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OGH vom 19.12.2014, 8ObA80/14v

OGH vom 19.12.2014, 8ObA80/14v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Puttinger, Vogel Rechtsanwälte GmbH in Ried, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 36/14i 8, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cga 5/14m 4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Betrieb der Beklagten wurde bei drei Arbeitnehmern zum Jahreswechsel von 2012 auf 2013 die Arbeitszeit erhöht, und zwar von 22 auf 30 Stunden, von 19 auf 37,5 Stunden bzw von 23 auf 37,5 Stunden.

Im für die Arbeitsverhältnisse maßgebenden Kollektivvertrag für DienstnehmerInnen des Arbeitsmarktservice findet sich im § 8 Abs 2 folgende Regelung:

„Das Urlaubsmaß beträgt in jedem Kalenderjahr

1. 187,5 Stunden,

2. 225 Stunden ab dem Kalenderjahr, in dem der/die

Dienstnehmer(in) das 25. Dienstjahr vollendet hat.

Bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes ist das Urlaubsausmaß für das jeweilige Kalenderjahr entsprechend dem über das gesamte Kalenderjahr gemessenen durchschnittlichen Beschäftigungsausmaß neu zu berechnen. Nicht verfallene Ansprüche auf Erholungsurlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren bleiben davon unberührt ...“

Den drei Mitarbeitern war es nicht mehr möglich, ihre Resturlaube in Höhe von 129 Stunden, 46,75 Stunden bzw 138 Stunden abzubauen, da die Entscheidungen betreffend die Änderungen des Beschäftigungsausmaßes jeweils gegen Ende des Jahres 2012 fielen. Entsprechend der bei der Beklagten üblichen Vorgangsweise wurden die offenen Resturlaubsansprüche aus den früheren Kalenderjahren nicht erhöht.

Der klagende Angestelltenbetriebsrat begehrt die Feststellung, dass bei jenen Angestellten der beklagten Partei, bei denen eine Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes ab wirksam wurde, die aus vergangenen Kalenderjahren noch offenen Urlaubsansprüche im Verhältnis der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit zu erhöhen seien. Er begründet dies zusammengefasst damit, dass nach dem Kollektivvertrag eine Änderung des Beschäftigungsausmaßes für das jeweilige Kalenderjahr auch eine Anpassung des Urlaubsmaßes entsprechend dem durchschnittlichen Beschäftigungsausmaß in diesem Kalenderjahr zur Folge habe. Die nicht verfallenen Urlaubsansprüche aus vorangegangenen Kalenderjahren blieben davon unberührt. Dies führe aber dazu, dass bei Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes weniger Urlaubstage bzw Wochen zur Verfügung stünden. Dementsprechend müsse das Urlaubsguthaben aufgewertet werden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass der Kollektivvertrag in Umsetzung der Entscheidung des , geändert worden sei. Dementsprechend blieben Ansprüche aus vorangegangenen Urlaubsjahren im Falle einer Anhebung des Beschäftigungsausmaßes auf Vollbeschäftigung unverändert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der EuGH habe in zwei Entscheidungen (C 486/08 und C 415/12) ausgesprochen, dass bei Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einem späteren Zeitpunkt als dem Bezugszeitraum eine aliquote Kürzung bei einem Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit unzulässig sei. Dies müsse auch im umgekehrten Falle gelten. Im Sinne der Rechtsprechung des EuGH sei auf den Bezugszeitraum abzustellen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden Betriebsrats nicht Folge. Es schloss sich im Wesentlichen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 ObA 35/12y an, nach der das Urlaubsgesetz von einem „kalendarischen“ Urlaubsbegriff ausgeht. Dem werde aber das Klagebegehren, das allein auf eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitsstunden abziele, nicht aber auf die Erhöhung der Anzahl der Arbeitstage pro Woche, nicht gerecht. Dass sich bei den betroffenen Arbeitnehmern durch die Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes auch die Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage geändert habe, sei vom Kläger gar nicht behauptet worden. Auch der EuGH habe betont, dass die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einem späteren Zeitpunkt als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit stehe.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil zur Frage der Anpassung des nach Stunden bemessenen Urlaubsguthabens aus vergangenen Urlaubsjahren an eine geänderte Wochenarbeitszeit eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs noch ausstehe.

Rechtliche Beurteilung

I. Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht begründet. Der Oberste Gerichtshof hat zwar zu der vom Berufungsgericht aufgezeigten Frage zu 8 ObA 35/12y, aber nunmehr auch unter Berücksichtigung der weiteren Rechtsprechung des EuGH zu 9 ObA 20/14b umfassend Stellung genommen. Hier stellt sich im Ergebnis aber die Frage, inwieweit im Anwendungsbereich des Urlaubsgesetzes die Übernahme des Systems der Urlaubsgewährung nach dem Vertragsbedienstetenrecht im Rahmen eines Kollektivvertrags zulässig ist.

II. Als Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe es unterlassen, seine Bedenken gegen das Klagebegehren zu erörtern; bei Erörterung wäre es ihm möglich gewesen, das Begehren wie in der Revision ersichtlich zu ändern. Dieser Einwand muss von vornherein erfolglos bleiben, weil - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - auch das in der Revision formulierte Klagebegehren abzuweisen gewesen wäre.

Zu 9 ObA 20/14b hat der Oberste Gerichtshof nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH, der einschlägigen Lehre und dem Schrifttum klar herausgearbeitet, dass dem Urlaubsgesetz - anders als in den vom EuGH entschiedenen Fällen - ein „kalendarischer“ Urlaubsanspruch im Sinne eines Erholungszeitraums vom ersten Kalendertag nach Arbeitsende bis zum letzten Kalendertag vor Arbeitsantritt zugrunde liegt (so auch schon 8 ObA 35/12y). Dementsprechend ist dieser Urlaubsanspruch auch völlig unabhängig vom jeweiligen Beschäftigungsausmaß, sodass einerseits bei einem geringeren Beschäftigungsausmaß der Urlaubsanspruch weder nur aliquot entsteht, noch bei einer Umstellung von einem höheren Beschäftigungsausmaß auf ein geringeres Beschäftigungsausmaß aliquot zu kürzen ist, sondern immer die im Gesetz vorgesehenen und grundsätzlich in zwei Teilen zu verbrauchenden 30 bzw 36 Werktage (also fünf oder sechs Wochen) umfasst. Dementsprechend konnte das Berufungsgericht dem im Ergebnis auf Erhöhung offener Urlaubsstunden gerichteten Klagebegehren nicht stattgeben, weil wie im Folgenden noch zu erläutern sein wird der Urlaubsanspruch in Wahrheit gar nicht in Arbeitsstunden besteht. An der Abweisung würde sich aber auch bei dem nun formulierten Klagebegehren, wonach festgestellt werden soll, dass der Urlaubsanspruch „umgerechnet von Urlaubsstunden auf Urlaubstage am 31. 12. unverändert bestehen bleibt“, nichts ändern.

III.1. Dass es bei einem kalendarischen Urlaubsanspruch bei einer Änderung des Arbeitszeitausmaßes zu keiner Änderung des Urlaubsanspruchs kommt, wurde bereits in den Vorentscheidungen ausführlich dargestellt (9 ObA 20/14b; 8 ObA 35/12y).

III.2. Der wesentliche Unterschied zu diesen Vorentscheidungen liegt hier darin, dass die Kollektivvertragsparteien weitgehend das Urlaubssystem der §§ 27a ff des VBG übernommen haben. Dieses stellt (so wie die Urlaubssysteme, die dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt wurden) in den Vordergrund, dass eine gewisse Freizeit „erarbeitet“ werden muss und dementsprechend der so „erarbeitete“ Freizeitanspruch bei Teilzeitarbeit nur aliquot entsteht und bei einer Erhöhung der Arbeitszeit auch zu einem geringeren kalendarischen Urlaubsanspruch führt bzw umgekehrt bei einer Reduktion der Arbeitszeit ein in der Vollzeit erarbeiteter Urlaubsanspruch auch zu ganz wesentlich erhöhten Urlaubsperioden führen kann (offener Jahresurlaubsanspruch bei Umstellung von einem Vollzeitdienstverhältnis auf bloß einen Arbeitstag Urlaubsperiode von etwa sechs Monaten). Der Oberste Gerichtshof hat in den Vorentscheidungen umfassend dargestellt, warum aus systematischen, historischen und teleologischen Gründen aus dem Urlaubsgesetz klar ableitbar ist, dass diesem eine andere Zielrichtung zugrunde liegt. Beim Urlaubsgesetz steht die Zielrichtung im Vordergrund, den Arbeitnehmern unter Abwägung mit den betrieblichen Bedürfnissen pro Jahr eine bestimmte Freizeitperiode zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Gerade weil der Gesetzgeber im Bereich des öffentlichen Dienstes einerseits und in jenem der vom Urlaubsgesetz erfassten Arbeitnehmer andererseits unterschiedliche Regelungen und Ansätze aufrecht erhält und sich diese Bereiche ja auch in vielen anderen Aspekten etwa Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung etc - deutlich unterscheiden, ist offenkundig, dass der Gesetzgeber für den vom Urlaubsgesetz erfassten Bereich nicht das im VBG manifestierte alternative Modell verwirklicht wissen will.

III.3. Zieht man im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs die wesentlichen vom Urlaubsgesetz zum Schutz der Arbeitnehmer vorgegebenen Wertungen heran (Freizeitperiode zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und der Gesundheit der Arbeitnehmer), so ist ein Urlaubsmodell, das es auch ermöglicht, dass sich diese Freizeitperiode verkürzt und der Urlaubsverbrauch nicht angemessen erfolgen kann, als für die Arbeitnehmer nachteilig anzusehen. Da sich die Modelle schon im Ansatz völlig unterscheiden und diese Unterscheidung auch in die verschiedensten Detailfragen durchschlägt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nur ein Detail dieses alternativen Modells wirksam und andere Teile unwirksam wären; geht es doch nicht darum, ausgehend von dem einen Modell eine allfällige Restgültigkeit der Abweichungen unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben festzustellen, sondern ist jedes Modell in sich geschlossen und nicht trennbar (vgl zuletzt etwa 8 ObA 67/14g mwN). Das vom Kollektivvertrag eingeführte alternative Urlaubsmodell kann hier also auch nicht partiell wirksam sein. Dass insgesamt eine Erhöhung des Gesamturlaubsausmaßes gegenüber dem gesetzlichen Urlaubsausmaß beabsichtigt gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.

III.4. Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht und hat ja gerade auch in der Vorentscheidung 9 ObA 20/14b ausführlich dargestellt, dass mit der zunehmenden Bedeutung flexiblerer Arbeitszeitmodelle und dem Ansteigen der Zahl der Teilzeitbeschäftigten das Modell des Urlaubsgesetzes nicht als alternativenlos angesehen werden muss (vgl dazu auch die Regelungen des VBG in den §§ 27a ff). Der Gesetzgeber hat aber bisher keine Möglichkeit vorgesehen, etwa auf branchenspezifische Bedürfnisse in der Form einzugehen, dass den Kollektivvertragsparteien Adaptierungen ermöglicht werden. Der Gesetzgeber hält in § 12 UrlG ganz klar fest, dass die Rechte der Arbeitnehmer aufgrund der §§ 2 bis 10 UrlG auch durch Kollektivvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden können und lässt im Wesentlichen nur im Zusammenhang mit der Umstellung des Urlaubsjahres auf das Kalenderjahr - die offenbar auch hier erfolgten Abweichungen vom gesetzlichen Modell zu (§ 2 Abs 4 UrlG).

III.5. Da der Gesetzgeber seine Möglichkeit, den Kollektivvertragsparteien in § 12 UrlG einen größeren Spielraum - naturgemäß unter Wahrung der Vorgaben des Art 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG einzuräumen, nicht genutzt hat, kann das von den Kollektivvertragsparteien hier gewählte alternative System nur zur Gänze als unwirksam angesehen werden und sind die Arbeitnehmer auf die Rechtsansprüche nach dem Urlaubsgesetz zu verweisen. Danach stehen ihnen grundsätzlich pro Arbeitsjahr zwei Urlaubsperioden im Ausmaß von insgesamt 30 bzw 36 Werktagen zu. Da dies dem Klagebegehren nicht zugrunde lag, war der Revision der klagenden Partei nicht Folge zu geben.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00080.14V.1219.000