OGH vom 19.03.2003, 9ObA224/02k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Anton Gabmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Peter S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei V***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 18.414,79 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 125/02g-20, womit über Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 3 Cga 50/01w-13, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionsgegnerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Da keiner der Fälle des § 46 Abs 3 ASGG vorliegt, ist die Zulässigkeit der Revision vom Vorliegen einer iS des § 46 Abs 1 ASGG qualifizierten Rechtsfrage abhängig.
Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision mit der Begründung zugelassen, dass den hier zu lösenden Rechtsfragen eine über den Fall hinausreichende Bedeutung zukomme und eine mittelbar verwertbare Judikatur nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO iVm § 1 ASGG an diesen Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden. Es war daher aufzugreifen, dass die im § 46 Abs 1 ASGG genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nicht vorliegen.
1) Zur Funktionszulage:
Zu den Auswirkungen des Entzuges der Handlungsvollmacht oder der Prokura auf das vertraglich geschuldete Entgelt hat der Oberste Gerichtshof bereits wie folgt Stellung genommen:
Nach § 52 HGB bzw Art 6 Nr 11 der 4. EVHGB sind Prokura und Handlungsvollmacht "unbeschadet" des Anspruchs auf die vertragsgemäße Vergütung jederzeit widerruflich. Der Anspruch wird demnach auch für die Zukunft, solange das Angestelltenverhältnis dauert, nicht berührt und bleibt ungeschmälert aufrecht, soweit nicht für diesen Fall besondere Abreden getroffen wurden. Nur soweit der Anstellungsvertrag, sei es ursprünglich oder aus Anlass der Bestellung zum Bevollmächtigten, für den Fall der Abberufung oder des Widerrufes der Vollmacht eine Änderung der Bezüge vorsieht, kommt diese privatautonome Regelung zum Tragen. Anders wäre dies nur dann, wenn bei einer von Anfang an nur für eine begrenzte Zeit vorgesehenen Handlungsvollmacht (oder Prokura) lediglich eine widerrufliche Funktionszulage für die Tätigkeit als Handlungsbevollmächtigter (oder Prokurist) vorgesehen war (DRdA 1987, 432 [zust Wachter]; Arb 11.950).
Die Beklagte wäre daher aus Anlass des Widerrufs der Handlungsvollmacht des Klägers nur dann zur Einstellung der anlässlich der Erteilung dieser Vollmacht gewährten Funktionszulage berechtigt, wenn sich aus einer zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen eine Grundlage hiefür ergäbe. Der Beweis einer solchen Vereinbarung ist aber der Beklagten nicht gelungen. Im mit dem Kläger geschossenen schriftlichenVertrag wurde dazu nichts vereinbart, eine mündliche Vereinbarung wurde nicht festgestellt. Ein von der Beklagten vorgelegter Dienstzettel gibt zwar eine entsprechende Vereinbarung wieder; es konnte aber nicht festgestellt werden, dass der Kläger vor dem Verfahren von diesem Dienstzettel Kenntnis erlangt hat.
Der Dienstzettel ist ein deklaratorisches Schriftstück, das dem konstitutiv das Arbeitsverhältnis begründenden Arbeitsvertrag gegenüberzustellen ist. Er soll als Beweisurkunde den Inhalt des Arbeitsvertrages wiedergeben und ist damit eine "Wissenserklärung des Arbeitgebers über die Rechtslage", also etwas "Faktisches", das vom rechtlichen Phänomen des Arbeitsvertrages, mit dem durch übereinstimmende Willenserklärungen Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollen, streng zu unterscheiden ist. Dienstzettel geben nur etwas bereits Vereinbartes wieder und können daher die getroffene Vereinbarung nicht abändern (RIS-Justiz RS0027899; zuletzt etwa 9 ObA 276/01g). Die Existenz eines vom Arbeitsvertrag abweichenden Dienstzettels, von dem nicht einmal nachgewiesen ist, dass er dem Arbeitnehmer zur Kenntnis gebracht wurde, ist daher rechtlich ohne Bedeutung.
Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes durch den Entzug der Handlungsvollmacht an der Tätigkeit des Klägers inhaltlich nichts geändert hat. Ferner hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger nunmehr weitere Tätigkeiten - insbesondere zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsberechnungen - vornahm. Von der behaupteten Unvollständigkeit der Feststellungen kann daher ebenso wenig die Rede sein, wie von einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.
2) Zum Entzug der Gratifikationen
Die Revisionswerberin stellt nicht mehr in Abrede, dass dem Kläger nach der 1978 erfolgten Erteilung der Handlungsvollmacht - wie allen Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten - jahrelang die in Rede stehende Gratifikation ohne jeden Vorbehalt gewährt wurde. Auch die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass damit ein in einer Betriebsübung begründeter Anspruch entstanden sei, der vom Arbeitgeber nicht einseitig widerrufen werden konnte, wird in der Revision grundsätzlich nicht mehr bestritten.
Allerdings macht die Revisionswerberin geltend, dass der Kläger dadurch konkludent einer Änderung der entsprechenden Regelung iSd einseitigen Widerruflichkeit der Gratifikation zugestimmt habe, dass er dem Zusatz "freiwillig und ohne Präjudiz für die Zukunft", der ab 1984 in die anlässlich der Auszahlung den Arbeitnehmern ausgefolgten Schreiben aufgenommen wurde, nicht widersprochen habe. Nun hat zwar der Oberste Gerichtshof erst unlängst ausgesprochen, dass eine mangels Widerrufsvorbehalts nicht abänderbare Zusage an die Arbeitnehmer nicht schlechthin unabänderlich ist, sondern ihre Wirksamkeit durch Verzicht oder nachträgliche Vereinbarung eines Widerrufsrechts des Arbeitgebers, von dem dieser dann Gebrauch macht, verlieren kann. Entsprechende Vereinbarungen können auch - sofern der Arbeitgeber ausreichend deutlich auf die Änderung gegenüber den bisher bestehenden Rechten aufmerksam macht - konkludent erfolgen, wenngleich das Vorliegen eines stillschweigenden Verzichts stets nach strengem Maßstab zu beurteilen ist (8 ObA 170/02m unter Hinweis auf DRdA 1997, 17 [Apathy]). Anders als im der Entscheidung 8 ObA 170/02m zugrunde liegenden Fall, in dem die in Rede stehende Leistung der Belegschaft 12 Jahre nicht gewährt wurde, wurde hier die Gratifikation auch über das Jahr 1984 hinaus weitgergewährt. Allein die Aufnahme eines Zusatzes über die Widerruflichkeit bzw. Unpräjudizialität der Leistung in die entsprechenden Verständigungsschreiben, die noch dazu ohne jeden Hinweis auf eine damit beabsichtigte Änderung der Rechtsgrundlage der Gewährung erfolgte, rechtfertigt es aber nicht, "ohne vernünftigen Grund daran zu zweifeln" (§ 863 ABGB), den Schluss zu ziehen, der Kläger habe durch sein Schweigen einer Änderung der vertraglichen Regelung iS der Widerruflichkeit der bislang unwiderruflichen Leistung zugestimmt. Dass die Gratifikation nach 1996 von der Erfüllung von (allerdings unschwer zu erfüllenden) Zielvereinbarungen abhängig gemacht wurde und auch der Kläger solche Zielvereinbarungen abgeschlossen hat, hat das Berufungsgericht ohnedies berücksichtigt. Dessen Rechtsauffassung, die Beklagte hätte auch dem Kläger - wie den anderen vergleichbaren Arbeitnehmern - weiterhin den Abschluss solcher Zielvereinbarungen anbieten müssen, ist nicht zu beanstanden. Der dagegen vorgebrachte Einwand, der Kläger sei durch den Widerruf der Handlungsvollmacht nicht mehr Führungskraft und demnach nicht mehr ins Prämiensystem einzubeziehen gewesen, übersieht, dass - wie schon oben ausgeführt - der Entzug der Handlungsvollmacht mangels einer rechtfertigenden vertraglichen Grundlage kein Anlass für eine Entgeltschmälerung sein kann.
3) Zum Wohnungsgeld
Die Beklagte bestreitet nicht, dem Kläger ein "Anbot auf Abfindung der Anwartschaft auf Wohnungsgeld im Ruhestand" gemacht zu haben, das der Kläger auch angenommen hat. Sie macht aber geltend, sie sei an die so zustande gekommene Übereinkunft nicht gebunden, weil sie berechtigt sei, sie wegen Irrtums anzufechten, und vermisst in diesem Zusammenhang Feststellungen darüber, dass der Kläger - so wie alle "Sondervertragsinhaber alter Art" - gewusst habe, dass er auf Grund seines Vertrages keinen Anspruch auf Einbeziehung des Wohnungsgeldes in den Ruhebezug habe, sodass für eine Abfindung entsprechender Ansprüche keine Veranlassung bestanden habe.
Abgesehen davon, dass die Auslegung des Vertrages im Sinne des Standpunktes der Beklagten keineswegs zwingend ist (vgl die Ausführungen S 22 des Ersturteils), hat schon das Erstgericht zu Recht darauf verwiesen, dass sich jedenfalls aus der Betriebsvereinbarung Beilage ./M für alle Sondervertragsinhaber das Recht auf ein entsprechendes Abfindungsangebot ergibt. Eine wie immer geartete Einschränkung auf bestimmte Gruppen ist in keiner Weise ersichtlich. Selbst wenn daher der Kläger - was nicht feststeht - gewusst haben sollte, dass ihm nach seinem Vertrag kein Abfindungsanspruch zugestanden wäre, bleibt als Grundlage für das entsprechende Anbot die Betriebsvereinbarung Beilage ./M. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass in Wahrheit (im Hinblick auf die den Anspruch deckende Betriebsübung) kein Irrtum der Beklagten vorgelegen sei bzw. dass keine Rede davon sein könne, dass ein allfälliger Irrtum der Beklagten vom Kläger veranlasst worden sei oder ihm hätte auffallen müssen, ist daher nicht unvertretbar und vermag daher die Zulässigkeit der Revision nicht zu rechtfertigen. Gleiches gilt für die Rechtsauffassung der zweiten Instanz, dass von einer rechtzeitigen Aufklärung eines allfälligen Irrtums nicht die Rede sei, weil der Kläger im Vertrauen auf die nunmehr in Frage gestellte Übereinkunft der gleichzeitig angebotenen Übertragung seiner Pensionsanwartschaften auf die Pensionskasse zugestimmt und damit im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung der Beklagten disponiert hat (Rummel in Rummel, ABGB³ Rz 17 zu § 871). Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die Vorinstanzen den hier zu beurteilenden Einzelfall in einer der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Weise vertretbar gelöst haben, sodass die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG nicht vorliegen. Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962; zuletzt etwa 9 ObA 268/00b; 9 ObA 108/02a).