OGH vom 20.07.2010, 14Os36/10s (14Os37/10p, 14Os38/10k, 14Os39/10g, 14Os40/10d)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen L***** und andere Beschuldigte wegen des Vergehens der Verletzung von Geschäfts und Betriebsgeheimnissen und des Missbrauchs anvertrauter Vorlagen nach § 11 Abs 1 und Abs 2 UWG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 5 U 141/07p des Bezirksgerichts Rattenberg, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bl 421/07f und AZ 21 Bl 422/07b, vom , AZ 21 Bl 331/08x und vom , AZ 21 Bl 110/09y, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Dr. Geymayer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe :
Aufgrund eines am eingebrachten Antrags der Privatanklägerin G***** AG auf Einleitung der Voruntersuchung gegen Jürgen L*****, Andrea Le***** und Birgit H***** wegen § 123 StGB, §§ 11, 12 UWG werden seit Einstellung des Verfahrens wegen von der Privatanklägerin § 123 StGB subsumierter Taten nach § 109 Abs 1 StPO aF und Abtretung des Verfahrens an das Bezirksgericht Rattenberg mit Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 34 UR 93/07d 9, beim Bezirksgericht Rattenberg Vorerhebungen (§ 451 Abs 1 StPO aF) gegen die Genannten wegen § 11 Abs 1 und Abs 2 UWG, gegen Jürgen L***** auch wegen § 12 UWG geführt.
Nachdem in Vollziehung zweier (unter anderem Wohn und Geschäftsräumlichkeiten sowie Fahrzeuge der Beschuldigten und Geschäftsräume der Li***** GmbH, deren Geschäftsführer Jürgen L***** sein soll, betreffenden) „Hausdurchsuchungs und Beschlagnahmebefehle“ dieses Gerichts zahlreiche Unterlagen, EDV-Material, Bekleidung und andere Gegenstände sichergestellt worden waren, gewährte der Bezirksrichter der Privatanklägerin teilweise Akteneinsicht und behielt sich hinsichtlich weiterer Anträge eine spätere Beschlussfassung vor (ON 37).
Mit Beschluss vom wies er dagegen Anträge sämtlicher Beschuldigter sowie der Li***** GmbH auf Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände und Beschränkung der Akteneinsicht ab (ON 39).
Mit den angefochtenen Beschlüssen vom (AZ 21 Bl 421/07f und 21 Bl 422/07b) gab das Landesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht, das unter Bezugnahme auf § 516 Abs 1 StPO die Strafprozessordnung in der Fassung BGBl I 2004/19 als anzuwendende Verfahrensordnung erachtete, sowohl den von den drei Beschuldigten und der Li***** GmbH gegen den erstgenannten Beschluss erhobenen Beschwerden als auch den gegen den Beschluss vom (jeweils im die Beschwerdeführer betreffenden Umfang) gerichteten Beschwerden des Jürgen L***** sowie des genannten Unternehmens Folge, hob die Beschlüsse im angefochtenen Umfang auf und verwies die Sache insoweit mit dem Auftrag an das Erstgericht zurück, gemäß § 112 StPO „die sichergestellten Aufzeichnungen und Datenträger zu sichten“ und neuerlich zu entscheiden, „ob und in welchem Umfang sie weiterhin sicherzustellen oder den Berechtigten zurückzustellen sind“, und trug dem Bezirksgericht zudem auf, der Privatanklägerin eine angemessene Frist iSd § 516 Abs 2 letzter Satz StPO zu setzen (ON 63, 64).
Gegen den in Entsprechung der Entscheidungen des Beschwerdegerichts gefassten Beschluss des Bezirksgerichts Rattenberg vom (ON 71), mit dem die weitere Sicherstellung der in Rede stehenden Gegenstände nach § 112 StPO (1) sowie deren gerichtliche Beschlagnahme nach § 115 Abs 1 Z 1 StPO (2) angeordnet und der Privatanklägerin unter Hinweis auf das „zeitaufwändige Ermittlungsverfahren“ und „die Möglichkeit weiterer Rechtsmittel“ eine Frist von einem Jahr zur Einbringung der Anklageschrift oder eines selbständigen Antrags nach § 445 StPO (§ 516 Abs 2 letzter Satz StPO) gesetzt worden war (ON 71), erhoben die Li***** GmbH sowie die drei Beschuldigten erneut Beschwerde.
Diesen gab das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom , AZ 21 Bl 331/08x (ON 86), wiederum Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. In der Begründung hielt das Beschwerdegericht nunmehr die Strafprozessordnung in der Fassung vor BGBl I 2004/19 für anwendbar, vertrat unter Berufung auf §§ 145 Abs 2 und 452 Z 4 StPO aF die Ansicht, dass sich das Erstgericht mit der Frage zu befassen gehabt hätte, inwieweit es sich bei den sichergestellten Unterlagen und Datenträgern „allenfalls um Papiere Dritter oder Briefe handelt“ und „nach Sichtung in diesem Sinn“ die verbleibenden Unterlagen und Datenträger „sodann vom Gericht … auf ihre Beweisrelevanz im Hinblick auf die strafrechtlich relevanten Behauptungen in der Privatanklage zu durchsuchen“ wären. Weiters wurde auf die im Rahmen der Vorerhebungen noch offenen Anträge der Privatanklägerin hingewiesen und die dieser gesetzte Frist von einem Jahr als „bei weitem unangemessen“ erachtet.
Schließlich wurde in Stattgebung von Beschwerden der oben genannten Verfahrensbeteiligten mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom , AZ 21 Bl 110/09y (ON 109), auch der Beschluss des Bezirksgerichts Rattenberg vom , mit dem der Privatanklägerin umfassende Einsicht in die sichergestellten Unterlagen und Daten gewährt und die Anträge der drei Beschuldigten sowie der Li***** GmbH auf Beschränkung der Akteneinsicht und auf „Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände und Unterlagen“ erneut abgewiesen worden waren (ON 89), wegen nicht ausreichender Begründung aufgehoben und dem Erstgericht ein weiteres Mal die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Soweit aktenkundig wurde der Privatanklägerin seit Aufhebung des Beschlusses des Bezirksgerichts Rattenberg vom (ON 71) keine neue Frist zur weiteren Antragstellung gesetzt.
In ihrer gegen die zitierten Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erachtet die Generalprokuratur das Gesetz aus folgenden Erwägungen als verletzt:
1./ § 516 Abs 2 StPO regelt, nach welchen strafprozessualen Bestimmungen die Gerichte in anhängigen Strafverfahren ab dem (BGBl I 2004/19) vorzugehen haben. Für die ausschließlich in Form eines Hauptverfahrens zu führenden (§ 71 Abs 1 StPO; Fabrizy , StPO10 § 71 Rz 7) Verfahren über Privatanklagen sieht diese Regelung im Gegensatz zu Offizialverfahren, bei denen auch nach der StPO in der geltenden Fassung ein Ermittlungsverfahren vorgesehen ist (§§ 2 Abs 1, 98 StPO) und hinsichtlich derer die Übergangsbestimmungen danach unterscheiden, ob sich das Vorverfahren im Stadium von Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung befunden hat ausdrücklich und ausschließlich vor, dass das Gericht dem Privatankläger eine angemessene Frist für die (zur Führung des Hauptverfahrens erforderliche vgl neuerlich § 71 Abs 1 StPO) Einbringung der Anklageschrift oder eines selbständigen Antrags auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO zu setzen hat (Abs 2 letzter Satz). Bis zum Ablauf der vom Gericht zu bestimmenden Frist bleibt das über Antrag einer zur Erhebung der Privatanklage berechtigten Person vor dem eingeleitete Verfahren zwar anhängig und bleiben bereits erfolgte Ermittlungsmaßnahmen aufrecht, wogegen die Durchführung von Ermittlungsschritten wie die Durchsuchung oder Ausfolgung/Rückgabe von Papieren oder die Gewährung von Akteneinsicht außerhalb des Hauptverfahrens weder durch das Erstgericht noch durch das zur Sachentscheidung verpflichtete Beschwerdegericht (§ 89 Abs 2 StPO) vorgesehen sind.
Die in den oben genannten Beschlüssen des Landesgerichts Innsbruck teils auch zu Unrecht unter Verweis auf die alte Rechtslage ergangenen Aufträge zur Durchführung von außerhalb eines Hauptverfahrens durchzuführenden Vorerhebungsschritten an das Bezirksgericht (und demzufolge deren Realisierung durch das Bezirksgericht) erfolgten somit insgesamt zu Unrecht. Zutreffend war hingegen der Hinweis des Beschwerdegerichts in den Beschlüssen ON 63 und 64 auf das Erfordernis einer Fristsetzung im Sinn des § 516 Abs 2 letzter Satz StPO.
2./ Das Beschwerdegericht hat gemäß § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO (welche Bestimmung auch für das vorliegende Fristsetzungsverfahren [§ 516 Abs 2 letzter Satz StPO] anzuwenden ist [§ 516 Abs 1 leg cit]) stets allenfalls nach verlangter Aufklärung (Abs 5 erster Satz) - in der Sache selbst zu entscheiden (vgl 12 Os 80/09w). Entgegen diesem Gebot hat das Landesgericht Innsbruck in seinem Beschluss vom , ON 86, nach Aufhebung von Punkt 3./ des Beschlusses des Bezirksgerichts Rattenberg vom , womit der Privatanklägerin eine Frist von einem Jahr zur Einbringung einer Privatanklage oder eines selbständigen Antrags auf Erlassung einer vermögensrechtlichen Anordnung gemäß § 445 StPO bestimmt worden war (ON 71), die Frist nicht selbst (in einem angemessenen kürzeren Ausmaß) bestimmt, sondern die (in der Folge ersichtlich überhaupt unterbliebene) Fristsetzung erneut dem Erstgericht aufgetragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass nach der Strafprozessordnung in der Fassung vor BGBl I 2004/19 Voruntersuchungen im bezirksgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen waren (§ 451 Abs 1 erster Satz StPO aF). Obgleich in § 46 Abs 1 StPO aF nur die Voruntersuchung erwähnt war, stand dem Privatankläger nach der Rechtsprechung auch das Recht zu, (fristwahrend) Vorerhebungen gegen eine bestimmte Person zu beantragen. Nach Abschluss derselben hatte das Gericht dem Privatankläger eine Frist zur weiteren Antragstellung zu setzen (§ 46 Abs 2 StPO aF; Korn/Zöchbauer , WK StPO § 46 [2006] Rz 18, 34 f mwN; RIS Justiz RS0096035, RS0096905, RS0096893).
Demgemäß werden seit Abtretung des beim Landesgericht Innsbruck anhängig gewesenen Verfahrens an das Bezirksgericht Rattenberg bei diesem Gericht aufgrund entsprechender Anträge der Privatanklägerin Vorerhebungen gegen die drei genannten Beschuldigten geführt, wie die Generalprokuratur zutreffend einräumt.
Entgegen ihrer Ansicht sind jedoch zum Zeitpunkt des In Kraft Tretens des Strafprozessreformgesetzes (BGBl I 2004/19) am bei Gericht anhängige Vorerhebungen nach den durch das Strafprozessreformgesetz aufgehobenen Verfahrensbestimmungen zu erledigen, wie die Übergangsbestimmung des § 516 Abs 2 erster Satz StPO ohne Differenzierung zwischen Offizial- und Privatanklageverfahren generell vorsieht.
Wie sich aus Aufbau und Sinnzusammenhang des § 516 Abs 2 StPO unzweifelhaft ergibt, bezieht sich die Einschränkung des letzten Satzes dieser Bestimmung (bloß) auf - mit In Kraft Treten des Strafprozessreformgesetzes ex lege beendete Voruntersuchungen (§ 516 Abs 2 vierter Satz StPO). Nur in diesen Fällen hat das Gericht die Akten der Staatsanwaltschaft zu übersenden oder in Verfahren, die nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen sind den Privatankläger mit Beschluss aufzufordern, binnen angemessen festzusetzender Frist die Anklageschrift oder einen selbständigen Antrag auf Erlassung vermögensrechtlicher Anordnungen nach § 445 StPO einzubringen (§ 71 Abs 6; § 516 Abs 2 vorletzter und letzter Satz StPO).
Für die in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vertretene gegenteilige Auffassung, wonach § 516 Abs 2 letzter Satz StPO als lex specialis nicht nur zu den davor stehenden beiden Sätzen, sondern auch zum ersten Satz anzusehen wäre, findet sich weder im Gesetz noch in den Materialien irgend ein Anhaltspunkt.
Demgemäß erfolgten die „Aufträge zur Durchführung von außerhalb eines Hauptverfahrens durchzuführenden Vorerhebungsschritten an das Bezirksgericht (und demzufolge deren Realisierung durch das Bezirksgericht)“ durch das Landesgericht Innsbruck ebenso wenig zu Unrecht wie die Unterlassung erneuter Fristsetzung im Sinn des § 516 Abs 2 letzter Satz StPO an die Privatanklägerin durch das Beschwerdegericht selbst, wofür mit Blick auf die noch offenen Anträge im Rahmen der Vorerhebungen keine Veranlassung bestand. Dass das Landesgericht Innsbruck, das wie bereits dargelegt in Abkehr seiner früher vertretenen Ansicht, ausdrücklich davon ausging, dass „vorliegend die Normen der StPO alt zu gelten haben“ und damit implizit die Notwendigkeit einer Fristsetzung nach § 516 Abs 2 letzter Satz StPO ablehnte, dem Erstgericht einen entsprechenden Auftrag erteilt hätte, ist der von der nur insoweit eine Verletzung des § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO relevierenden Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen Entscheidung vom , AZ 21 Bl 331/08x (ON 86), im Übrigen gar nicht zu entnehmen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde, die in Betreff der in Rede stehenden Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht (lediglich) Verstöße gegen § 516 Abs 2 StPO und in Ansehung der Entscheidung vom , AZ 21 Bl 110/09y 109, gegen § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO reklamiert, war daher zur Gänze zu verwerfen.
Weil in der Beschwerde nicht relevierte Rechtsfehler als Gegenstand der Entscheidung über eine gegen einen Beschluss erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von vorneherein nicht in Betracht kommen ( Ratz , WK StPO § 292 Rz 40; RIS Justiz RS0122467, RS0120219, RS0123927), bedarf es weiterer Überlegungen des Obersten Gerichtshofs nicht.