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OGH vom 25.08.2014, 8Ob67/14g

OGH vom 25.08.2014, 8Ob67/14g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, 1100 Wien, ***** vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J***** K***** vertreten durch Dr. Brigitte Victor-Granzer, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch die Kraft Winternitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen gerichtlicher Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 40 R 9/14s 44, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 9 C 1158/12m 38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es lautet:

„Die gerichtliche Aufkündigung vom hinsichtlich der Wohnung top Nr 9 im Haus 1100 Wien, ***** wird als wirksam erkannt.

Die beklagte Partei ist schuldig, die Wohnung top Nr 9 im Haus 1100 Wien, ***** der klagenden Partei binnen 14 Tagen geräumt von ihren eigenen Fahrnissen zu übergeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 848,98 EUR (darin enthalten 123,86 EUR USt und 105,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 436,27 EUR (darin enthalten 72,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 503,57 EUR (darin enthalten 49,93 EUR USt und 204 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Vermieterin der der Aufkündigung zugrunde liegenden Wohnung, die sich in einer Wohnhausanlage befindet. Der Beklagte lebt seit 1959 in dieser Wohnhausanlage und ist Mieter der Wohnung top Nr 9. Er leidet seit mehreren Jahren an einer psychischen Erkrankung in Form eines Messie-Syndroms. Dementsprechend sammelt er in der Wohnung vor allem Bücher, Zeitschriften, Kleidung und technische Geräte. Die Wohnung ist stark verschmutzt, weshalb ein übler Geruch vorherrscht. Durch das Ausmaß der Ablagerungen und der Verschmutzung besteht die Gefahr der Ansiedlung von Ungeziefer. Die Lüftungsschlitze der Elektrogeräte waren im April 2012 mit Büchern, Prospekten und Wäsche abgedeckt, weshalb eine erhöhte Brandgefahr bestand. Die eminente Brandgefahr ist vor allem durch die Ansammlung von Kleidung und Büchern nach wie vor gegeben. Die mit Zeitungen, Gerümpel und Kartonagen vollgefüllte Wohnung gefährdet auch die Substanz des Hauses. Der Beklagte besucht regelmäßig eine Messie-Selbsthilfegruppe.

Die Klägerin erklärte die gerichtliche Aufkündigung zum und begehrte, den Beklagten zur Übergabe des Bestandgegenstands zu verpflichten. Der Beklagte mache vom Mietgegenstand einen erheblich nachteiligen Gebrauch, indem er diesen in arger Weise vernachlässige und nicht ausschließlich für Wohnzwecke verwende. Durch sein rücksichtsloses, anstößiges und grob ungehöriges Verhalten verleide er den Mitbewohnern das Zusammenleben. Aus der Wohnung dringe extrem unangenehmer Geruch in das Stiegenhaus. Die Räume seien mit Büchern, Kleidern und Elektrogeräten „zugemüllt“.

Der Beklagte entgegnete, dass es bisher keine Probleme gegeben habe. Er habe kein Verhalten gesetzt, dass eine gerichtliche Aufkündigung rechtfertigen würde. Eine Geruchsbelästigung nach außen bestehe nicht. Er mache auch keinen erheblich nachteiligen Gebrauch von der Wohnung. Er leide zwar an einem Messie Syndrom, weshalb sich beträchtliche Mengen an Gegenständen in der Wohnung befänden. Diese Gegenstände seien aber unverderblich. Er nehme auch an einer Selbsthilfegruppe teil.

Das Erstgericht erklärte die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam und erkannte den Beklagten schuldig, „der klagenden Partei das Bestandobjekt top Nr 9 in 1100 Wien, ***** binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben“. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Bestandgegenstand, der den Vermieter zur Kündigung berechtige, liege vor, wenn vom Mieter durch die Lagerung von Unrat eine erhebliche Brand oder Ungeziefergefahr geschaffen werde. Diese Voraussetzungen seien gegeben, weil der Beklagte seit mehreren Jahren ein substanzschädigendes bzw substanzgefährdendes Verhalten in der Wohnung gesetzt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Übergabebegehren ab. Die Aufkündigung erweise sich bereits aufgrund des nicht ausreichenden Inhalts als unwirksam. Eine gerichtliche Aufkündigung habe insbesondere die Bezeichnung des Bestandgegenstands zu enthalten. Nach der Judikatur könne zwar die Korrektur einer ungenügenden oder unrichtigen Angabe des Bestandgegenstands erfolgen. Hier handle es sich aber nicht um eine teilweise Fehlbezeichnung, sondern um das völlige Fehlen der Bezeichnung des Bestandobjekts in der Aufkündigung. Eine Klarstellung sei auch während des Verfahrens nicht erfolgt. In diesem Fall sei der rechtsgeschäftlichen Auflösungserklärung jede materiellrechtliche Wirkung abzusprechen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil nur eine Einzelfallentscheidung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit seiner durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Bezeichnung des Bestandgegenstands in der Aufkündigung als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.

1. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass aus der zugrunde liegenden Aufkündigung eine Bezeichnung des Bestandgegenstands nicht ersichtlich und eine Klarstellung durch die Klägerin im Verfahren nicht erfolgt sei. Der Aufkündigung sei daher jede materiellrechtliche Wirkung abzusprechen, weil es sich nicht lediglich um eine teilweise Fehlbezeichnung handle.

Damit weicht das Berufungsgericht in einer nicht mehr vertretbaren Weise von den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen ab.

2.1 § 562 ZPO regelt Form und Inhalt des Parteiantrags, auf dessen Grundlage die Aufkündigung erlassen wird. Sie soll einerseits das Bestandverhältnis durch eine rechtsgestaltende Erklärung beenden und andererseits dem Aufkündigenden einen Exekutionstitel für die Übernahme bzw Übergabe des Bestandgegenstands verschaffen. Der Exekutionstitel muss eine exakte, für das Vollstreckungsorgan objektiv erkennbare Bezeichnung enthalten, damit dieses in der Lage ist, dem Bewilligungsbeschluss die zu erzwingende Leistung zu entnehmen, ohne dass es weiterer Erhebungen oder Nachweise bedarf. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob und in welchem Umfang im Verfahren ab Einbringung der Aufkündigung bis zur Schaffung des Exekutionstitels Änderungen zulässig sind. Die neuere Judikatur lässt in dieser Hinsicht die nachträgliche Änderung der Rechtsgestaltungserklärung zu, und zwar auch nach Erhebung von Einwendungen. Dies setzt aber voraus, dass die Aufkündigung einem dem Kündigungsgegner ohnehin zweifelsfrei bekannten Bestandgegenstand erfasst. Er darf daher nicht im Unklaren sein, welches Bestandverhältnis nach dem Willen des Aufkündigenden beendet werden soll und über welches Bestandobjekt er auch in Zukunft noch verfügen kann. Er muss sich zeitgerecht über alle relevanten Elemente der Beendigung des Bestandverhältnisses im Klaren sein. Dementsprechend ist eine ungenaue oder unrichtige Bezeichnung des Bestandgegenstands auch nach der Erhebung von Einwendungen der Präzisierung oder Richtigstellung durch die kündigende Partei oder durch das Gericht zugänglich, wenn der Gekündigte keine Zweifel über das aufgekündigte Bestandobjekt haben kann und die sonstigen prozessualen Schranken nicht überschritten werden (vgl 8 Ob 60/02k mwN; 8 Ob 11/10s; s auch RIS Justiz RS0111666).

Nach diesen Grundsätzen ist der Bestandgegenstand also dann ausreichend bezeichnet, wenn der als redlicher Erklärungsempfänger keine Zweifel daran haben kann, welcher Bestandgegenstand aufgekündigt wird. Ist die Bezeichnung ungenügend oder unrichtig, so kann unter dieser Voraussetzung eine Präzisierung oder Korrektur erfolgen, die auch (allein) durch das Gericht vorgenommen werden kann.

2.2 Im Anlassfall sind diese Voraussetzungen gegeben. In der Aufkündigung ist nicht nur die Wohnadresse des Beklagten angeführt. Vielmehr ist der Aufkündigung eine Unterschriftenliste angeschlossen, die im Betreff die aufgekündigte Wohnung bezeichnet und als „Hauptmieterin“ den Beklagten nennt. Da es nicht zweifelhaft sein konnte, welche Wohnung aufgekündigt wurde, hat der Beklagte weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Berufung einen entsprechenden Einwand erhoben.

Das Erstgericht hat im Spruch seines Urteils das zu räumende Bestandobjekt unter Angabe von „top Nr“ und Adresse (Postleitzahl, Straße, Hausnummer, Stockwerk) konkret bezeichnet. Der Exekutionstitel ist damit ausreichend bestimmt. Zu dieser (verbalisierten) Präzisierung des Bestandgegenstands war das Erstgericht berechtigt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist im Anlassfall auch die materiellrechtliche Funktion der Aufkündigung als rechtgeschäftliche Willenserklärung erfüllt, zumal es in dieser Hinsicht auf das subjektive Element auf Seiten des Kündigungsgegners nach dem Maßstab eines redlichen Erklärungsempfängers ankommt (vgl 1 Ob 217/98p).

2.3 Damit hat das Berufungsgericht die gerichtliche Kündigung zu Unrecht wegen fehlender Bezeichnung des Bestandgegenstands aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen.

3.1 Der vom Erstgericht herangezogene Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs ist im Anlassfall verwirklicht.

Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Mietgegenstand im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 MRG liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RIS Justiz RS0067832 ; RS0068076 ), oder wenn das Verhalten des Mieters geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Vermieters oder der Mitmieter zu schädigen oder zu gefährden (RIS Justiz RS0070348 ; RS0020940 ; vgl 8 Ob 73/10h und auch 3 Ob 164/02t). Es entspricht daher der Rechtsprechung, dass eine Verwahrlosung des Bestandobjekts in Verbindung mit einer erheblichen Brand- oder Ungeziefergefahr durch Lagerung von Unrat einen erheblich nachteiligen Gebrauch vom Bestandgegenstand darstellt (RIS Justiz RS0067832 ; RS0068211 ; vgl 8 Ob 18/06i; 9 Ob 71/13a).

3.2 Aufgrund des unhygienischen Zustands in der aufgekündigten Wohnung durch das Ausmaß der Ablagerungen und Verschmutzungen besteht die Gefahr eines Ungezieferbefalls. Durch Abdecken der Lüftungsschlitze der Elektrogeräte mit Büchern, Prospekten und Wäsche sowie durch die konkrete Lagerung vor allem von Kleidung und Büchern besteht die eminente Gefahr eines Wohnungsbrands. Zudem hat das Erstgericht eine Substanzgefährdung für die in Rede stehende Wohnung festgestellt.

Der vom Erstgericht herangezogene Kündigungstatbestand ist damit objektiv verwirklicht.

4.1 Die Erfüllung dieses Kündigungstatbestands setzt nach der Rechtsprechung neben den dargestellten objektiven Elementen kein Verschulden des Mieters voraus (RIS Justiz RS0070243; 1 Ob 39/12k). Es ist aber erforderlich, dass dem Mieter die Nachteiligkeit seines Verhaltens zumindest bewusst war oder bewusst sein musste (RIS-Justiz RS0067957 ).

Zu den Ausführungen in der Berufung des Beklagten ist darauf hinzuweisen, dass die Schädlichkeit seines Verhaltens dem Mieter nicht subjektiv erkennbar sein muss. Vielmehr wird nur die nach einem allgemeinen Maßstab von einem durchschnittlichen Mieter zu erwartende Erkennbarkeit der Schädlichkeit eines bestimmten Verhaltens zur Erfüllung des Kündigungsgrundes des erheblich nachteiligen Gebrauchs gefordert (3 Ob 164/02t). Davon abgesehen hat der Beklagte in seinem Schriftsatz vom (ON 35) selbst vorgebracht, dass er sich des Problems (dass sich aufgrund des Messie-Syndroms beträchtliche Mengen an Gegenständen in der Wohnung befinden) bewusst ist, weshalb er sich in einer entsprechenden Selbsthilfegruppe befinde.

4.2 Eine Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung hat nur dann Einfluss auf deren Schicksal, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RIS Justiz RS0070340 ).

Diese Voraussetzung ist im Anlassfall nicht gegeben. Entgegen den Ausführungen in der Berufung des Beklagten ist zwischen den beiden im Urteil des Erstgerichts angeführten Zeitpunkten ( und ) keine relevante Verbesserung der Situation eingetreten. Das Erstgericht hat dazu festgehalten, dass die Entrümpelungsversuche des Beklagten vor dem Lokalaugenschein nicht von Erfolg gekrönt gewesen seien. An den meterhohen Ablagerungen und an den starken Verschmutzungen hatte sich nichts geändert. Man konnte in der Wohnung lediglich „gehen“ bzw sich dort „bewegen“.

4.3 Auf eine einschlägige Therapie (psychiatrische psychopharmakologische und unterstützende psychosoziale Behandlung) hat sich der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht berufen. Bei den Ausführungen in der Berufung handelt es sich um unzulässige Neuerungen. Selbst nach diesen Ausführungen hat der Beklagte eine zielführende Therapie noch nicht in Anspruch genommen.

4.4 Selbst wenn man mit dem Beklagten davon ausgeht, dass nicht nur beim Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens (vgl 5 Ob 242/08m; 8 Ob 23/11g), sondern auch bei dem hier maßgebenden Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs bei Beeinträchtigung des Mieters durch psychische Probleme und Krankheitsbilder eine Interessenabwägung vorzunehmen ist (vgl 9 Ob 304/01y), könnte diese angesichts der erheblichen Brand und Ungeziefergefahr nicht zu seinen Gunsten ausgehen.

5.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Der Bestandgegenstand ist in der gerichtlichen Aufkündigung grundsätzlich dann ausreichend bezeichnet, wenn der Kündigungsgegner als redlicher Erklärungsempfänger keine Zweifel daran haben kann, welcher Bestandgegenstand aufgekündigt wird. Ist die Bezeichnung ungenügend oder unrichtig, so kann unter dieser Voraussetzung eine Präzisierung oder Korrektur erfolgen, die auch durch das Gericht vorgenommen werden kann. Eine Verwahrlosung des Bestandobjekts in Verbindung mit einer erheblichen Brand- oder Ungeziefergefahr durch Lagerung von Unrat stellt in der Regel einen erheblichen nachteiligen Gebrauch vom Bestandgegenstand dar.

5.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht Stand. In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00067.14G.0825.000