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OGH vom 22.03.2016, 11Os8/16k

OGH vom 22.03.2016, 11Os8/16k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Egon G***** wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 71 Hv 113/11y 129, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Egon G***** mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt.

Danach hat er in A***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge an Gernot P***** und Marco Po***** (die das Suchtgift nach Österreich einführten) durch Verkauf überlassen, und zwar

1./ zwischen Ende 2006/Anfang Jänner 2007 100 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 20 Gramm Cocain;

2./ am 106,5 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 41,1 Gramm Cocain.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 (richtig) lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also solche, die entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS Justiz RS0106268, RS0099497). Hievon ausgehend nennt das Gesetz fünf Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen:

Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS Justiz RS0117995).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS Justiz RS0118316).

Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS Justiz RS0119089).

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS Justiz RS0116732, RS0118317).

Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS Justiz RS0099431).

An den dargestellten Kriterien orientiert sich die Mängelrüge nicht.

Der vom Erstgericht unter Berufung auf Gerichtsnotorietät festgestellte Reinheitsgehalt der überlassenen 100 Gramm Kokain von 20 % (US 8) ist dem Beschwerdevorbringen zuwider (nominell Z 5 erster Fall, der Sache nach Z 5 vierter Fall) weder nach den Denkgesetzen noch nach grundlegenden Erfahrungssätzen zu beanstanden (RIS Justiz RS0119257 [T4, T 5 und T 8).

Da die Verjährungsfrage hier nicht in Rede steht, betrifft der zum Schuldspruch 1./ festgestellte Tatzeitpunkt Ende 2006/Anfang Jänner 2007 keine entscheidende Tatsache.

Damit verfehlt die Undeutlichkeit, Unvollständigkeit und Aktenwidrigkeit einwendende Mängelrüge den gesetzlichen Bezugspunkt der Anfechtung.

Entgegen der Mängelrüge (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) mussten sich die Tatrichter mit der ursprünglich leugnenden Verantwortung des abgesondert verurteilten Marco Po***** (ON 2, S 167; ON 5 S 3) keineswegs gesondert auseinandersetzen, weil er diese nicht aufrecht erhielt (ON 5 S 7 f).

Die per Telefax übermittelte und angeblich vom (mittlerweile verstorbenen) Marco Po***** stammende Erklärung vom (ON 81 S 3), in der dieser den Angeklagten zu entlasten suchte, wurde von den Tatrichtern nicht übergangen, sondern als „Gefälligkeitsdienst“ angesehen (US 7 f). Indem die Mängelrüge (Z 5) die dazu angestellten Beweiswerterwägungen bekämpft, zeigt sie weder eine Unvollständigkeit noch einen anderen Aspekt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes auf, sondern verkennt den von einer Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Gleiches gilt für den Einwand, das Erstgericht habe die Aussage der Zeugin L***** mit „unzureichender Begründung“ (US 7) als unglaubwürdig verworfen (RIS Justiz RS0099419).

Mit dem Hinweis auf nicht konsistente Angaben zur Beschaffung der Drogen vor der Übergabe durch ihn spricht der Beschwerdeführer auch keinen unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit des Zeugen P***** erörterungsbedürftigen Umstand an. Ob der Beschwerdeführer das Suchtgift vor der Übergabe selbst beschaffen musste, ist weder schuld- noch subsumtionsrelevant.

Ebenso wenig ist der genaue Zeitpunkt der Planung der zweiten Schmuggelfahrt von Bedeutung (Z 5 fünfter Fall). Dagegen gerichtete Einwände gehen ins Leere.

Nach den Feststellungen überließ der Angeklagte Gernot P***** und Marco Po***** Ende 2006/Jänner 2007 eine Reinsubstanz von 20 Gramm (US 4) und am eine Reinsubstanz von 41,1 Gramm Cocain (US 5).

Indem sich die Undeutlichkeit, Widersprüchlichkeit (nominell Z 5) und Rechtsfehler (der Sache nach Z 9 lit a) behauptende Rüge von diesen Feststellungen entfernt, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Weshalb die festgestellte Übergabe von 20 sowie von 41,1 Gramm Cocain Reinsubstanz (US 4 f) keine tatbestandsmäßige Handlung im Sinn des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sei (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a), legt die Beschwerde nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet dar.

Ebenso lässt sie offen, weshalb die der Übergabe vorangehende Beschaffung der Drogen von einem Unbekannten der Annahme der unmittelbaren Täterschaft entgegenstehen sollte. Auf die rechtliche Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen sei hingewiesen (RIS-Justiz RS0117604).

Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit oder der Unglaubwürdigkeit eines Zeugen führende kritisch psychologische Vorgang als solcher ist einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS Justiz RS0106588).

Unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit erörterungsbedürftige, vom Erstgericht dennoch übergangene Beweisergebnisse zeigt der Beschwerdeführer weder zur Aussage des Gernot P***** noch der des Marco Po***** auf (vgl US 6 f).

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) widersprüchliche Beweisergebnisse in Bezug auf die „erste Schmuggelfahrt“ behauptet, nicht aufrecht erhaltene Aussagen des Marco Po***** hervorhebt, dessen Richtigstellung übergeht und vom Erstgericht abweichende Beweiswerterwägungen (zu einem Telefonat [US 6] und Zeugenaussagen) anstellt, gelingt es ihr nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Der Kritik an mangelnder Sachverhaltsaufklärung (dSn Z 5a) fehlt es schon an einem Vorbringen, wodurch der Beschwerdeführer an entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (RIS Justiz RS0114036, RS0115823).

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 5) in Ansehung der subjektiven Tatseite einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia behauptet, legt sie nicht dar, warum es den auf US 5 getroffenen Feststellungen am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS Justiz RS0119090).

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz („in dubio pro reo“) bekämpft die Rüge (nominell Z 9 lit a) (unzulässig) die tatrichterliche Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0102162).

Weshalb die Feststellungen die Verurteilung des Beschwerdeführers nach mehreren Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG nicht tragen sollten und warum es dazu weiterer Feststellungen zum Inhalt der Erklärung des Marco Po***** vom Juni 2015 (ON 81) bedurft hätte (Z 9 lit a), entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS Justiz RS0118415, RS0116565).

Nicht nachvollziehbar ist der Antrag, die Hauptverhandlung nach § 288a StPO zu vernichten; weshalb das Oberlandesgericht Wien zur Feststellung der Rechtswirksamkeit der Anklageschrift (ON 44) örtlich unzuständig gewesen sei (§ 281a StPO), ist dem Rechtsmittel nicht zu entnehmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Erledigung der unter einem erhobenen Berufung folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass die Wertung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten als eine für die Ablehnung der Gewährung einer gänzlich bedingten Strafnachsicht (mit )entscheidende Tatsache (US 12) eine im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO nichtige unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS Justiz RS0090897). Diesem von der Beschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS Justiz RS0122140).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00008.16K.0322.000