VfGH vom 27.09.1985, b643/82

VfGH vom 27.09.1985, b643/82

Sammlungsnummer

10547

Leitsatz

MRK Art 8; Verletzung in dem nach Art 8 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht durch gewaltsames Eindringen in versperrte Wohnung

StGG Art 8; MRK Art 5; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; nicht vertretbare Annahme eines Festnahmegrundes nach § 175 Abs 1 Z 1 StPO; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

StGG Art 14; MRK Art 9 Abs 1; StV von St. Germain Art 63 Abs 2; Verletzung im Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit durch die Verweigerung der Benützung des Gebetsriemens samt Gebetsschal während der Anhaltung nach Festnahme gemäß den Bestimmungen der StPO

Art144 Abs 1 B-VG; beleidigende Ausdrucksweise eines amtshandelnden Organs - nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anfechtbar

MRK Art 3; kein Nachweis für (behauptete) Mißhandlungen erbracht - Fehlen eines tauglichen Beschwerdegegenstandes

Art144 Abs 1 B-VG; in Vollziehung eines (straf-)gerichtlichen Auftrages durchgeführte Hausdurchsuchung nicht vor dem VfGH anfechtbar

Spruch

I. Der Bf. ist am in Wien dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien in seine Wohnung in Wien ... gewaltsam eingedrungen sind, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 8 MRK, ferner dadurch, daß Beamte dieser Behörde ihn festgenommen und ihm während seiner anschließenden Anhaltung in Haft den Gebrauch eines Gebetsriemens (samt Gebetsschal) verwehrt haben, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art 8 StGG iVm. Art 5 MRK und nach Art 14 StGG iVm. Art 9 MRK verletzt worden.

II. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen seines Vertreters die mit 26766 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Dr. med. F R begehrte in seiner mit Berufung auf Art 144 (Abs1) B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am durch Ausübung unmittelbarer verwaltungs-(bundespolizei-)behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nämlich auf Unverletzlichkeit des Hausrechts (Art9 StGG iVm. Art 8 MRK), auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art14 StGG iVm. Art 9 MRK), ferner auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm. Art 5 MRK) sowie auf Unterlassung erniedrigender Behandlung (Art3 MRK), verletzt worden, und zwar dadurch, daß die Sicherheitswachebeamten F D und K Z mit Hilfe von Feuerwehrleuten in seine versperrte Wohnung in Wien ... gewaltsam eindrangen, ihn dort festnahmen, ihm (mehrere) Schläge versetzten und ihn beschimpften, ferner im weiteren Verlauf in dieser Wohnung drei (gemeint: ersichtlich zwei) gesonderte Hausdurchsuchungen vornahmen sowie daß Polizeiorgane ihn in der Folge vorübergehend in Haft hielten und ihm dabei die Ausfolgung eines für die Einhaltung seines Glaubensrituales notwendigen Gebetsriemens (samt Gebetsschal) verweigerten.

1.1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Antrag stellte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Bf. zum Ersatz der Verfahrenskosten zu verpflichten.

1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß die Funkstreifendienst versehenden Sicherheitswachebeamten F D und K Z am frühmorgens mit Hilfe von Feuerwehrleuten nach gewaltsamer Öffnung der versperrten Eingangstür in die Wohnung Wien ..., und zwar aus Anlaß einer dort ihrer Meinung nach stattfindenden Streitigkeit mit Verletzungsfolgen, eindrangen. Im Zuge der Amtshandlung nahm K Z den - mit Dr. A G angetroffenen - Wohnungsinhaber Dr. F R wegen des Verdachtes des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB aus dem Haftgrund des § 175 Abs 1 Z 1 StPO fest und führte ihn ins nächstgelegene (Kommissariats-)Wachzimmer ab. Während der folgenden kurzfristigen Anhaltung des Bf. in Verwahrungshaft kam es in der besagten Wohnung zunächst zu einer polizeilichen Nachschau, mit der sich der Wohnungsinhaber einverstanden erklärt hatte, und wenig später zu einer polizeilichen Hausdurchsuchung im Auftrag des zuständigen (Straf-)Gerichtes.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Zu den Beschwerdepunkten Eindringen in die Wohnung, Festnahme und Anhaltung des Bf sowie Verweigerung der Benützung eines Gebetsriemens (samt Gebetsschal):

2.1.1.1. Gemäß Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung von Personen (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977; ), aber auch für Hausdurchsuchungen der Sicherheitsorgane aus eigener Macht (zB VfSlg. 7943/1976, 8680/1979) und für sonstiges behördliches Eindringen in eine Wohnung zutrifft, sofern es unter Gewaltanwendung vor sich geht (s. auch VfSlg. 10272/1984). Dabei wird unter dieser einer Beschwerdeführung zugänglichen "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" in der Bedeutung des Art 144 Abs 1 B-VG - nach herrschender Judikatur - nicht nur das "Ob", sondern auch das "Wie", dh. also die konkrete Gestaltung des jeweiligen Verwaltungsaktes - so etwa die nähere Art und Weise einer Personsverwahrung - verstanden (s. dazu: VfSlg. 8126/1977, 8580/1979, 10019/1984).

2.1.1.2. Daraus folgt, daß die Beschwerde im dargestellten Umfang (s. Punkt 1.2.) - da ein administrativer Instanzenzug fehlt und auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig ist, soweit sie sich gegen das Eindringen der Sicherheitsorgane in die Wohnung, ferner gegen die Festnahme und weitere Anhaltung des Bf., und zwar unter Verweigerung der für die Religionsausübung notwendigen Benützung eines Gebetsriemens (samt Gebetsschal), wendet.

2.1.2.1.1. Unter Unverletzlichkeit des Hausrechts iS des vom Bf. relevierten Grundrechts des Art 9 StGG ist (nur) der Schutz gegen willkürliche Hausdurchsuchungen zu verstehen (VfSlg. 872/1927, 3847/1960, 3967/1961 uva.).

Als "Hausdurchsuchung" definiert § 1 HausrechtsG, RGBl. 88/1862, eine "Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehöriger Räumlichkeiten". Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (vgl. VfSlg. 1906/1950, 5080/1965, 5738/1968, 6528/1971, 6553/1971, 8668/1979, 9766/1983). Ein bloßes Betreten einer Wohnung, etwa um zu sehen, von wem sie bewohnt wird (VfSlg. 1906/1950, 6528/1971), oder zur Feststellung der Räume nach Größe, Zahl und Beschaffenheit (VfSlg. 2991/1956), ist nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen (vgl. auch ).

2.1.2.1.2.1. Da die beiden einschreitenden Sicherheitswachebeamten - in Übereinstimmung mit dem Inhalt der Administrativakten - unwiderlegbar vorbrachten, daß sie mit ihrem Eindringen in die Wohnung nur eine - mutmaßlich erforderliche Hilfeleistung (für Verletzte) im Wohnungsinneren bezweckten, dort also dieser Darstellung nach eine "Suche" - wie sie nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH für eine "Hausdurchsuchung" unerläßlich ist - weder veranstaltet werden sollte noch tatsächlich stattfand, kommt eine Verletzung des Art 9 StGG nicht in Betracht.

2.1.2.1.2.2. Allerdings greift das vom Bf. gleichfalls bezogene Grundrecht nach Art 8 MRK - jedenfalls im hier allein maßgebenden Zusammenhang - über den Schutzbereich des Art 9 StGG hinaus (), indem es unabhängig von den Bedingungen

einer behördlichen Hausdurchsuchung "jedermann ... (den) Anspruch auf

Achtung ... seiner Wohnung (des Hausrechts - s. VfSlg. 8461/1978) ..." gewährleistet (Abs1 des Art 8 MRK) und den "Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts" nur unter taxativ umschriebenen Voraussetzungen gestattet (Abs2 des Art 8 MRK). So muß ein derartiger Eingriff zum ersten gesetzlich vorgesehen sein und zum zweiten eine Maßnahme darstellen,

"die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

2.1.2.1.3. Eine gesetzliche Grundlage für den hier beschwerdeverfangenen Eingriff schon iS der ersten Voraussetzung des Art 8 Abs 2 MRK besteht aber nicht.

Wohl hatte es in der schriftlichen Anzeige der Sicherheitsorgane vom , anscheinend im Blick auf ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929, BGBl. 393, ganz allgemein und ohne stichhältige Begründung geheißen, zur Zeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sei aus der (versperrten) Wohnung Poltern und Stöhnen zu hören gewesen, doch konnte von einer damals vertretbar (mit gutem Grund) und ernstlich anzunehmenden konkreten Gefahr für die körperliche Sicherheit der Wohnungsbenützer, die eine gewaltsame Öffnung der Wohnungstür gerechtfertigt hätte, nach Überzeugung des VfGH in Wahrheit überhaupt nicht die Rede sein:

Zwar handelt es sich um einen - nicht weiter bestätigten - bloßen Verdacht, wenn es in der Beschwerdeschrift der Sache nach heißt, das polizeiliche Eindringen in die Wohnung habe offenbar nur der Eintreibung einer (rechtskräftig verhängten) Verwaltungs(geld)strafe gedient, die vom Bf. bis dahin nicht bezahlt worden sei. Es muß aber jedenfalls festgehalten werden, daß die einschreitenden Beamten sich (in der Anzeige) lediglich auf die Mitteilung "unbekannter Passanten", in der Wohnung werde gestritten, zu berufen vermochten. Zu einer näheren Befragung der Informanten kam es nach der Aktenlage gar nicht; nicht einmal die Namen und Anschriften dieser Personen wurden ermittelt und festgestellt. Nachträgliche Erhebungen der Kriminalpolizei ergaben, daß am morgens keiner der Hausbewohner Lärm aus der Wohnung des Bf. vernommen hatte. Der Bf. und Dr. A G selbst deponierten zudem, daß es damals zu keinem Streit (mit "Poltern und Stöhnen") gekommen war, beide wurden vielmehr ersichtlich erst durch das Eindringen der Beamten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Bei objektiver, unbefangener Betrachtung konnte sich den Sicherheitsbeamten - was immer sie subjektiv geglaubt haben mögen - also keinesfalls das Bild einer akuten Notsituation bieten, die ein unverzügliches Aufbrechen der Wohnungstür erforderte. In diesem Zusammenhang ist vor allem bemerkenswert, daß die Beamten nicht einmal in der Zeit bis zum Eintreffen der angeforderten Feuerwehr Erkundigungen im Haus, etwa bei den (Wohnungs-)Nachbarn, einholten, um zu einer einigermaßen gesicherten Entscheidung zu gelangen, obgleich derartige Nachforschungen ohne Zeitverlust - es mußte ja vorerst das Eintreffen der Feuerwehr abgewartet werden - durchaus möglich gewesen wären.

2.1.2.1.4. Demgemäß ist festzuhalten, daß der Bf. durch den bekämpften, nach Art und Zweckbestimmung das Hausrecht mißachtenden behördlichen Zwangsakt, nämlich das gewaltsame Eindringen in die versperrte Wohnung gegen seinen (des Wohnberechtigten) erkennbaren Willen, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 8 MRK verletzt wurde.

2.1.2.2.1. Art 8 StGG gewährt - ebenso wie Art 5 MRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art 8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art 149 Abs 1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem § 4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iS des § 4 leg. cit. sind ua. die §§175 bis 177 StPO.

2.1.2.2.2.1. Der VfGH geht aus dem Blickwinkel der geltend gemachten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit davon aus, daß der Bf. im Dienst der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob diese Freiheitsbeschränkung nach § 177 (§10 Z 1) StPO iVm. § 175 StPO zulässig war. Gemäß § 177 Abs 1 (§10 Z 1) StPO dürfen die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den BG zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier von der bel. Beh. herangezogenen und damit (s. VfSlg. 5232/1966; vgl. auch VfSlg. 9393/1982, 10019/1984) allein in Betracht kommenden Fall des Haftgrundes nach § 175 Abs 1 Z 1 StPO - so ua. bei Betretung auf frischer Tat - zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter ausnahmsweise auch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vornehmen.

2.1.2.2.2.2. Wie die Zeugen F D und K Z im Verfahren vor dem VfGH sinngemäß aussagten, wurden sie vom Bf. während der im Gang befindlichen Amtshandlung, doch nach dem Betreten der Wohnräume hartnäckig gewaltsam attackiert. Demzufolge konnte aber jener Beamte (Inspektor Z), der die Festnahme aussprach und (mit-)durchführte, keineswegs vertretbar annehmen, daß der - unter den obwaltenden besonderen Umständen über das gewaltsame Eindringen in die Wohnung begreiflicherweise in Erregung und Angst geratene - Bf. ein den Gerichtshöfen erster Instanz zur Aburteilung zugewiesenes Vergehen (zumindest im Versuchsstadium: § 15 StGB) begangen habe, nämlich das Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB, dessen sich schuldig macht, wer einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert, durch die Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt wird (s. § 269 Abs 3 StGB). Zwar ist es im gegebenen Zusammenhang nicht von Relevanz, daß ein später gegen den Bf. beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 8b E Vr 12580/82 eingeleitetes Strafverfahren (wegen des Verdachtes nach §§15, 269 StGB, begangen ua. durch versuchte Hinderung einer Intervention in der Wohnung) mit rechtskräftigem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO endete, weil es hier nicht auf die Richtigkeit des erhobenen Vorwurfs ankommt; es genügt vielmehr, wenn damals das amtshandelnde Sicherheitsorgan aus seiner Sicht - nach Lage des Falles - mit gutem Grund (d. i. vertretbar) der Auffassung sein durfte, daß die in Rede stehende Tat verübt worden sei (vgl. zB 10019/1984, 10321/1985). Doch trifft diese Voraussetzung hier nicht zu.

Denn - einmal in die Wohnung eingedrungen - wollten die Beamten ja nach ihren eigenen Behauptungen nur Hilfe leisten, keinesfalls Befehls- und Zwangsgewalt ausüben, wie sie § 269 Abs 1 iVm. Abs 3 StGB zwingend erfordert. In den - vertretbarerweise zu bejahenden - Verdacht des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt konnte der Bf. also unter den obwaltenden Verhältnissen nicht geraten, wenn er Sicherheitswachebeamte in der in Rede stehenden Phase des Geschehens tätlich angriff: Er hätte sich dadurch vielmehr lediglich eines Beleidigungsdelikts schuldig gemacht (§115 StGB - vgl. Foregger - Serini, StGB, 3. Auflage, S 556, II), das mit Rücksicht auf die geringere Strafdrohung von den BG abzuurteilen ist (§9 Abs 1 Z 1 StPO iVm. § 115 Abs 1 StGB). Abgesehen von der hier nicht weiter nachzugehenden Frage, ob alle sonstigen Bedingungen für eine Festnahme vorliegen, ist jedoch im Verfahren vor den BG eine Festnahme aus dem hier allein maßgebenden Grund des § 175 Abs 1 Z 1 StPO - s. Punkt 2.1.2.2.2.1. - jedenfalls unzulässig (§§447 Abs 1, 452 Z 1 StPO).

Demgemäß fand die bekämpfte Festnahme (und Haftanhaltung) ohne gesetzliche Grundlage statt.

2.1.2.2.3. Der Bf. wurde darum auch im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

2.1.2.3.1. Gemäß Art 14 StGG, RGBl. 142/1867, ist jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Nach der - Art 14 StGG überlagernden - Verfassungsnorm des Art 9 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt ua. die Freiheit, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat, durch Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Wie der VfGH im gegebenen Kontext aussprach, gewährleistet Art 14 StGG dem einzelnen Bewohner des Staatsgebietes das Recht, sich sein Religionsbekenntnis frei und unabhängig von jeder staatlichen Einwirkung zu bilden und sich diesem seinem Bekenntnis gemäß in religiöser Hinsicht zu betätigen (VfSlg. 1408/1931). Das Wesen der Glaubens- und Gewissensfreiheit besteht im Ausschluß "staatlichen Zwanges auf religiösen Gebieten" (VfSlg. 3220/1957 unter Verweis auf VfSlg. 1408/1931). Jedermann soll in Sachen der Religion volle, von niemandem beschränkte Freiheit genießen (VfSlg. 799/1927, 800/1927).

2.1.2.3.2. Eine Ergänzung findet Art 14 StGG in den gemäß Art 149 B-VG auf Verfassungsstufe stehenden und die Grenzen der Religionsausübung ausdrücklich festlegenden Bestimmungen des Art 63 Abs 2 des Staatsvertrages von Saint-Germain, StGBl. 303/1920. Es heißt dort, daß alle Einwohner Österreichs das Recht haben, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern "deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist". Die Verfassungsnorm des Art 9 Abs 2 MRK schließlich regelt diese Schranken (der Glaubensfreiheit) näher, indem sie Form und Inhalt der zugelassenen Beschränkungen festlegt ("Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.").

2.1.2.3.3.1. Ein das Grundrecht der Glaubensfreiheit beschränkender staatlicher Eingriff - wie der beschwerdeverfangene - ist also nach geltender Verfassungsrechtslage nur dann zulässig, wenn er auf einer allen Voraussetzungen des Art 9 Abs 2 MRK iVm. Art 14 StGG genügenden gesetzlichen Grundlage beruht.

2.1.2.3.3.2. Auf ein derartiges Gesetz vermag sich die bel. Beh. zur Rechtfertigung ihrer bekämpften Maßnahme aber nicht zu berufen:

Der Bf., der gläubiger Jude ist, wurde - wie aufgrund des Verfahrensergebnisses feststeht - in einem polizeilichen Arrestlokal in Haft gehalten, als ihm die Behörde die (Übernahme und) Benützung des in Rede stehenden, für ihn (von Außenstehenden) beigebrachten und zur Ausfolgung hinterlegten Gebetsriemens ("Tefillin") samt Gebetsschal verwehrte (s. auch Parteiaussage vom , S 12):

Nach ArtV EGVG 1950 finden die Bestimmungen des VStG 1950 über das Verwaltungsstrafverfahren auch auf jene Amtshandlungen sinngemäß Anwendung, die von den Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen sind, sofern sich aus den Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren nichts anderes ergibt. Derartige Spezialvorschriften (für das strafgerichtliche Verfahren - hier: für die vorläufige Verwahrung von Personen, die von Sicherheitsorganen aus Eigenmacht nach den Bestimmungen der StPO festgenommen wurden, in verwaltungsbehördlichen Gefangenenhäusern) bestehen aber nicht: Denn kraft § 183 Abs 2 StPO gelten die Regeln über die Anhaltung in Untersuchungshaft (s. § 183 Abs 1 StPO iVm. dem StVG) für die vorläufige Verwahrung nur mit der Maßgabe, daß die Anhaltung - anders als hier - in einem gerichtlichen Gefangenenhaus stattfindet. Im konkreten Fall sind darum die Vorschriften des VStG 1950 anzuwenden, die jedoch für die Untersagung der bestimmungsgemäßen Benützung von Kultgegenständen der besagten Art während der Verwaltungshaft - Anhaltspunkte dafür, daß der Bf. eine andere Verwendung beabsichtigt haben könnte, fehlen völlig - keinerlei Handhabe bieten.

2.1.2.3.4. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage ist daher festzustellen, daß der Bf. durch die bekämpfte Maßnahme (Verweigerung der Benützung des Gebetsriemens samt Gebetsschal) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art 14 StGG iVm. Art 9 MRK verletzt wurde.

2.1.2.4. Zusammenfassend war spruchgemäß (Punkt I) zu entscheiden.

2.2. Zu den übrigen Beschwerdepunkten:

2.2.1. Feststellungen zur Klärung der Frage, ob und inwieweit der Bf. von behördlichen Organen im Zuge der Amtshandlungen vom wörtlich beleidigt wurde, sind entbehrlich, weil auch bei Zutreffen der einschlägigen Beschwerdebehauptungen kein vor dem VfGH bekämpfbarer Verwaltungsakt vorläge. Daß unangemessene Ausdrucksweisen oder Beschimpfungen als solche nicht als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- oder Zwangsgewalt iS des Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG gewertet werden können, bedarf schon im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 8654/1979, 10234/1984) keiner näheren Begründung. Der Umstand, daß solche Beleidigungen hier aus Anlaß der Ausübung behördlicher Zwangsgewalt gefallen sein sollen, ändert daran nichts. Auch dann sind nämlich beleidigende Ausdrücke (abgesehen von ihrer disziplinären Beurteilung) nur als strafbare Handlungen gegen die Ehre erfaßbar (§§115 ff. iVm. § 313 StGB). Es mag zwar unter besonderen Verhältnissen zutreffen, daß behördliches Verhalten erst wegen der damit verbundenen (etwa der Verwirklichung bestimmter Ziele dienenden) beleidigenden Angriffe zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt wird. Ein solcher Fall ist indessen nach dem Beschwerdevorbringen nicht gegeben.

Der Anfechtung liegt darum in diesem Belang kein tauglicher Beschwerdegegenstand zugrunde, sodaß mit Zurückweisung der Beschwerde vorzugehen war.

2.2.2.1. Was das weitere Beschwerdevorbringen zum Grundrecht nach Art 3 MRK (behauptetes - absichtliches - Versetzen von Schlägen im Verlauf der Amtshandlung - s. 1.1.1.) anlangt, so sieht sich der VfGH in Prüfung und Würdigung aller Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens außerstande, den entsprechenden Behauptungen des Bf. und der Dr. A G - uneingeschränkt zu folgen und die in der Beschwerdeschrift angeführten Vorgänge als erwiesen anzunehmen. Es stehen Aussagen gegen Aussagen, und die beiden Betroffenen befanden sich - im Hinblick auf das unerwartete gewaltsame Eindringen behördlicher Organe in die Wohnung - in verständlicher Angst und Erregung, was in Beurteilung der Beweisfrage nicht außer acht gelassen werden durfte.

2.2.2.2. Da demgemäß ein Nachweis für die behaupteten Zwangsakte nicht erbracht wurde, fehlt es auch hier an einem geeigneten Beschwerdegegenstand. Die Beschwerde war daher (auch) in dieser Richtung schon allein aus den eben dargelegten Erwägungen als unzulässig zurückzuweisen (Punkt II des Spruches).

2.2.3. Zurückzuweisen war die Beschwerde aber auch insoweit, als sie sich der Sache nach gegen zwei Hausdurchsuchungen in der zu Punkt

1.1.1. genannten Wohnung während der Anhaltung des Bf. im Polizeiarresst wendet, weil die erste dieser Amtshandlungen (nach dem Beschwerdevorbringen selbst) mit Zustimmung des Bf. geschah, also eines Zwangscharakters entbehrt (VfSlg. 5738/1968), die zweite aber in Vollziehung eines (straf-)gerichtlichen Auftrages stattfand, mithin dem Gericht zuzurechnen und damit einer Anfechtung beim VfGH entzogen ist (VfSlg. 7203/1973, 8248/1978).

2.3. Die Kostenentscheidung (Punkt IV des Spruches) fußt auf § 88 VerfGG 1953. Angesichts des Gesamtergebnisses des Beschwerdeverfahrens (teils Zurückweisung, teils Stattgebung) wurden dem Bf. bloß 2/3 der Kosten des Verfahrens zuerkannt (vgl. dazu VfSlg. 10272/1984).

Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2433 S enthalten.