OGH vom 16.12.2005, 9ObA64/05k

OGH vom 16.12.2005, 9ObA64/05k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Peter W*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Ulrich und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, 4010 Linz, Domgasse 1, vertreten durch Dr. Georg Bauer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 132/04t-38, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cga 79/03w-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit Euro 1.189,44 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Euro 198,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der Beklagten zuletzt im „fachlichen Hilfsdienst/Distribution", Entlohnungsgruppe PT 8, als Abträger in der Briefzustellung beschäftigte Kläger wurde von der Beklagten am zum unter Hinweis auf § 48 Abs 2 lit b der Dienstordnung der Beklagten (DO) schriftlich gekündigt. Gemäß § 19 Abs 4 PTSG gilt die mit der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten vereinbarte DO mit Inkrafttreten des PTSG als Kollektivvertrag. Nach § 48 Abs 2 lit b DO liegt - soweit hier von Interesse - ein Kündigungsgrund vor, „wenn der Bedienstete sich für eine entsprechende Verwendung als geistig und körperlich ungeeignet erweist."

Zum Zeitpunkt der Kündigung lagen beim Kläger multiple degenerative Veränderungen an Gelenken und an der Wirbelsäule vor (s im Detail S 4 des Berufungsurteils), sodass ihm die Verrichtung der bisher von ihm durchgeführten Arbeiten nicht mehr möglich war. Leichte Tätigkeiten der Verwendungsgruppen PT 8 und PT 9 hätte der Kläger noch verrichten können; es sind aber keine entsprechenden Planstellen bei der Beklagten frei, die - bedingt durch die Auslagerung aus dem Bundesdienst und durch die Umstrukturierung des Postdienstes - mit einem Personalüberschuss kämpft. Bundesweit hat die Beklagte 408 uneingeschränkt dienstfähige Personen, deren Arbeitsplatz weggefallen ist bzw für die keine Arbeit vorhanden ist. Auch in der Videocodierung, in der der Kläger eingesetzt werden könnte, sind keine Arbeitsplätze frei. Zudem sind die Arbeitsplätze in der Videocodierung als Teilzeitarbeitsplätze eingerichtet, weil die Arbeit sehr anstrengend und nahezu ausschließlich am Bildschirm zu leisten ist. Für die Codierung eingesetzte Bedienstete sind etwa sieben Stunden in der Woche mit dieser Tätigkeit betraut; den Rest der Zeit verrichten sie Abtragetätigkeiten, bei denen sie Kisten heben müssen, die großteils etwa 10 kg schwer sind, mitunter aber auch 30 bis 40 kg. Wollte man den Kläger in der Videocodierung einsetzen, müsste man einen Ganztags-Arbeitsplatz schaffen und den Kläger - soweit er nicht Codierungsarbeiten im engeren Sinn zu verrichten hätte - nur für das Abtragen kleiner Kisten einsetzen. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis über den hinaus weiterhin aufrecht ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Soweit im Revisionsverfahren von Interesse, vertrat es die Rechtsauffassung, dass der Kündigungsgrund des § 48 Abs 2 lit b DO ungeachtet seines Wortlautes (.."geistig und körperlich ungeeignet"..) verwirklicht sei, wenn der Bedienstete für eine entsprechende Verwendung geistig oder körperlich ungeeignet sei. Dies sei beim Kläger der Fall. In den Verwendungsgruppen PT 8 und 9 sei kein freier Arbeitsplatz vorhanden, auf dem der Kläger eingesetzt werden könnte. Ihren Betrieb so umzuorganisieren, dass der Kläger dennoch in einer „entsprechenden Verwendung" eingesetzt werden könne, sei der Beklagten, die über keine freie Arbeitsplätze in den fraglichen Bereichen verfüge, nicht zumutbar.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insoweit ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der Berufungsentscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegen zu halten:

Auf den von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten „Sideletter" der Kollektivvertragsparteien, aus dem die Vereinbarung einer textlichen Korrektur des § 48 Abs 2 lit b DO (iS der Änderung der Formulierung „geistig und körperlich ungeeignet" in „geistig oder körperlich ungeeignet") ersichtlich ist, kommt es für die Auslegung der hier anzuwendenden Fassung des Kollektivvertrags ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass die entsprechende Korrektur mittlerweile erfolgt ist. Entscheidend ist ausschließlich, dass schon die hier anzuwendende Fassung der in Rede stehenden Kollektivvertragsbestimmung im vom Berufungsgericht dargestellten Sinn auszulegen ist. Dass diese Auslegung nicht exakt dem Wortlaut entspricht, trifft zu, steht aber dem vom Berufungsgericht erzielten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dargelegt hat, ist entscheidend, welchen Willen der Kollektivvertragsparteien die Normadressaten dem Text der Bestimmung entnehmen konnten. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Interessenausgleich herbeiführen wollten, weshalb bei mehreren in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen entspricht.

Dass ein körperlich beeinträchtigter, aber geistig fitter Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen ist, trifft - sofern eine „entsprechende Verwendung" dieses Arbeitnehmers möglich ist - bei jeder Auslegung des Kündigungsgrundes zu. Es kann aber den Kollektivvertragsparteien nicht ernsthaft unterstellt werden, sie hätten eine Regelung schaffen wollen, nach der ein Arbeitnehmer, für den auf Grund seines geistigen oder körperlichen Zustands keine Verwendung gefunden werden kann, weiter beschäftigt werden muss. Dass der Kündigungsgrund erst dann verwirklicht sein kann, wenn der Bedienstete längere Zeit im Krankenstand gewesen ist, trifft nicht zu. Dafür fehlt es in der DO an einer rechtfertigenden Grundlage. Auch der Entscheidung 9 ObA 56/02d (zur vergleichbaren Bestimmung des § 37 Abs 2 Z 2 Wr. VBO) ist derartiges - wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat - in keiner Weise zu entnehmen. Ebenso wenig kann sich der Revisionswerber auf § 25 Abs 9 DO berufen. Nach dieser Bestimmung bewirken bestimmte vom Bediensteten nicht verschuldete Dienstverhinderungen in der Dauer eines Jahres das Ende des Dienstverhältnisses, sofern nicht vorher seine Fortsetzung vereinbart wurde. Damit ist aber über die Auslegung des Kündigungsgrundes der Dienstunfähigkeit überhaupt nichts gesagt. Dass bei der Beurteilung, ob eine „entsprechende Verwendung" des Arbeitnehmers möglich ist, auf die Natur des Unternehmens und die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Bedacht zu nehmen ist, haben die Vorinstanzen ohnedies erkannt. Sie haben aber zutreffend darauf verwiesen, dass die Fürsorgepflicht der Beklagten, die arbeitsfähige Bedienstete in großer Zahl nicht oder nicht adäquat beschäftigen kann, nicht so weit geht, dass sie Arbeitsplätze für den Kläger freimachen und überdies umorganisieren muss. Der in erster Instanz nicht erhobene und auch im Rechtsmittelverfahren nicht näher konkretisierte Einwand, der Kläger hätte auch höherwertig verwendet werden können, verstößt - wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat - gegen das Neuerungsverbot.

Auf den Schutz des BEinstG kann sich der Kläger - wie ebenfalls das Berufungsgericht bereits ausgeführt hat - nicht berufen, weil die bescheidmäßige Feststellung seiner Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten erst mit Wirksamkeit zum , und damit für einen Zeitpunkt nach dem Ausspruch der Kündigung, erfolgte. Der Einwand, die Beklagte habe den Kläger ausschließlich wegen der bei einem Arbeitsunfall vom erlittenen Verletzungen gekündigt, ist durch die Feststellungen (und auch durch den Wortlaut des Kündigungsschreibens) nicht gedeckt. Vielmehr wurde die Kündigung unter Hinweis auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten damit begründet, dass der Kläger für eine entsprechende Verwendung im Postdienst nicht mehr geeignet sei. Dass die mangelnde geistige Eignung des Klägers im Kündigungsschreiben nicht geltend gemacht wurde, trifft zwar zu, ist aber im Hinblick auf die oben erläuterte Auslegung des in Rede stehenden Kündigungsgrundes auch nicht erforderlich.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.