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OGH vom 23.09.2019, 9ObA63/19h

OGH vom 23.09.2019, 9ObA63/19h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Harald Kohlruss in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. ***** W*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, *****, wegen 5.253,23 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert: 2.200 EUR), über die Revision und den Rekurs der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 2.200 EUR; Rekursinteresse: 2.838,89 EUR sA) und den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse: 5.038,89 EUR), gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 59/15b-20, mit denen der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 3 Cga 124/13w-15, Folge gegeben und das Begehren teilweise abgewiesen und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird, soweit es nicht den bereits in Rechtskraft erwachsenen Teil des Klagebegehrens (Spruchpunkt I. 2. des Teilurteils) betrifft, aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

2. Den Rekursen beider Streitteile wird nicht Folge gegeben.

3. Die Kosten des Revisions- und der Rekursverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am ***** 1974 geborene Kläger war von bis bei J***** und von bis sowie von bis bei J***** GmbH tätig. Er absolvierte von bis den Wehrdienst, studierte von bis Rechtswissenschaften, war von bis Landesvertragsbediensteter, absolvierte von bis die Gerichtspraxis, war von 1. 3. bis arbeitslos und steht seit in einem dem VBG unterliegenden Dienstverhältnis zur Beklagten. Die Beklagte stufte ihn in die Entlohnungsstufe v1 ein und setzte seinen Vorrückungsstichtag (§ 26 VBG aF) zum Anstellungstag mit fest.

Mit Schreiben vom beantragte der Kläger eine rückwirkende Anrechnung seiner von bis , von bis und von bis zurückgelegten Vordienstzeiten und die Auszahlung allenfalls daraus resultierender Differenzbeträge und hielt den Antrag mit Mail vom aufrecht. Mit Mail vom erklärte die Beklagte sinngemäß, dass sich aufgrund einer Neuberechnung eine Änderung des Vorrückungsstichtags auf ergebe, sich die besoldungsrechtliche Stellung des Klägers jedoch nicht ändere, weil die Entlohnungsstufe gleich bleibe.

Mit seiner am eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Zuspruch von 5.253,23 EUR brutto sA und die Feststellung, dass die Beklagte ihm ab auch künftig seinen Gehalt davon ausgehend zu zahlen habe, dass drei Jahre an Vordienstzeiten, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres angefallen seien, berücksichtigt würden, wobei von einer Vorrückung in die zweite Entlohnungsstufe bereits nach zwei (statt fünf) Jahren auszugehen sei. Bei unionsrechtskonformer Anrechnung der Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres würde sich seine erste Vorrückung von auf vorverlegen, woraus die geltend gemachte Gehaltsdifferenz resultiere.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, der Vorrückungsstichtag des Klägers würde sich zwar nach § 26 VBG idF BGBl I 2010/82 auf den verbessern. Dadurch habe sich aber die besoldungsrechtliche Stellung des Klägers nicht verändert, weil die Vorrückungsdauer von der jeweils ersten in die jeweils zweite Gehaltsstufe jeder Verwendungs- bzw Entlohnungsgruppe gemäß § 19 VBG idF BGBl I 2010/82 um drei Jahre verlängert worden sei. Vor dem entstandene Entgeltansprüche seien überdies verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 2.838,89 EUR brutto sA und der begehrten Feststellung statt und wies das Mehrbegehren von 2.414,34 EUR sA ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es auch das Feststellungsbegehren bezüglich der Gehaltsansprüche des Klägers ab abwies. Hinsichtlich des Zuspruchs von 2.838,89 EUR brutto sA und des Feststellungsmehrbegehrens (Gehaltsansprüche von bis ) hob es das Ersturteil auf und wies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zur Begründung des Berufungsgerichts wird auf den in dieser Rechtssache ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 9 ObA 134/15v, verwiesen.

Die Revision bzw der Rekurs wurde vom Berufungsgericht mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob die Besoldungsreform des BGBl I 2015/32 als EU-rechtskonform zu qualifizieren sei und diskriminierte Personen auch ausgehend von einer erfolgreichen Sanierung des Dienstrechts immer noch im Rahmen des Verjährungszeitraums bzw im Geltungsbereich eines Verjährungsverzichts Differenzansprüche aus einer diskriminierungsfreien Einstufung nach dem Besoldungsrecht alt im Rechtsweg geltend machen könnten, für zulässig erklärt.

In seiner dagegen gerichteten Revision und dem gegen den Aufhebungsbeschluss gerichteten Rekurs beantragt der Kläger, die Entscheidung im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben, dem Rekurs jedoch insoweit Folge zu geben, als der angefochtene Beschluss im Sinne einer Abweisung auch des weiteren Klagebegehrens von 2.838,89 EUR brutto sA abgeändert werde.

Auf die Abweisung dieses Begehrens sowie des Feststellungsmehrbegehrens ( bis ) ist auch der gegen den Aufhebungsbeschluss gerichtete Rekursder Beklagten gerichtet, zu dem der Kläger keine Rekursbeantwortung erstattet hat.

Mit dem bereits genannten Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 9 ObA 134/15v, wurde das Verfahren wegen Präjudizialität der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am in einem anderen Verfahren zu 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

In dieser anderen Rechtsache erkannte der Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst gegen Republik Österreich, C-24/17, wie folgt:

„1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.

2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird.

3. Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Bestimmung des Besoldungsdienstalters eines Vertragsbediensteten die Vordienstzeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums, der Türkischen Republik oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, zu einer Einrichtung der Europäischen Union, zu einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, oder zu ähnlichen Stellen zurückgelegt wurden, zur Gänze angerechnet werden, während alle anderen Vordienstzeiten nur im Ausmaß von bis zu zehn Jahren angerechnet werden und nur sofern sie einschlägig sind.“

Infolge dieser Entscheidung wurde das Besoldungsrecht des Bundes zur Herstellung seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht mit BGBl I 2019/58 (2. Dienstrechts-Novelle 2019) umfassend novelliert und für Vertragsbedienstete, deren Vorrückungsstichtag bei der Anrechnung unter Ausschluss der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegenen Zeiten festgesetzt wurde, nach Maßgabe der § 94b ff VBG 1948 („Umsetzung der Richtlinie 2000/78“) eine Neueinstufung nach einem einheitlichen Regelwerk vorgesehen. Diese Regelungen idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 wurden mit in Kraft gesetzt (§ 100 Abs 89 Z 1 VBG 1948). Sie betreffen ua am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 () anhängige einschlägige Verfahren, wobei die Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren zu erfolgen hat (§ 94b Abs 3 VBG 1948). Das neu festgesetzte Besoldungsdienstalter ist nach Maßgabe des § 94b Abs 6 VBG 1948 auch ausdrücklich rückwirkend für die Bemessung der Bezüge maßgeblich (s auch AB 657 BlgNR XXVI. GP S 7).

Rechtliche Beurteilung

Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RS0031419; 9 ObA 134/15v mwN). Da dies hier der Fall ist, ist die neue Rechtslage auch im vorliegenden Verfahren zu beachten.

Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu

erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien

erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Das hat umso mehr bei geänderter Rechtslage zu gelten. Die Parteien müssen Gelegenheit haben, zur neuen Rechtslage ein Vorbringen zu erstatten (RS0037300 [T26]). Daraus folgt, dass das Klagebegehren insgesamt, soweit es nicht bereits rechtskräftig abgewiesen wurde, nach Maßgabe der neuen Rechtslage zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Klägers und der Bemessung seiner Bezüge zum Gegenstand einer Erörterung vor dem Erstgericht zu machen ist.

Daraus folgt für die gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens ab dem Zeitraum gerichtete Revision des Klägers, dass sie im Sinn einer Aufhebung des Teilurteils berechtigt ist. Die auf das Besoldungsrecht gemäß BGBl I Nr 2015/32 bezogene Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist vor dem Hintergrund der Neuregelung nicht aufrecht zu halten.

Im Übrigen ist der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts, gegen den sich beide Streitteile richten, im Ergebnis berechtigt, weil den Verfahrensparteien, wie dargelegt, nunmehr angesichts der Neuregelung Gelegenheit zur Erörterung des Klagebegehrens zu gewähren ist. Dies betrifft auch die im Berufungsverfahren strittige Frage der Verjährung des Leistungsanspruchs für das erste Halbjahr 2008. Das Berufungsgericht sah im Hinblick auf die Bestimmung des § 82 Abs 12 iVm Abs 10 VBG 1948 aF noch Erörterungsbedarf (Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags; formularkonforme Verbesserung gemäß § 13 Abs 3 AVG). Die Bestimmung des § 82 VBG 1948 aF („Übergangsbestimmungen zu § 26“) ist jedoch nicht mehr in Kraft, sodass den Streitteilen auch diesbezüglich Gelegenheit zur Äußerung nach Maßgabe der geänderten Rechtslage zu geben ist.

Zusammenfassend besteht zum Klagebegehren, soweit es nicht bereits rechtskräftig abgewiesen wurde, im Hinblick auf die neue Rechtslage Erörterungsbedarf. Dies hat zur Folge, dass der Revision des Klägers Folge zu geben und die Rechtssache im damit bekämpften Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen ist. Der von beiden Streitteilen bekämpfte Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist dagegen im Ergebnis berechtigt, sodass den Rekursen beider Streitteile keine Folge zu geben ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00063.19H.0923.000

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