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OGH vom 19.12.2019, 28Ds10/18m

OGH vom 19.12.2019, 28Ds10/18m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Wippel als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die

Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom , AZ D 22/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ im Zeitraum zwischen Juli 2015 „bis zum heutigen Tag“ neben seiner Kanzlei in ***** eine Kanzleiniederlassung in *****, ohne Genehmigung der dafür zuständigen Rechtsanwaltskammer Niederösterreich betrieben;

2./ im Zuge der anwaltlichen Vertretung der Raiffeisenkasse ***** reg GenmbH eine zu deren Gunsten bei ihm eingegangene Barschaft von insgesamt 11.250,28 Euro mit der von ihm behaupteten Honorarforderung laut Rechnung vom über diesen Betrag gegenverrechnet, obwohl die genannte, vormals von ihm vertretene Raiffeisenkasse erklärte, mit dieser Gegenverrechnung nicht einverstanden zu sein, sohin den strittigen Betrag weder seiner ehemaligen Mandantschaft ausgefolgt noch gemäß § 1425 ABGB bei Gericht unter Hinweis auf seine Berechtigung gemäß § 19 Abs 3 RAO hinterlegt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – keine Nichtigkeitsgründe bezeichnende (vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe. Sie verfehlt ihr Ziel.

Mit dem Vorwurf der Nichtvorlage des Delegierungsantrags vom (ON 15) an den Obersten Gerichtshof wird weder ein Nichtigkeits- noch ein Berufungsgrund geltend gemacht. Im Übrigen kommt die Kompetenz zur Zurückweisung verspäteter oder unzulässiger derartiger Anträge gemäß § 25 Abs 4 DSt dem Disziplinarrat zu. Gegen einen solchen Beschluss ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig.

Insoweit der Berufungswerber Nichtigkeit des Verfahrens (der Sache nach Z 1) infolge Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats behauptet, ist zu erwidern, dass die Vernehmung eines Zeugen in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten ebenso wenig einen Umstand darstellt, der geeignet erscheint, aus Sicht eines objektiven Betrachters die volle Unbefangenheit der Entscheidungsorgane aus persönlichen Gründen in Zweifel zu ziehen (vgl RIS-Justiz RS0056962, RS0096880), wie jener, dass ein – an der gegenständlichen Entscheidungsfindung nicht beteiligtes – Mitglied des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich die dem Verfahren zu Grunde liegende Disziplinaranzeige erstattet hat (RIS-Justiz RS0056894).

Die Kritik, der Disziplinarrat habe – entgegen dem Antrag des Disziplinarbeschuldigten (ON 24 S 4) – die in seiner Abwesenheit erfolgte Aussage des Zeugen Rechtsanwalt ***** zu Unrecht berücksichtigt, geht fehl. Der Disziplinarrat gründete seine Feststellungen auf unstrittige Beilagen, die Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten und die Angaben der vernommenen Mitarbeiterinnen, nicht jedoch auf die – ohnehin keine entscheidungswesentlichen Tatsachen betreffende – Aussage des ***** (ES 7). Der Genannte findet im Erkenntnis nur bei der Beschreibung des Verfahrensablaufs (ES 4) sowie in Bezug auf die zwischen Jänner 2011 bis Dezember 2014 (somit vor Beginn des aktuellen Tatzeitraums) bestehende Kooperation mit dem Disziplinarbeschuldigten Erwähnung (ES 5); letztere Feststellung gründet überdies auf den Angaben des Disziplinarbeschuldigten selbst (ON 10 S 2) sowie jenen der Zeugin ***** (ON 24 S 2). Da demnach ein für den Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung durch den gerügten Mangel jedenfalls auszuschließen ist, liegt weder Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 noch Z 4 StPO vor (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO).

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gelingt es dem Disziplinarbeschuldigten nicht, Bedenken gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken, welcher die den Schuldspruch tragenden Konstatierungen aus den in der Disziplinarverhandlung verlesenen Urkunden sowie der eigenen Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten und den Aussagen der als Zeuginnen vernommenen Mitarbeiterinnen nachvollziehbar erschlossen hat.

Dass der festgestellte Betrieb einer Kanzleiniederlassung (1./) Publizitätswirkung nach außen zeigte, gründete der Disziplinarrat insbesondere auf den auf dem Briefpapier des Disziplinarbeschuldigten neben der als Sprechstelle ausgewiesenen ***** Adresse angeführten ERV-Code (ES 10), sodass die Argumentation, auch dieser ERV-Code sei mit den (unter anderem Adress-)Daten seines Kanzleisitzes in ***** hinterlegt, ins Leere geht.

Da schon auf dieser Grundlage wie auch aufgrund des Umstands, dass den in ***** tätigen Mitarbeiterinnen des Disziplinarbeschuldigten der Kanzleibetrieb (selbstverständlich) bekannt war, die Annahme der Publizität des Betriebs einer Kanzleiniederlassung (ES 12) ausreichend begründet ist, kann das auf bloße Behauptungen gestützte Vorbringen, der Disziplinarbeschuldigte habe in den Räumlichkeiten in *****, lediglich kanzleiinterne Arbeiten erledigen lassen und der Kanzleibetrieb wäre den dort empfangenen Mandanten verborgen geblieben, auf sich beruhen.

Die weiters begehrten Feststellungen, wonach dem Disziplinarbeschuldigten „bewusst“ gewesen sei, „dass er an einer Sprechstelle bloß Tätigkeiten verrichten lassen darf, die keinen Anschein erwecken, dass ein ständig besetztes, einem Kanzleibetrieb gleichzuhaltendes Büro betrieben wird …“, und (zusammengefasst) die Versendung von ERV-Dokumenten von einer Sprechstelle – sofern kein Eindruck eines Kanzleibetriebs erweckt werde – zulässig sei, führen zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung und sind folglich nicht entscheidungswesentlich.

Den Punkt 2./ des Erkenntnisses betreffenden Ausführungen des Disziplinarbeschuldigten zuwider bestehen gegen die Konstatierung, dass die Raiffeisenkasse ***** reg GenmbH der Gegenverrechnung nicht zugestimmt und die Honorarforderung des Disziplinarbeschuldigten bestritten hat (ES 10), wie auch gegen die Erwägung des Disziplinarrats, derzufolge die Einwendung des strittigen Betrags als Gegenforderung durch die Raiffeisenkasse in einem bezirksgerichtlichen Verfahren keineswegs nur dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Raiffeisenkasse auf ihre Rechte nach der Rechtsanwaltsordnung verzichtet habe (ES 13), keine Bedenken.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zum erweckten Eindruck eines ständig besetzten, einem Kanzleibetrieb gleichzuhaltenden Büros vermisst und dabei die konstatierte Publizität des inkriminierten Verhaltens (ES 10, 12) negiert, verfehlt sie die prozessordnungsgemäße Darstellung (RIS-Justiz RS0099810).

Die Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zur Definition der Begriffe Sprechstelle, Kanzlei und Kanzleiniederlassung leitet ein solches – über die ohnehin getroffenen Konstatierungen (ES 5 ff, 10 ff) hinausgehendes – Erfordernis nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565).

Insoweit die Berufung in ihren rechtlichen (und beweiswürdigenden) Überlegungen das konstatierte Betreiben einer Kanzleiniederlassung (ES 11) vernachlässigt, argumentiert sie prozessordnungswidrig nicht auf Basis der Sachverhaltsannahmen (RIS-Justiz RS0099810).

Gleiches gilt für das zu 2./ erstattete Vorbringen, da es vom Vorliegen eines – gerade nicht festgestellten (vgl ES 10, 13) – rechtswirksamen Verzichts ausgeht und die konstatierte Publizität (ES 14) schlicht negiert.

Der somit unbegründeten Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld war daher nicht Folge zu geben.

Mit seiner Strafberufung begehrt der Disziplinarbeschuldigte im Fall eines Schuldspruchs im Ergebnis die Verringerung der über ihn verhängten Geldbuße oder an deren Stelle die Verhängung eines schriftlichen Verweises gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt.

Der Disziplinarrat verhängte eine Geldbuße in Höhe von 3.000 Euro und wertete als erschwerend keinen Umstand sowie als mildernd die bisherige Unbescholtenheit.

Indem der Berufungswerber im Ergebnis im Rahmen der Strafberufung seiner Verantwortung zu den wider ihn erhobenen Vorwürfen zum Durchbruch zu verhelfen sucht und den festgestellten Sachverhalt vernachlässigt, bringt er Berufungsgründe nicht zur Darstellung.

Angesichts der doppelten Qualifikation seiner Taten sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes sowie des Umstands, dass der Disziplinarbeschuldigte trotz Rechtsbelehrung durch den Disziplinarsenat zu 2./ keine Hinterlegung des einbehaltenen Geldbetrags vorgenommen hat (ES 14), ist die verhängte Sanktion einer Reduktion nicht zugänglich.

Auch der Berufung wegen Strafe war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0280DS00010.18M.1219.000

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