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VfGH vom 22.09.2008, B642/08

VfGH vom 22.09.2008, B642/08

Sammlungsnummer

18524

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines Staatsangehörigen von Kamerun ohne gesetzlich gebotene Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.160,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der am geborene Beschwerdeführer, der nach

eigenen Angaben ein Staatsangehöriger von Kamerun ist, reiste am , also mit 16 Jahren, ohne Begleitung von Angehörigen illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei Einvernahmen brachte er dazu im Wesentlichen vor, dass er Staatsangehöriger von Kamerun sei, sein Vater aus Kamerun, seine Mutter aus Nigeria stamme. Als er drei Jahre alt gewesen sei, habe seine Mutter seinen Vater verlassen und sei mit ihm nach Nigeria gezogen, wo sie bis zu deren Tod im Jahr 2002 gemeinsam im Haus seines Onkels gelebt hätten. Dieser habe ihn schließlich aus dem Haus geworfen, woraufhin sich der Beschwerdeführer nach Kamerun begeben habe, um seinen Vater zu suchen. Hierbei sei er von Polizisten angehalten und ins Gefängnis gebracht worden, da sein Vater ein gesuchter Oppositionspolitiker sei. Mit Hilfe eines Pastors sei ihm schließlich die Flucht gelungen.

Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997) ab (Spruchpunkt I). Weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 1997 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Kamerun nicht zuerkannt und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun für zulässig erkannt (Spruchpunkt II) und weiters gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen (Spruchpunkt III). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.

Am und am fanden vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) mündliche Verhandlungen statt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der UBAS die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 ab (Spruchteil I), erklärte gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 idF 101/2003 iVm § 50 FPG, BGBl. I 100/2005, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun für zulässig (Spruchteil II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kamerun aus (Spruchteil III).

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gemäß Art 144 B-VG wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (u.a. der Art 3, 8 EMRK und des Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

3. Die belangte Behörde hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und dem Verfassungsgerichtshof die Verwaltungsakten vorgelegt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausführte, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Die Behörde ist, wie in weiteren Erkenntnissen ausgeführt (; , B1032/07) stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

2. Die belangte Behörde hat es im vorliegenden Fall jedoch gänzlich unterlassen, eine - im Lichte der zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes gebotene und auf den zu beurteilenden Einzelfall bezogene - Interessenabwägung durchzuführen. Vielmehr hält sie zur Begründung des zweiten und dritten Spruchteils lediglich Folgendes fest:

"Dass durch Rückverbringung in dem gewährleisteten Recht auf Privat- und Familienleben der Antragsteller im Sinne des Art 8 Abs 1 EMRK berührt wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen, deshalb spruchgemäß die Ausweisung auszusprechen war."

3. Aus dem Verwaltungsakt ist jedoch ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sich infolge einer mehr als fünfjährigen Verfahrensdauer seit mehr als fünf Jahren in Österreich aufhält, nach Österreich im Alter von 16 Jahren ohne Begleitung von Angehörigen einreiste, hier erfolgreich die Hauptschule abgeschlossen hat und eine Höhere Technische Lehranstalt besucht, hingegen keine Beziehungen zu Kamerun, das er als Kleinkind verlassen hat, bestehen dürften. Das Unterlassen jeglicher Interessenabwägung verletzt ihn daher in seinem verfassungsgesetzlichen gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.