OGH vom 13.01.1998, 10ObS382/97t

OGH vom 13.01.1998, 10ObS382/97t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Gerhard Fuchs und Franz Ovesny (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ewald M*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1053 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Paul Bachmann und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 99/97a-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 23 Cgs 26/96b-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger hat eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und ist gelernter Einzelhandelskaufmann. Er führte seit 1966 eine Gemischtwarenhandlung, die aus einem Geschäftslokal von ca 100 m**2 bestand und in der neben dem Kläger noch seine Ehefrau als Angestellte beschäftigt war. Das Gewerbe wurde mit ruhend gemeldet. Der Kläger kann auf Grund verschiedener leidensbedingter Veränderungen nur noch leichte und halbtägig mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Bück- und Hebearbeiten sind um ein Drittel eines Arbeitstages einzuschränken und gleichmäßig auf diesen zu verteilen. Arbeiten an exponierten Stellen scheiden aus, Steighilfen können jedoch benützt werden. Die Betriebsführung einer kleinen Gemischtwarenhandlung ist dem Kläger nicht mehr zumutbar, weil er den dabei vorkommenden berufstypisch anfallenden schweren Hebe- und Transportarbeiten nicht mehr gewachsen ist. Eine Tätigkeit etwa als selbständiger Zeitschriftenhändler (in einem Kiosk) wäre ihm noch möglich. Ein Zeitschriftenkiosk ist insbesondere in den Ballungszentren wirtschaftlich lebensfähig.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger sei auf den Beruf eines selbständigen Zeitschriftenhändlers zu verweisen und daher nicht erwerbsunfähig.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Kläger habe am Stichtag () das 50., nicht jedoch das 55. Lebensjahr vollendet, weshalb die Berechtigung seines Anspruchs auf der Grundlage des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. Nov (BGBl 1993/336) zu prüfen sei. Als erwerbsunfähig gelte danach auch der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet habe und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen sei, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande sei, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordere, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt habe. Ein Tätigkeitsschutz solle dabei allerdings nicht bestehen. Die Verweisung des Klägers als Gemischtwarenhändler auf die Tätigkeit eines selbständigen Zeitschriftenhändlers sei auf Grund der ähnlichen Ausbildung sowie der gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten dieser Erwerbstätigkeit grundsätzlich zulässig. Nach § 2 Abs 3 GSVG erstrecke sich die Pflichtversicherung u.a. in der Pensionsversicherung von Versicherten, die eine Erwerbstätigkeit durch den Verschleiß von Zeitungen und Zeitschriften, Postwertzeichen, Stempelmarken, Fahrscheinen usw ausüben, auf jede dieser Tätigkeiten. Der Kleinhandel mit Sonderheften von Zeitschriften und Saisonmodeheften, soweit dieser nicht nach § 2 Abs 1 Z 18 GewO ausgenommen sei, ferner mit sogenannten Magazinen und mit Kurzheften erzählenden Inhalts sei gemäß § 158 Z 4 GewO ein freies Gewerbe. Gegenstand der selbständigen Tätigkeit des Klägers sei der Handel mit Gemischtwaren, somit das nicht bewilligungspflichtige gebundene Handelsgewerbe (§ 124 Z 11 GewO) gewesen. Der Kleinverkauf von periodischen Druckwerken sei zwar von der Geltung der GewO ausgenommen (§ 2 Abs 1 Z 18), doch sei gerichtsbekannt, daß Zeitschriftenhändler neben diesen auch andere Waren wie Modehefte, Magazine, Kurzhefte, Taschenbücher und Papierwaren führten, so daß von einem freien oder sogar gebundenen (Handels-)Gewerbe auszugehen sei. Diese Tätigkeit unterliege der Pflichtversicherung nach dem GSVG. Eine Verweisung könne aber nicht nur auf solche selbständige Erwerbstätigkeiten erfolgen, die der Gewerbeordnung unterliegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt die Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft der Kläger seine Verweisung auf den Beruf eines Zeitschriftenhändlers. Dieser stelle nur eine Nebentätigkeit im Rahmen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG dar. Ein Zeitschriftenkiosk sei auch wirtschaftlich nicht lebensfähig. Überdies sei fraglich, ob es überhaupt wenigstens 100 derartige Kioske in Österreich gebe.

Diese Argumentation ist im Ergebnis nicht zielführend. Im vorliegenden Fall geht es um die Verweisung eines gelernten Einzelhandelskaufmannes, der eine Gemischtwarenhandlung betrieb. Einzelhandelskaufleute führen in Einzelhandelsbetrieben (Fachgeschäften, Kaufhäusern, Einkaufszentren usw) den Einkauf, die Lagerung und den Verkauf von Waren sowie die damit verbundenen kaufmännisch-administrativen Tätigkeiten (Bürotätigkeiten) durch. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist der Verkauf von Waren an die Endabnehmer (vgl Berufslexikon Band 1 "Lehrberufe", herausgegeben vom Arbeitsmarktservice Österreich 1997, 111). Nach der Ausbildung des Klägers und seinen vorauszusetzenden Kenntnissen und Fähigkeiten ist seine Verweisbarkeit im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG aber nicht auf den Beruf eines Zeitschriftenhändlers beschränkt. Wie der Oberste Gerichtshof in einem völlig gleichgelagerten Fall erst kürzlich entschieden hat (, 10 ObS 256/97p), kann der Kläger als gelernter Einzelhandelskaufmann auf alle vergleichbaren (selbständigen) Einzelhandelstätigkeiten (Handelsgewerbe im Sinne des § 124 Z 11 GewO) verwiesen werden, die mit seinem medizinischen Leistungskalkül zu vereinbaren sind, also im wesentlichen auf Tätigkeiten, die ohne das Erfordernis des Hebens und Tragens schwerer Lasten ausgeübt werden können. Bereits die Entscheidung 10 ObS 28/97h bejahte etwa die Verweisbarkeit einer Marktfahrerin auf den stationären Textilhandel mit einem solchen Warensortiment, welches das Heben und Tragen schwerer Lasten nicht erfordert. Daß es zahlreiche Handelsbetriebe gibt, die ein Hantieren mit schweren Lasten nicht erfordern, ist offenkundig. Für die Beurteilung des Verweisungsfeldes nach § 133 Abs 2 GSVG kommt es aber, wie der Senat in der Entscheidung 10 ObS 73/97a (betreffend die Verweisbarkeit einer Taxiunternehmerin) begründet hat, nicht auf das Vorliegen eines "Arbeitsmarktes" und damit - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - insbesondere auch nicht auf die Zahl jener Unternehmen an, die das betreffende Gewerbe betreiben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die selbständig ausgeübte Verweisungstätigkeit unter Berücksichtigung des Marktes eine wirtschaftliche vertretbare Betreibsführung ermöglicht.

Da der Kläger nach den dargelegten Grundsätzen noch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 133 Abs 2 GSVG ist (der Versicherungsfall des § 131c GSVG steht hier nicht zur Entscheidung), wurde sein Klagebegehren im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit liegen nicht vor.