hat, die Bestimmungen des BTVG zwingender Natur sind und daher durch die erstellten Verträge die Interessen der Vertragspartei (erg: Gerlinde J*****, ES 11) unzureichend berücksichtigt wurden;

2./ die zu beiden Verträgen treuhändig entgegengenommenen Kaufpreise bar behoben und an dritte Personen ausgefolgt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe erhobene Berufung des Disziplinarbeschuldigten.

[4] Zum Schuldspruch 1./:

[5] Die gegen Schuldspruch 1./ erhobene Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) verfehlt ihre gesetzmäßige Ausführung.

[6] So argumentiert das gegen die Annahme der (zwingenden [vgl Gartner BTVG4§ 1 Rz 1 f, 16 und 33 sowie § 5 Rz 17; 6 Ob 173/18m]) Anwendbarkeit des BTVG gerichtete Vorbringen, der Vertrag mit dem Grundeigentümer sei nur auf den Grundanteil und die Herstellung eines Rohbaus auf dem bis dahin unbebauten Grundstück ausgerichtet und nicht mit der Beiziehung einer Baufirma junktimiert gewesen, sodass der Kaufvertrag und die Schaffung des Wohnraums auseinanderfalle, prozessordnungswidrig nicht auf der Grundlage der Gesamtheit des Erkenntnissachverhalts (RIS-Justiz RS0099810), wonach der Kaufvertrag vom auf den Erwerb von Wohnungseigentum an der Doppelhaushälfte Top 2 (und am Abstellplatz Top 2) des betreffenden Grundstücks bzw eines „zu errichtende[n] Gebäude[s]“ gerichtet war, der am mit der S***** KG abgeschlossene Vertrag „den Kaufvertrag [...] ergänzen sollte“, ein beide Verträge umfassender gemeinsamer Fertigstellungstermin vereinbart wurde (ES 5 bis 7; vgl dazu § 1 jeweils aus ./VH 1 und ./VH 2, dort auch § 4) und „die im Zuge der Abwicklung mit Gerlinde J***** eingeschlagene Vorgangsweise [...] vom Disziplinarbeschuldigten auch in den sieben weiteren Fällen des Abverkaufs der Grundstücke des Robert N***** gleichermaßen gehandhabt“ wurde (ES 9 zweiter Absatz).

[7] Darüber hinaus leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), weshalb die vom erkennenden Disziplinarrat aufgrund dieser Feststellungen getroffene Annahme einer wirtschaftlichen Einheit dieser Verträge iSd § 2 Abs 4 BTVG (vgl ES 9) verfehlt sein sollte (RIS-Justiz RS0127269; vgl Gartner BTVG4§ 1 Rz 4 f und 12).

[8] Ebenso unterlässt sie die gebotene Darlegung, weshalb die im Interesse der (gemeint:) Käuferin erfolgte Beiziehung zweier Sachverständiger zur Prüfung des Baufortschritts angesichts der davon unberührten Missachtung der im BTVG normierten Auszahlungsbeschränkungen (vgl etwa § 10 Abs 2 Z 1 bzw Z 2 jeweils lit a und lit g leg cit) für die Gesamtbeurteilung der Vorgehensweise des Disziplinarbeschuldigten als Verletzung der Interessen dieser Vertragspartei relevant und weshalb eine aus der Verletzung der aus § 9 RAO ableitbaren Verpflichtung resultierende disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit „Wissentlichkeit, zumindest aber bedingten Vorsatz“ voraussetzen sollte (vgl RIS-Justiz RS0055847 [T4], RS0055223 [T1], RS0120395).

[9] Soweit die Berufung die rechtlichen Schlussfolgerungen des erkennenden Senats zur Anwendbarkeit der Bestimmungen des BTVG in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 StPO wiederholt als widersprüchlich bzw undeutlich bezeichnet, spricht sie keine der Kategorien dieses Nichtigkeitsgrundes an. Gleiches gilt für den Vorwurf, die gegenteilige Rechtsansicht des Disziplinarbeschuldigten „stillschweigend übergangen“ zu haben (RIS-Justiz RS0099448).

[10] Das zu diesem Schuldspruchfaktum erstattete Vorbringen der Berufung wegen Schuld erweckt keine Bedenken gegen die zu den entscheidenden Tatsachen getroffenen Konstatierungen. Solche sind auch aus dem Akteninhalt nicht abzuleiten, zumal sich der Disziplinarrat bei der Feststellung des wesentlichen Entscheidungssachverhalts auf die hiezu vorgelegten Urkunden stützen konnte (vgl ./VH 1 bis ./VH 8).

[11] Die gegen den Vertreter der Anzeigerin erhobenen, auf bloßen Mutmaßungen und einer eigenständigen Bewertung des dem Rechtsmittel angeschlossenen Schreibens vom beruhenden Vorwürfe entziehen sich sowohl unter dem Gesichtspunkt der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe als auch der Berufung wegen Schuld einer inhaltlichen Erwiderung.

[12] Zum Schuldspruch 2./:

[13] Der erkennende Disziplinarrat erblickt in der baren Behebung und Ausfolgung der von Gerlinde J***** aufgrund der Verträge vom und vom treuhändig übernommenen Beträge eine Verletzung des Transparenzgebots und leitet dies aus § 43 RL-BA mit dem Argument ab, Barbehebungen würden eine einfache Nachvollziehbarkeit der Abwicklung einer Treuhandschaft verhindern.

Wie die zu diesem Faktum erhobene Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) im Ergebnis zutreffend einwendet, erweist sich diese Ansicht insoweit als verfehlt, als ein Rechtsanwalt nach § 43 Abs 4 RL-BA in diesem Zusammenhang lediglich dazu verpflichtet ist, über Fremdgelder Aufzeichnungen zu führen, die es ihm ermöglichen, jederzeit darüber Rechnung zu legen (vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 43 RL-BA 2015 Rz 13). In Ergänzung dessen sehen die allgemeinen Bedingungen für die treuhändige Abwicklung von Immobilientransaktionen (vgl Anhang zu § 43 Abs 5 RL-BA in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10) unter Punkt 4 vor, dass Treuhandgelder grundsätzlich nur dann auszufolgen sind, wenn die ordnungsgemäße Erfüllung des Treuhandauftrags aufgrund der dem Treuhänder vorliegenden Urkunden sichergestellt ist. Ein prinzipielles Verbot, (treuhändig verwahrte) Fremdgelder von einem Anderkonto bar zu beheben bzw den betreffenden Betrag bar auszufolgen, lässt sich daraus nicht ableiten. Ein solches Vorgehen verstößt demnach dann nicht gegen Standesrecht, solange die ordnungsgemäße Erfüllung des Treuhandauftrags tatsächlich garantiert ist (vgl RIS-Justiz RS0055847, RS0055223).

[14] Da dies in Bezug auf die aufgrund des Vertrags vom (sowohl an Robert N***** als auch an Helmut Ni***** [vgl ES 8 drittletzter Absatz]) ausgefolgten Geldbeträge (ES 7) nicht in Frage steht, ist die Rechtsrüge des Disziplinarbeschuldigten insoweit im Recht.

[15] In Bezug auf die übrigen, aufgrund des Vertrags vom erfolgten Auszahlungen der treuhändig verwahrten Geldbeträge ließe sich – ausgehend vom konstatierten Entscheidungssachverhalt und insoweit dem Vorbringen der vorliegenden Berufung zuwider – ein Verstoß gegen die in § 43 Abs 4 RL-BA normierte Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abwicklung der verfahrensgegenständlichen Treuhandschaft allerdings daraus ableiten, dass die vorliegenden Konstatierungen ausdrücklich eine Ausfolgung der verfahrensgegenständlichen Beträge an Helmut Ni***** (bzw in einem Fall an die Rechtsanwälte S***** & H*****) – und demnach an Dritte, also an einen nicht aus diesem Vertrag direkt Berechtigten (der S***** KG) – anführen (ES 7 f), gleichzeitig aber nicht erkennen lassen, dass die genannten Empfänger auch insoweit zur – die Werkbestellerin Gerlinde J***** schuldbefreienden – Entgegennahme dieser Beträge im Namen der Werkunternehmerseite befugt gewesen wären.

[16] Mit seinem wiederholten Hinweis auf eine (auch diesbezüglich) bestehende Bevollmächtigung des Helmut Ni***** zeigt der Berufungswerber im Ergebnis allerdings zutreffend auf, dass sich aus mehreren nicht in der Disziplinarverhandlung vom verlesenen, jedoch im Akt erliegenden Urkunden und Protokollen (nämlich den Beilagen ./L und ./M in ON 15, den Beilagen ./K S 11 f und ./L S 9 des Beilagenverzeichnisses sowie dem mit der Stellungnahme an den Kammeranwalt vom vorgelegten Aktenvermerk vom ) auch in Bezug auf die an Helmut Ni***** (und die Rechtsanwälte S***** & H*****) aus dem Vertrag mit der S***** KG vom ausgefolgten Beträge konkrete Hinweise dafür ergeben, dass auch insoweit entsprechende Vollmachten bzw Berechtigungen bestanden haben.

[17] Gerade aus diesen im Rahmen der Berufungsverhandlung vom Obersten Gerichtshof in Verfahrensergänzung gemäß § 52 erster Satz DSt verlesenen Urkunden ergibt sich aber, dass auch in Bezug auf die übrigen, aufgrund des Vertrags vom erfolgten Auszahlungen der treuhändig verwahrten Geldbeträge die entsprechenden Vollmachten und Berechtigungen vorlagen.

[18] Da der Disziplinarbeschuldigte ohnedies schuldig erkannt wurde, in den Verträgen vom 26. April und das Nichtvorliegen der (zwingenden) Voraussetzungen des BTVG festgestellt und damit dessen Bestimmungen nicht zur Anwendung gebracht zu haben, ist es in diesem Zusammenhang ohne Relevanz, dass bei deren Abwicklung die Vorschriften des § 12 Abs 3 Z 4 BTVG und die Richtlinien der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich für die Errichtung und Führung der Treuhandeinrichtung und Abwicklung von Treuhandschaften nicht eingehalten wurden. Dass Gerlinde J***** hinsichtlich dieser Verträge die Erklärung der Ablehnung der Abwicklung einer Treuhandschaft über die Treuhandrevision (vgl § 10a Abs 3 RAO) abgab, hat der Disziplinarrat festgestellt (ES 8).

[19] In teilweiser Stattgebung der Berufung war das Erkenntnis daher im Schuldspruch 2./ aufzuheben und in diesem Umfang – in der Sache selbst erkennend – wie aus dem Spruch ersichtlich mit Freispruch vorzugehen.

[20] Der gegen den Schuldspruch 1./ gerichteten Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld war jedoch – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.

[21] Bei der hiedurch erforderlichen Strafneubemessung waren mildernd die Unbescholtenheit und die Schadensgutmachung, erschwerend demgegenüber das Zusammentreffen von zwei Disziplinarvergehen. Es wäre daher an sich eine Geldbuße in der Höhe von 2.500 Euro als dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Beschuldigten angemessen; die nicht von ihm zu vertretende unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK, vgl § 34 Abs 2 StGB) war jedoch durch Strafreduktion um 500 Euro auszugleichen, woraus die im Spruch genannte Sanktion resultiert.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0280DS00005.20D.0824.000

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