OGH vom 25.06.2013, 10ObS39/13b

OGH vom 25.06.2013, 10ObS39/13b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 118/12b 9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 36 Cgs 70/12a 5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin brachte ihren Sohn J***** am und damit erheblich vor dem ursprünglich für errechneten und später auf korrigierten voraussichtlichen Geburtstermin zur Welt. Aus Anlass dieses Versicherungsfalls erhielt die Klägerin aufgrund des ursprünglich für errechneten Geburtstermins Wochengeld für die Zeit vom bis .

Am beantragte die Klägerin die Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungs-geldes in der Variante 12 + 2 bis . Die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter erkannte der Klägerin das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom bis zu. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die beklagte Partei das darüber hinausgehende Begehren für den Zeitraum vom bis im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das Kinderbetreuungsgeld längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes gebühre und ein Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes während des Wochengeldbezugs keine Verlängerung des Anspruchs über die Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes hinaus bewirke.

Das Erstgericht wies die von der Klägerin dagegen erhobene und auf Zahlung des Kinderbetreuungsgeldes im gesetzlichen Ausmaß auch für den Zeitraum vom bis gerichtete Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass das Kinderbetreuungsgeld, wenn es wie hier nur ein Elternteil in Anspruch nehme, gemäß § 24b KBGG längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes gebühre. Das Gesetz stelle auf den tatsächlichen Geburtstermin ab, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob das Kind vor oder nach dem ursprünglich errechneten (voraussichtlichen) Geburtstermin zur Welt komme. Da der Sohn der Klägerin am sein zwölftes Lebensmonat vollendet habe, gebühre gemäß § 24b KBGG Kinderbetreuungsgeld nur bis zu diesem Zeitpunkt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte mit ausführlicher Begründung die von der Klägerin gegen die geltende Gesetzeslage vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur verfassungsrechtlichen Problematik der Anspruchsdauer nach § 24b KBGG im Fall von Frühgeburten vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin wiederholt in ihrer Revision ihre bereits in der Berufung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 24b KBGG, welche den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes in jedem Fall mit dem Ablauf des 12. Lebensmonats des Kindes beschränke, unabhängig davon, ob es sich um den Regelfall einer Entbindung zum errechneten (voraussichtlichen) Geburtstermin oder wie bei der Klägerin um eine Frühgeburt handle, zu der es nach den im Rechtsmittel zitierten Studien in 11 % aller in Österreich registrierten Geburten komme. Mit der nur an den tatsächlichen Geburtstermin anknüpfenden Regelung lasse der Gesetzgeber unberücksichtigt, dass frühgeborene Kinder unreif zur Welt kämen und daher in der Regel Entwicklungsrückstände aufwiesen, die sich langfristig auswirken würden und erhöhte Kosten und Aufwendungen zur Folge hätten. Dennoch gebührten der Klägerin im konkreten Fall Geldleistungen nur für die Gesamtdauer von 12 Monaten, nämlich zunächst das Wochengeld für 16 Wochen und anschließend das Kinderbetreuungsgeld bis zum Ende des 12. Lebensmonats des Kindes, während im Regelfall der Entbindung zum vorausberechneten Geburtstermin ein Leistungsanspruch im Gesamtausmaß von 12 Monaten und 8 Wochen bestehe, weil der Mutter aus der Krankenversicherung dann zusätzlich auch noch das Wochengeld für die Dauer von 8 Wochen vor der Geburt zustehe. Dass im Falle einer Frühgeburt das Wochengeld der Mutter dann zwar für insgesamt 16 Wochen gebühre, gleichzeitig aber der Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld während des gesamten Anspruchszeitraums ruhe, ohne dass sich der Bezugszeitraum für das Kinderbetreuungsgeld um 8 Wochen entsprechend in die Zukunft (über den 12. Lebensmonat des Kindes hinaus) verschiebe, sei unsachlich und widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, weil auf diese Weise die Mütter von Frühgeborenen im Ergebnis geringere (nämlich zeitlich kürzere) Geldleistungen erhielten.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Nach § 24b KBGG gebührt Kinder-betreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens, wenn wie im vorliegenden Fall nur ein Elternteil dieses in Anspruch nimmt, längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes.

1.1 Nach § 6 Abs 1 KBGG ruht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 162 ASVG oder gleichartige Leistungen nach anderen österreichischen oder ausländischen Rechtsvorschriften oder ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 102a GSVG oder § 98 BSVG besteht, in der Höhe des Wochengeldes.

1.2 Gemäß § 162 Abs 1 ASVG gebührt weiblichen Versicherten für die letzten 8 Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung, für den Tag der Entbindung und für die ersten 8 Wochen nach der Entbindung ein tägliches Wochengeld. Weibliche Versicherte nach Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittent-bindungen erhalten das Wochengeld nach der Entbindung durch 12 Wochen. Gemäß § 162 Abs 2 ASVG wird die 8 Wochenfrist vor der voraussichtlichen Entbindung aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses berechnet. Erfolgt die Entbindung zu einem anderen als dem vom Arzt angenommenen Zeitpunkt, so verkürzt oder verlängert sich die in Abs 1 vorgesehene Frist vor der Entbindung entsprechend. Die Frist nach der Entbindung verlängert sich jedoch in jedem Fall bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Beschäftigungsverbot nach den Vorschriften des Mutterschutzrechts endet.

2. Der Umstand, dass die Klägerin für ihren am , somit ca 7 Wochen vor dem ursprünglich errechneten Geburtstermin, geborenen Sohn vom bis Wochengeld und anschließend bis einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bezogen hat, steht im Einklang mit der zitierten Gesetzeslage.

3. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben Mütter von Frühgeborenen hinsichtlich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung aus Anlass des Versicherungsfalls der Mutterschaft keinen Nachteil, weil sich der Bezugszeitraum für das Wochengeld entsprechend verschiebt, sodass im Ergebnis das Wochengeld in gleicher Höhe gebührt, wie bei einer Entbindung zum voraussichtlichen Geburtstermin. Allerdings hat diese Verschiebung des Bezugszeitraums zur Folge, dass für die Mutter eines Frühgeborenen das (frühestens) ab dem Tag der Geburt des Kindes gebührende Kinderbetreuungsgeld im Hinblick auf die Ruhensbestimmung des § 6 Abs 1 KBGG nicht bloß wie im Regelfall für 8 Wochen, sondern bis zu 16 Wochen ruht, um eine vom Gesetzgeber verpönte Doppelversorgung nach der Geburt des Kindes zu vermeiden.

3.1 Diese sozialpolitische Zielsetzung liegt aber nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts genauso im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wie die Beschränkung des Bezugs einer Familienleistung mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters des Kindes. Zielsetzung des Kinderbetreuungsgeldes ist nämlich die finanzielle Unterstützung der Eltern während der Betreuung ihres Kindes während einer bestimmten Zeit im Sinne einer teilweisen Abgeltung der Betreuungsleistung oder einer Ermöglichung der Inanspruchnahme außerhäuslicher Betreuung. Die Notwendigkeit dieser Betreuungsleistung beginnt aber unabhängig davon, ob das Kind vor oder nach dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommt, stets mit der Geburt des Kindes. Es kann daher auch nicht unsachlich sein, mit dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes an die Geburt des Kindes anzuknüpfen, um auf diese Weise die mit der Geburt beginnende Betreuungsleistung der Eltern staatlich anzuerkennen und teilweise abzugelten.

3.2 Auch gegen die Ruhensbestimmung des § 6 Abs 1 KBGG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, besteht das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Dazu kommt es insbesondere dann, wenn eine andere funktionsgleiche Leistung bezogen wird. In diesen Fällen dienen Ruhensregelungen der Vermeidung einer sozialpolitisch unerwünschten „Überversorgung“ durch einen Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (vgl 10 ObS 151/11w mwN). Es tritt daher gemäß § 6 Abs 1 KBGG ein Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld während des Bezugs von Wochengeld gemäß den § 162 ASVG,§ 102a GSVG oder § 98 BSVG oder gleichartiger Leistungen nach anderen österreichischen oder ausländischen Rechtsvorschriften ein, um eine Mehrfachversorgung aus den Maßnahmen der sozialen Sicherheit hintanzuhalten. Nach der Wertung des Gesetzgebers sollen somit Mutterschaftsleistungen grundsätzlich nicht neben dem Kinderbetreuungsgeld bezogen werden (10 ObS 151/11w mwN).

3.3 Gegen die Anwendung der Ruhensbestimmung in Fällen wie im vorliegenden bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere auch nicht im Hinblick auf den Gleichheitssatz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs der Gesetzgeber bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele weitgehend frei ist und der ihm zustehende Gestaltungsspielraum durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt ist, als ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung fehlt (VfSlg 16.542 mwN). So hat der Verfassungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom , G 43/06 ua, ausgeführt, dass das Kinderbetreuungsgeld an die näher umschriebene Voraussetzung der Notwendigkeit von Kinderbetreuung geknüpft sei und es dem Gesetzgeber frei stehe, Kinderbetreuungsgeld zu gewähren oder nicht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass die Lage kinderbetreuender Eltern aus den verschiedensten Blickwinkeln unterschiedlich sein könne, verpflichtet der Gleichheitssatz den Gesetzgeber weder auf den Grad der Belastung durch die Kinderbetreuung abzustellen, noch etwa dazu, auf die Vermögens und Einkommenslage der Eltern Bedacht zu nehmen (vgl auch 10 ObS 151/11w). Insoweit geht daher nach zutreffender Rechtsansicht der beklagten Partei auch der Vorwurf der Klägerin, das Erstgericht hätte Feststellungen zum Entwicklungsstand von Frühgeborenen treffen müssen, sodass sein Verfahren mangelhaft geblieben sei, ins Leere.

3.4 Soweit die Klägerin schließlich noch geltend macht, Frühgeburten führten zu einer wesentlichen Verkürzung des Zeitraums des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld sowie vorangegangenem Wochengeld, ist zu berücksichtigen, dass sich nach Frühgeburten der Anspruch auf Wochengeld von 8 auf mindestens 12 Wochen verlängert und die Klägerin im konkreten Fall nach der Geburt ihres Sohnes über einen Zeitraum von insgesamt 16 Wochen, somit 8 Wochen länger als in dem von der Klägerin angesprochenen „Regel bzw Normalfall“ Wochengeld in voller Höhe ihres zuletzt bezogenen Einkommens erhalten hat. Eine unsachliche Schlechterstellung der Klägerin kann daher auch unter diesem Aspekt nicht erblickt werden.

3.5 Aufgrund der dargelegten Erwägungen sieht sich der erkennende Senat zu der von der Klägerin angeregten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst.

Die Revision musste daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens und Vermögensverhältnisse der Klägerin, welche nach dieser Gesetzesstelle einen Kostenersatz aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht dargetan und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00039.13B.0625.000